In den 90er-Jahren war die Musikwelt voller Trends und Phänomene, die viele Fans und Journalisten faszinierten: Britpop von Oasis oder Blur schaffte es sogar in die ARD-Tagesthemen, andere Bands machten Schlagzeilen mit Grunge-Musik und selbst Techno war noch relativ neu. Aber auch nach dieser Zeit gab und gibt es noch interessante Musiktrends meint Maik Brüggemeier, Redakteur beim deutschen "Rolling Stone". Zum Beispiel das Soul-Revival in England mit Sängerinnen wie Adele oder Amy Winehouse. Die Themen sind also nach wie vor da. Was sich eher geändert habe, sei das Verhältnis zum Leser:
"Früher war es so, dass man als Musikkritiker der erste war, der eine Platte gehört hat, der erste war, der eine Meinung haben konnte zu einer Platte und keiner konnte sie überprüfen. Das gibt es heute sehr oft nicht mehr. Die Platten kommen raus, ohne dass es irgendjemand vorher weiß, die Meinung ist nach zwei Minuten gebildet in den Social Networks und wir sind dann etwas später dran, um dann noch etwas genauer hinzugucken."
Recherchemöglichkeiten heute besser
So mancher Fan spart sich dann eben den Kauf einer Musikzeitschrift, wenn er selbst ohnehin schon bestens im Bilde ist. Was jedoch nicht stimmt, so sagt Andreas Müller, Musikjournalist für den Berliner Tagesspiegel, RBB und Deutschlandradio, ist die oft gehörte Klage, dass der Journalismus schlechter geworden sei. Heute hätten Musikjournalisten beste Möglichkeiten, beispielsweise in der Recherche:
"Die Leute, die heute schreiben, sind viel besser ausgebildet, haben viel besseren Zugriff auf Archive, auf Materialien, wenn sie in einem bestimmten Alter sind. Ganz junge Journalisten haben natürlich das Problem, dass es einen riesigen historischen Berg an Musik gibt, den man erst mal besteigen muss. Aber es gibt so eine bestimmte Generation von Leuten, die auch sehr, sehr gut ist, finde ich."
Was sich jedoch eher noch verschärft hat, meint Müller, ist das Phänomen des Nischendaseins des Musikjournalismus insgesamt. So beträgt die gesamte Auflage aller wichtigen Musikzeitschriften Deutschlands weniger als die Hälfte dessen, was beispielsweise der "Spiegel" in einer Woche an Heften verkauft. "Rolling Stone" und "Musikexpress" beispielsweise verkaufen rund 50.000 Hefte im Monat - und sind damit schon Marktführer, obwohl auch die Auflage dieser beiden Magazine in den letzten Jahres leicht nachgegeben hat. Noch schlimmer getroffen hat es das Nischen-Independent-Magazin "Spex" aus Berlin: Es hat innerhalb weniger Jahre seine Auflage halbiert – auf nunmehr 8000 im Monat. Das Geschäftsmodell funktioniert nur durch Selbstausbeutung und eine äußerst kleine Redaktion.
Kostenlose Magazine sind umstritten
Was dagegen überhaupt nicht funktioniert, ist nach Meinung des Herausgebers des Rockmagazins "Visions", Michael Lohrmann, die Umstellung auf ein komplett kostenloses Magazin. Diesen Schritt vollzog in Großbritannien gerade das fast schon legendäre Magazin "New Musical Express", kurz NME.
In Deutschland ist "Intro" das bekannteste und mit 110.000 Exemplaren erfolgreichste kostenlose Blatt. Und dennoch: Bei den Gratis-Magazinen bestehe die Gefahr, dass manches Thema nur wegen der Anzeigenkunden ins Heft komme, dass es zuviel Abhängigkeit von der Industrie gebe, meint "Visions"-Herausgeber Lohrmann:
"Man weiß ja auch, welche Wertschätzung diese Art von Magazine genießen. Vor dem Hintergrund, dass nach vorne hin gesagt wird: Oh, wir haben eine ganz riesige tolle Auflage. Die Frage ist doch viel mehr: Welche Leute nehmen das tatsächlich mit und welche Leute lesen es dann auch tatsächlich. Das zweifele ich von vorne bis hinten an. Und ich kann mit Sicherheit sagen, dass die 35.000 Leute, die "Visions" auch tatsächlich kaufen und Geld in die Hand nehmen, natürlich eine komplett andere Auseinandersetzung mit dem haben, was wir machen."
So ist am Ende des Tages die Problematik der Musikpresse eine ähnliche wie bei anderen Magazinen auch: Wie halte ich es mit dem Internet, mit der Gratiskonkurrenz und wie kann ich wieder mehr Leser erreichen? Musikkritiker Andreas Müller meint, dass der Abgesang auf die Musikmagazine in jedem Fall zu früh ist:
"Es wird vielleicht noch ein oder zwei den Kopf kosten in den nächsten Jahren. Es wird auch in zehn Jahren noch einige Magazine geben, einfach weil es Leute gibt, die so etwas in der Hand haben wollen. Ähnlich, wie es ein kleines Vinyl-Revival gibt. Und auch Archivieren. Und insofern: Nichts wird komplett ins Netz abwandern. So wie es in zehn Jahren in Deutschland noch Bücher gibt, wird es auch solche Magazine noch geben."