Im "Islamic Center of Southern California" in Los Angeles ist an diesem Spätnachmittag nur der Empfang besetzt. Die mit Teppich ausgelegten Gebetsräume liegen verwaist dahinter. Eine Treppe führt in die Büros im ersten Stock. Osamah Bin-Mahfouz ist ein kräftiger junger Mann, der ein Polohemd in einem ebenso kräftigen rosa trägt. Wenn er sich vorstellt, kommt immer diese Reaktion: "Warte, Osamah sagst du?" Osamah sagt schmunzelnd: "Osamah Bin, weiter komme ich meistens nicht …" Er kann sich kaum an eine Zeit erinnern, in der sein Vorname unkommentiert geblieben ist:
"In jedem neuen Schuljahr bin ich aufgefallen. Ich konnte schon den Blick des Lehrers sehen, der über die Klasse schweifte, als sei er auf der Suche nach einem Kind mit Bart und Turban: Wo ist dieser Osamah?"
Das sei früher anders gewesen, erinnert sich der Mann in Hemd und Sakko neben ihm. Er muss es wissen, trägt er doch selbst einen Vornamen, der bei jeder Passkontrolle für Aufsehen sorgt: Jihad Turk.
"Im Arizona der 1970er-Jahre war es kein Problem, Jihad zu heißen. Die Leute wussten nichts über den Islam. Sie dachten allenfalls, es sei ein exotischer mexikanischer Name."
Trump: Einreisestopp für Muslime
Doch spätestens seit den Gräueltaten des selbst erklärten Islamischen Staates assoziieren die meisten mit Djihad den 'heiligen Krieg'. Einen Krieg im Namen des Islams, über den viele damit schon alles zu wissen glauben. Das dürften die muslimischen Gemeinden auf keinen Fall so stehen lassen, findet Turk. Er war früher Imam im "Islamic Center of Southern California". Heute ist er Präsident einer islamischen Graduiertenschule.
"Als Muslime und Repräsentanten des etablierten Islams haben wir alternative Narrative zu dem des IS. Oft ist die Propaganda ja erfolgreich, weil die jungen Leute sich hier in den USA nicht wohl fühlen."
Und genau das ist seit einigen Monaten wieder vermehrt der Fall. Seit der Republikaner Donald Trump sich entschieden hat, Präsident der Vereinigten Staaten werden zu wollen, seit er mit einem Einreisestopp für Muslime wirbt und nach Terroranschlägen alle gleichermaßen verdächtigt.
Was die 3,3 Millionen Muslime in den USA in eine schwierige Lage bringt, beklagt Salam Al-Marayati, Präsident des Muslim Public Affairs Council, das seinen Sitz ebenfalls in Los Angeles hat:
"Wir haben also die politischen Extremisten auf der einen und den IS auf der anderen Seite. Und die muslimische Gemeinde ist zwischen diesen beiden Polen eingeklemmt."
Schweinefleisch vor Moschee-Türen
Was das bedeuten kann, hat eine muslimische Einrichtung in Colorado zu spüren bekommen. Aus Angst, erkannt zu werden, dürfen wir zwar Tonaufnahmen in der Moschee machen, den Namen der Einrichtung aber nicht nennen. Seit der im Frühjahr auf einer Liste mit potentiellen Anschlagszielen des IS aufgetaucht ist, sind die beiden Männer, mit denen wir sprechen, vorsichtig geworden. Für Islamisten sind auch sie "Ungläubige".
Die beiden Männer beobachten auf der anderen Seite auch in ihrer Umgebung eine zunehmend anti-muslimische Stimmung. Sie wissen von Moscheen, die beschossen wurden, von Schweinefleisch, das vor den Türen islamischer Gotteshäuser abgeladen wurde. Vor allem republikanische Politiker schürten Misstrauen, sind die beiden Männer überzeugt. Dabei sei nur ein verschwindend kleiner Teil der Muslime radikal. Und das seien nicht jene, die regelmäßig in die Moschee gingen. So wie die vier Mädchen in Colorado, die sich dem IS anschließen wollten, nachdem sie sich online radikalisiert hatten.
