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Musikvermittlung
Kinder an die Orgeln!

Wenn Kinder und Jugendliche nicht mehr in die Kirchen zur Orgel kommen, kommt die Orgel zu den Kindern: als mobile Orgel auf Rollen, als Orgelkoffer und Bausatz. Ein Trend, den jetzt ein Symposium zur Orgelvermittlung im niedersächsischen Stade beleuchtet hat.

Von Dagmar Penzlin | 15.04.2019
    Diözesanmusikdirektor Gregor Frede (r) gibt am 07.12.2017 in der Kirche des Juliusspitals in Würzburg (Bayern) dem 17-jährigen Michael Netrval Unterricht an der Orgel.
    Bei einem Symposium in Stade hat man sich Gedanken über neue Wege der Orgelvermittlung gemacht (dpa/ picture alliance/ Karl-Josef Hildenbrand)
    Damit die Nachtigall ordentlich zwitschert, spritzt Winfried Dahlke noch etwas Wasser ins Glas. Das Nachtigallenregister ist einer der markanten Klangcharaktere jener mobilen Orgel auf Rollen, mit der der Direktor des Organeums im ostfriesischen Weener Schulen in der Region besucht. Um Kinder für die Orgel zu begeistern, ist es wichtig, dass jedes Register der Mini-Orgel Assoziationen weckt.
    "Das Regal – das klingt wie das Quaken von Enten. Wenn eine anfängt und eine nächste nachfolgt und dann eine dritte."
    Sabrina von Nuis hat eine Lehreinheit zum Orgel-Besuch in der Schule entwickelt. Herausgekommen ist eine interaktive Rätselgeschichte rund um den Kobold Arp Orgbold, der sogar auf dem AB des Schulsekretariats Nachrichten hinterlässt. "Äh hallo! Ist das ein Anrufbeantworter? Hier spricht Arp Orgbold zu Weener."
    "Die Intention war schon, dass man die Kinder in eine ganze Geschichte einbindet und dass sie wirklich emotional beteiligt sind."
    Deshalb sollen die Kinder Rätsel lösen, um dem Kobold zu helfen, so dass seine Lieblingsorgel wieder spielt, sagt die Musiklehrerin.
    "Und dann haben sie wirklich gut aufgepasst, haben in ihren Mini-Büchern, die sie vorher gebastelt haben, das war mir wichtig, dass sie selbst etwas machen, selbst basteln, selbst musizieren, damit sie dann die Rätsel lösen können. Erster Schritt: Vorbereitung; zweiter Schritt: Besuch der Orgel; dritter Schritt: Rätsel lösen und hinterher die Antwort an den Kobold."
    Rätselgeschichte um Arp Orgbold
    Die Lehreinheit mit Arp Orgbold rund um die Orgel ist gerade fertig geworden und kann ab nächstem Schuljahr zum Einsatz kommen. "Dieses ist jetzt ein regionales Angebot, dadurch dass das an diese Orgel im Klassenzimmer gebunden ist. Wenn es woanders eine Orgel gibt, kann man das bestimmt adaptieren. Das denke ich schon."
    Beim Symposium zur Orgelvermittlung in Stade suchten viele Musikvermittler und Organisten Kontakt zu Winfried Dahlke und Sabrina von Nuis, weil sie gern mit Schulen zusammenarbeiten möchten. Vermittlungskonzepte, die außerhalb einer Kirche, der eigentlichen Heimat der Orgel, funktionieren, diese Konzepte boomen jetzt. Das zeigte auch die dreitägige Veranstaltung vergangene Woche. Ob mobile Orgel, Orgelpfeifen-Pakete als Klassensatz zum gemeinsamen Musizieren oder spezielle Orgelkoffer, die Elemente und Klangprinzipien der Königin der Instrumente überall erlebbar machen – solche Angebote und Materialien erfahren gerade eine Hochzeit. Deshalb hat das Organisationsteam des Symposiums diesem Zweig der Orgelvermittlung viel Raum gegeben, erklärt Ulf Pankoke von Vision Kirchenmusik, dem neuen Arbeitsbereich für Musikvermittlung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover und Veranstalter der Tagung gemeinsam mit der Orgelakademie Stade.
