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Musikmesse "A2IM Indie Week" in New York
Streaming dominiert die gesamte Musikbranche

Die Musikmesse A2IM Indie Week in New York stand ganz im Zeichen der Streaming-Dienste - und das obwohl man mit Streaming immer noch kaum Geld verdienen kann. Die großen Major-Plattenfirmen und die Independent-Branche suchen fieberhaft nach innovativen Konzepten, die auch kommerziell erfolgreich sind.

Christoph Reimann im Kollegengespräch mit Anja Buchmann |
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Von Hamburg nach New York: Die Initiatoren des Reeperbahn-Festivals haben im Rahmen der Indie-Week einen Konzertabend veranstaltet. ((c)Jen Maler)
Anja Buchmann: Was interessiert die Branche 20 Jahre nach Napster?
Christoph Reimann: Um es vorweg zu nehmen: Für den physischen Markt interessiert sich eigentlich niemand mehr. Es gab zwar ein Panel für Platten. Aber von CDs zum Beispiel spricht keiner mehr. Und wenn man aktuellen Marktprognosen glaubt, die hier gezeigt wurden, dann sind bald auch Downloads Geschichte. Was die Branche interessiert, ist der große Wachstums-Markt: Streaming.
Buchmann: Nun ist es aber so, dass große Streaming-Anbieter wie zum Beispiel Spotify immer noch rote Zahlen schreiben. Inwiefern steckt denn Geld in der Streaming-Ökonomie? Gerade, wenn wir jetzt mal auf die unabhängige Musikindustrie gucken.
Zuerst ein Ziel definieren
Reimann: Das Konferenzprogramm hier hat gezeigt: Das eine große Erfolgsmodell – das gibt es nicht. Aber die Branche beginnt, die Daten für sich zu nutzen, die Musikhörerinnen und -Hörer im Internet hinterlassen – wenn sie Webseiten aufrufen oder wenn sie Musik streamen.
Sarah Stam arbeitet in den Niederlanden. Ihr Unternehmen 'Set The Tone' berät Labels, die sich auf das Internet konzentrieren. Sie erklärt, wie man sich Daten zunutze machen kann:
"Zuerst mal sollte man ein Ziel definieren: Möchte ich als Künstler beziehungsweise als Musiklabel zum Beispiel einen neuen Markt erschließen? Etwa, indem ich eine neue Altersgruppe anvisiere oder im Ausland wachsen will. Wenn Letzteres der Falls ist, guckt man sich die Daten an, die in sozialen Medien generiert werden. Dann kann man etwa sehen, ob die Musik auch in Hamburg gehört wird. Wenn das so ist, sollte man in einem nächsten Schritt versuchen, dort Konzerte zu organisieren, eventuell mit einem deutschen Künstler einen gemeinsamen Song aufzunehmen, oder man versucht, ein Label vor Ort zu finden, dass sich auf den dortigen Markt spezialisiert hat."
Reimann: Das sagt Sarah Stam. Und das noch dazu: "Auch Streaming-Diensten übermitteln wir Nutzerinnen und Nutzer natürlich, wo in der Welt wir uns befinden, wenn wir uns einen Song anhören."
Mehr Menschen als jeh zuvor erreichbar
Buchmann: Die Auswertung von Metadaten ist die eine Sache, um neben dem reinen Streaming einen Gewinn aus der neuen Musikindustrie zu schlagen. Was gibt es noch?
Reimann: Ein zweiter wichtiger Punkt ist der sogenannte Katalog. Vom Katalog spricht man bei Veröffentlichungen, die älter sind als 18 Monate. Noch mal Sarah Stam:
"Früher haben neue Alben in kurzer Zeit viel Geld eingespielt. Wenig später nach der Veröffentlichung hat sich aber kaum noch jemand dafür interessiert. Über Streamingdienste und soziale Medien dagegen kann man heute mehr Menschen als je zuvor erreichen. Und die Algorithmen von Streamingdiensten sind so ausgerichtet, dass sie den Leuten auch Platten vorschlagen, die vier oder fünf Jahre alt sind, passend zu ihrem Geschmack."
Nicht jede gute Geschäftsidee wird ein Erfolg
Buchmann: In der Popwelt malt man ja gerne mal schwarzweiß. Früher waren die Indies die Guten, also die mit der Kunst. Die großen Majors dagegen die Bösen, die mit dem Kommerz. Wenn ich das jetzt höre – Daten auswerten, also das Publikum ausspionieren – dann klingt das gar nicht mehr so nach der guten alten Indie-Welt.
Reimann: Die Independent-Branche und die Majors nähern sich auf jeden Fall an. Soundmäßig sowieso. Aber auch geschäftlich. Das hat noch ein weiteres Panel gezeigt hier auf der Indie Week.
Reeperbahn Festival A2IM in NYC June  18-19. Panel at NY Law School, performances at Rockwood.