So leicht will es Salam Al-Marayati, Präsident der Interessenvertretung MPAC, den muslimischen Gemeinden nicht machen:
"Es gibt Gemeindemitglieder mit extremistischen Ideen. Das ist eine Realität. Das Problem ist: Niemand interveniert."
Stattdessen bete man, dass es vorbeigehe, spottet er. Auch und gerade Muslime müssten Verantwortung für dieses Problem übernehmen, auch wenn sie für das Problem selbst nicht verantwortlich seien.
"Der Islam ruft uns dazu auf, eine Führungsrolle zu übernehmen, man kann nicht nur rumsitzen und sich beschweren. Wir müssen unseren Glauben von den Extremisten zurückerobern."
…und den jungen amerikanischen Muslimen wieder näher bringen, ihnen einen zeitgemäßen Islam vermitteln:
"Wir brauchen in den Moscheen nicht nur lausig gehaltene und inhaltlich irrelevante Predigten. Wir brauchen ehrliche Gespräche. Ich möchte, dass sie nicht nur online über die Drohnenpolitik der USA, über den Syrien-Krieg, den Palästina-Konflikt diskutieren können, sondern da, wo ich ein Auge drauf habe."
Das Schweigen brechen
Die muslimischen Gemeinden würden zu diesen Fragen allzu oft lieber schweigen, um nicht aufzufallen.
Nader Hasan hätte vielleicht schweigen können, aber aufgefallen wäre er trotzdem. Googelt man seinen Namen, stößt man rasch auf seinen Cousin Nidal. Jenen Mann, der im November 2009 auf einer Militärbasis in Texas 13 Menschen tötete. Im Namen des Islams, wie er später vor Gericht bekunden sollte.
Nader Hasan wollte aber nicht mehr schweigen, sagt er und schlägt nachdrücklich mit der Faust auf den Tisch. Natürlich habe er bemerkt, erzählt der Anwalt an diesem Nachmittag in Fairfax, Virginia, dass sein Cousin nach dem Tod der Eltern zusehends religiöser, zunehmend radikaler wurde. Was unausgesprochen bleibt: Nader hat nichts unternommen. Er griff nicht ein. Er sagt: Wir hatten wenig Kontakt damals. Nach dem Attentat aber geht Nader Hasan auf Spurensuche. Nicht in der Familie, sondern in der muslimischen Gemeinde. In der US-amerikanischen Gesellschaft. Denn an dieser Schnittstelle liegt für ihn der Konflikt.
"Die muslimische Gemeinde in Amerika ist eine sehr junge Gemeinde. Sie ist noch auf Identitätssuche. Und nun prägen Medien und Extremisten unsere Identität. 20 Prozent unserer Gemeinde sind fromm und gehen regelmäßig in die Moschee und beten zusammen. Und die anderen 80 Prozent? Wer spricht für uns?"
Das will er selbst übernehmen und zeigen, dass es kein Widerspruch sei, Moslem und Amerikaner zu sein. "Nawal" heißt die Stiftung, die er nach dem Attentat seines Cousins gegründet hat. 'Geschenk' bedeutet das auf Arabisch. Denn es sei ein Geschenk, Amerikaner zu sein, sagt er, sehr amerikanisch. Er will jene, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, miteinander ins Gespräch bringen, sagt er und zählt auf: Junge Muslime mit örtlichen Polizisten zum Beispiel. Oder einen Imam mit einem Trump-Anhänger. So wie auch in der Stiftung beide Seiten miteinander ins Gespräch gekommen sind und heute zusammenarbeiten: Der Cousin des Täters mit der Tochter eines Opfers, Kerry Cahill:
"Er hat nichts falsch gemacht! Er ist zufällig mit jemandem verwandt, der etwas Schreckliches getan hat. Ich sage den Leuten immer: Man muss nicht immer einer Meinung sein, aber man muss miteinander reden. Und wir sind an dem Punkt angekommen, an dem Meinungsverschiedenheiten in den USA in Gewalt umschlagen. Und das darf nicht passieren."
Die Recherchen für diesen Beitrag entstanden während einer Pressereise mit dem US-Außenministerium.