    "Wir kriegen bei unseren Projekten immer wieder mit, das es viele Kinder und Jugendliche gibt, die noch nie eine Orgel gesehen haben. Und das hat natürlich damit zu tun, dass viele den Kirchraum nicht betreten. Ich glaube, deshalb gibt es so viel Materialien mittlerweile: kleine Orgelpfeifen zum Bauen, ganze Orgeln zum Bauen. Wir können raus gehen, in die Klassenzimmer, in den öffentlichen Raum und Lust machen auf die Orgel. Und irgendwann ist die Faszination so groß, dass die Leute dann in die Kirche kommen, um sich das Wunderwerk Orgel anschauen zu können."
    Boom von Orgeln zum Anfassen
    Magnet bei der Tagung: eine kleine Orgel aus den Niederlanden – Organist Antonio Garcia aus Bern probiert wie so viele fasziniert rum, während die Orgel-Mutter Lydia Vroegindeweij kaum aus dem Erklären rauskommt.
    "Es sind 128 Teile, die Kinder in 45 Minuten zusammenstellen."
    Also zu einer kleinen Orgel zusammenbauen, auf der sie dann auch extra dafür komponierte Musik spielen können. Gerade läuft ein Kompositionswettbewerb für das Orgelkids-Instrument von Lydia Vroegindeweij.
    "Wir haben eine internationale Jury. Denn Orgelkids ist nicht nur in den Niederlanden, sondern es gibt auch Orgelkids USA, Orgelkids Kanada, Schweden, Taiwan. Und das geht immer weiter. Jetzt sind 50 dieser Orgeln weltweit in verschiedenen Ländern zu finden. Bei Kompositionswettbewerb hat jedes Land hat einen Juror geschickt."
    Lydia Vroegindeweij trifft mit ihrem Orgelbausatz schon seit zehn Jahren einen Nerv. Die Verlegerin ist selbst Amateurorganistin und hat einen pensionierten Orgelbauer für das Projekt begeistern können. Sie selbst hat die Bau-Anleitungen entwickelt und wundert sich nach wie vor, welche Resonanz ihr Herzensprojekt erfährt.
    "In jedem Land ist der Anfang ein bisschen verschieden, aber wenn man die Bilder sieht von den Kindern, die bauen: Ob in Taiwan oder Schweden, die Gesichter sehen überall gleich aus, die sind sehr konzentriert."
    Orgelunterricht nach dem Gesangbuch
    Auf der Stader Tagung zur Orgelvermittlung ging es natürlich auch um die klassischen Formate wie Orgelführungen und Kinderkonzerte. Ebenso standen Konzepte für den Orgelunterricht mit Kindern zur Diskussion. Gute Erfolge erreicht seit September 2012 ein Projekt zum liturgischen Orgelspiel der lippischen Landeskirche: Heranwachsende zwischen zehn und 16 Jahren lernen Liedbegleitung auch ohne große Vorkenntnisse, erzählt Landeskantor Volker Jänig. Und das funktioniert so:
    "Von Anfang an ohne Choralbuch nur nach dem Gesangbuch, wo ich die Melodie sehe, Lieder zu begleiten. Und dann spätestens nach einem halben Jahr das erste Lied in einem Gottesdienst zu spielen und sich der Gemeinde zu offenbaren. Also in das Kerngeschäft Kirche zu gehen."
    Jänigs Projekt ist eines von vielen, das Symposiumsorganisator Ulf Pankoke unter dem Stichwort "Zuwendung" verbucht.
    "Na, wir merken alle, dass es nicht selbstverständlich ist, Organisten zu haben. Sogar die Orgelbauer beklagen sich schon, dass kein Nachwuchs kommt. Das ganze Thema ‚Orgel’ braucht jetzt unsere Hinwendung, Zuwendung, damit wir das auch noch in Zukunft einfach erleben können."