"In den vergangenen 20 Jahren ist es gewissermaßen unsere Aufgabe geworden, bestimmte Aspekte der Geschichtsschreibung herauszuarbeiten und näher zu beleuchten. Insbesondere die Aspekte, die ignoriert und unter den Teppich gekehrt wurden."
Garth Erasmus ist Teil der südafrikanischen Musikaktivisten-Gruppe Khoi Khonnexion, die sich seit vielen Jahren mit der kolonialen und vor-kolonialen Vergangenheit des südlichen Afrikas beschäftigt. Eine Vergangenheit, deren Auswirkungen bis heute sichtbar sind und deren Aufarbeitung immer wieder Gegenstand aktueller Diskussionen ist.
Annäherung ohne Moralkeule
Aus europäischer Sicht geht es in solchen Diskussionen auch oft darum, sich der eigenen Verantwortung zu stellen. Genau diesen Versuch unternehmen nun die Musiker der Hamburger Band Kante in ihrem aktuellen Musiktheaterstück "Das Haus der herabfallende Knochen".
Zusammen mit Khoi Khonnexion, der namibischen Künstlerin Nesindano Namises und dem deutschen Künstler Nikola Duric nähern sich Kante der Thematik aber nicht mit dem Vorschlaghammer und der Moralkeule, sondern vielmehr über die Gemeinsamkeiten und die geteilte Vergangenheit.
Frontmann Peter Thiessen will deswegen auch keine akkurate, historische Darstellung abliefern. Das gelingt mithilfe von Märchen. Afrikanische Märchen, die perfekt diese geteilte Vergangenheit abbilden, da sie unzählige europäische Geschichten aufgreifen.
Verschlunge Wege veränderten Märchen
"Aber es bündelt sich so in diesen Märchen, weil die über lange Wege gewandert sind. Teilweise über Südafrika nach Namibia gekommen sind oder auch mit den Deutschen nach Namibia. Und die sind dann sehr verändert worden. Da gibt es dann meinetwegen Hänsel und Gretel spielt in der Wüste komplett. Aber es hat sich auch gemischt mit den lokalen Folk Tales."
Eine unschuldige Traumwelt schaffen weder die afrikanischen noch die europäischen Märchen. Sie zeigen immer wieder die blutige Seite des Kolonialismus.
Und so sind die Verbrechen der Europäer in "Das Haus der herabfallenden Knochen" omnipräsent. Nama und Herero erzählen sich, dass die deutschen Soldaten während der Aufstände gegen die Kolonialmacht eigentlich unterlegen gewesen wären. Um sich einen Vorteil zu verschaffen, hätten sie die Köpfe ihrer Gegner aufgesägt, um hineinschauen zu können. Ein klarer Verweis auf die Rasseexperimente in der damaligen Kolonie.
Die Verbrechen des Kolonialismus
An anderer Stelle tauchen deutsche Geister-Soldaten auf, die bis heute die Wüste heimsuchen. Oder ein Missionar, der durch eine List dazu gebracht wird, seine eigene Frau zu töten, im Glauben eine magische Flöte zu erhalten.
Neben den europäischen Märchen haben so auch die europäischen Verbrechen zu Zeiten des Kolonialismus Einzug in die Folklore des südlichen Afrikas gefunden. Und sie sind nicht nur Teil der Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart.
Schätzungsweise 80 bis 100.000 Nama und Herrero fielen zwischen 1904 und 1908 im heutigen Namibia den Gräueltaten deutscher Soldaten zum Opfer. Der Nachschub für die damalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika wurde hauptsächlich von Hamburg aus organisiert.
Ein Aspekt der für Peter Thiessen nicht vordergründig war, der sich aber durchaus bemerkbar gemacht hat.
Die Wunden der Vergangenheit heilen
"Wir als die Band Kante oder auch ich als der Sänger oder Songschreiber Peter Thiessen fühle mich natürlich nicht als ein Vertreter Hamburgs. Ich fühl mich auch nicht dazu berufen, Deutschland zu vertreten. Aber innerhalb dieser Beschäftigung kommt man dann nicht drum herum, weil man damit konfrontiert ist. Und weil man ja selber auch von dieser historischen Situation auf die eine oder andere Weise auch profitiert."
"Das Haus der herabfallenden Knochen" beleuchtet das brisante Thema Kolonialismus von zwei Seiten und mit einem klaren Ziel: die Beteiligten wollen in einem gemeinsamen Heilungsprozess die Wunden der Vergangenheit schließen. Für Garth Erasmus von Khoi Khonnexion ist das Musiktheaterstück auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.
"Wir wissen um die Macht der Kunst, wir wissen um die Macht von Kultur und wir haben uns für diesen Weg entschieden, um über diese Probleme zu sprechen und Heilung zu ermöglichen."