Panel "How we Listen" bei der A2IM Indie Week in New York 2019 (Jen Maler)
Ryan Leslie war eingeladen, ein Sänger, der auch als Geschäftsmann erfolgreich ist. Er hat Superphone entwickelt. Und das funktioniert so: Ryan Leslie hat sich als Independent-Künstler die Handynummern von seinen Fans geben lassen, haben die auch gemacht – und dann hat er das zur direkten Kommunikation mit seinen Fans genutzt. Zu einer Zeit, als andere Künstler noch ihre Cent-Beiträge von Streaming-Diensten zusammengezählt haben, wusste Leslie schon durch den direkten Kontakt, wer von seinen Fans bereit war, für ein Neujahrskonzert mit ihm 1.700 Dollar auf den Tisch zu legen. Heute macht Leslie nach eigenen Angaben mehr Geld als zu seiner Zeit bei einem Major. Verkauft hat er das Geschäftsmodell dann an ein großes Label.
Aber natürlich muss man sagen: Nicht jeder entwickelt eine Geschäftsidee, die dann so einen großen Erfolg hat.
Verknappung der Medienpartner als großes Problem
Buchmann: Es sind ja auch zahlreiche deutsche Label-Vertreterinnen und -Vertreter aus Deutschland angereist, zur A2IM Indie Week nach New York. Konnten die denn neue Impulse für sich mit nach Hause nehmen?
Reimann: Zur deutschen Delegation, so wird das hier genannt, zur deutschen Delegation gehört auch Tobias Lampe. Er betreibt das Label HFN Records. Die Indie Week war für ihn vor allem eine Möglichkeit, bestehende Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen. Die Panels hätten ihm gezeigt, dass die Branche weltweit vor denselben Problemen stehe. Dazu zählt in seinen Augen: "Der ewig wechselnde Markt sozusagen von Physisch zu Downloads zu Streaming, nebenbei eine Menge Piraterie. Und die Verknappung der Medienpartner ist für uns auch ein sehr, sehr großes Problem, weil es natürlich kaum noch Magazine gibt, die Musik-Reviews machen. Man muss halt, sage ich mal, auf sehr vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen, um eine Menge Aufmerksamkeit zu erzeugen, die aber im Grunde genommen gar nicht mehr so viel Aufmerksamkeit ist, wie man sie früher mit sehr viel weniger Mitteln erreichen konnte."
Buchmann: Musik gab es ja auch. Das Reeperbahn-Festival hat einen Abend im Rahmen der Indie-Week veranstaltet.
Reeperbahn Festival A2IM in NYC June 18-19. Panel at NY Law School, performances at Rockwood.
Gurr Liveauftritt bei der A2IM Indie Week in New York 2019 (Jen Maler)
Reimann: Ja, da haben dann Bands wie Gurr aus Berlin, die Leoniden aus Kiel oder Mira Lu Kovacs aus Wien gespielt. Die Bands und ihre Manager haben den Abend als eine Möglichkeit gesehen, sich mal im Ausland zu präsentieren. Dass das überhaupt möglich ist, liegt am Reeperbahn-Festival. Alle Delegierten konnten einen Reisekostenzuschuss bekommen, weil das Festival wiederum selbst zum Teil aus öffentlichen Geldern finanziert wird. In diesem Jahr gab es zusätzliche Unterstützung von "Wunderbar Together", einer Initiative von den USA und Deutschland zur Feier des sogenannten Deutschlandjahres.
Die Kulturpolitik fördert die Kreativwirtschaft
Als Mitglied des Ausschusses für Kultur- und Bildungspolitik war Barbara Hendricks von der SPD auf der A2IM. Diese Förderung war aber eine einmalige Sache, das hat sie klargemacht:
"Natürlich können wir sowas nicht auf Dauer fördern. Das Deutschlandjahr ist, wie der Name schon sagt, begrenzt auf ein Jahr. Und da führen wir ganz viele Kulturschaffende zusammen, auch in der Erwartung, dass daraus tatsächlich Zusammenarbeit und möglicherweise eben auch gemeinsames Geschäft entsteht."
Die SPD-Politikerin Barbara Hendricks
Als Mitglied des Ausschusses für Kultur- und Bildungspolitik war Barbara Hendricks von der SPD auf der A2IM. Diese Förderung war aber eine einmalige Sache, das hat sie klargemacht. (dpa / picture alliance / Oliver Berg)
Reimann: Das heißt nicht, dass eine Förderung im nächsten Jahr ganz wegfallen wird, aber dass sie möglicherweise geringer sein wird. Dass überhaupt Förderung notwendig ist, lässt sich in zweierlei Hinsicht deuten: Die Kulturpolitik hat erkannt, dass die Kreativwirtschaft einen förderungswürdige Branche ist. Andererseits lässt sich feststellen: Auch 20 Jahre nach Napster steht die unabhängige Musikindustrie nicht unbedingt auf stabilen Beinen.