Dienstagabend in Berlin-Neukölln. Ein halbes Dutzend muslimischer Männer sitzt um einen Resopaltisch. Es geht ihnen hier nicht um Small-Talk, sondern um Grundsatzfragen. Solche, wie sie die Silvesternacht von Köln im vergangenen Jahr aufgeworfen hat, als massenhaft Frauen sexuell belästigt und ausgeraubt wurden. Der Großteil der später ermittelten Tatverdächtigen waren Männer aus muslimisch geprägten Herkunftsländern.
"Was sagen wir dazu? Distanzieren wir uns davon? Oder sagen wir, ja das ist unsere Kultur, das ist unsere Herkunft, das ist unsere Erziehung? Wir haben das so gelernt. Und das wollen wir hier auch so fortführen. Sind wir das?"
"Das waren, glaube ich, Flüchtlinge, die neu hierher gekommen sind. Hier in der westlichen Welt ist es ja so, dass viele Frauen im Gegensatz zu deren Frauen sehr offen herumlaufen und viele denken einfach, ja, das ist wie so eine Eintrittskarte."
"Wobei die Frauen ja nicht mal freizügig waren, es war ja Winter, und die waren eigentlich sehr wohl mit Mantel und dicken Jacken unterwegs."
Gespräche über Ehe, Kinder, Frauen und Politik
Der Sozialarbeiter Mehmet Kiratli leitet die Gruppe in den Räumen des Vereins "Aufbruch Neukölln". Der wurde vor über zehn Jahren von dem Berliner Psychologen Kazim Erdogan gegründet und bietet eine Vielzahl von Projekten im sozialen, erzieherischen und schulischen Bereich an.
In Kiratlis Gruppe treffen sich jede Woche muslimische Männer, um über Themen wie Ehe, Kinder, Frauen und Politik zu diskutieren. Manche der Teilnehmer sind erst seit Kurzem in Deutschland, andere schon viele Jahre, manchmal Jahrzehnte. Unter ihnen sind Junge wie Alte, Arbeitslose und Berufstätige.
Für sie alle, glaubt Sozialarbeiter Kiratli, ist das Nachdenken über Geschlechterrollen und Vorstellungen von Männlichkeit von großer Bedeutung. Das Männerbild sei oft sehr traditionell:
"Der Mann muss stark sein, muss seine Familie ernähren, muss ein Vorbild seinen Kindern gegenüber sein, muss seine Familie nach außen beschützen. Aber stellen Sie sich vor, dass der Mann in dieser Gesellschaft arbeitslos ist, keinen Kontakt nach außen hat, keine sozialen Kontakte hat, und in der Familie auch nicht darüber gesprochen werden kann, auch keine Hilfe erwartet werden kann. Dann tun die sich natürlich sehr schwer und es kommt unweigerlich dazu, dass es Spannungen in der Familie gibt, was dann in Gewalt ausbrechen kann."
Damit meint Kiratli nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch verbale und psychische, also wenn die Männer andere anbrüllen, heruntermachen und drangsalieren.
"Diese Frage bringt mich wiederum dazu: Was würden wir, wir Männer, so wie wir hier sitzen, tun, wenn unsere Tochter sagen würde, ich möchte gerne nach Köln auf diese Feier zum Hauptbahnhof, ich möchte mit meinen Freunden da feiern."
"Kann sie gehen. Aber das sage ich so. Aber es gibt auch andere Männer, die erlauben das nicht. Nein, Frauen dürfen nicht, Mädchen dürfen nicht. Aber wenn Sie mich fragen würden, ich erlaube das. Ich sage, du bist frei, du kannst machen, was du willst."
"Was bedeutet für uns Ehre eigentlich?"
Die Meinungen in der Gruppe sind geteilt. Während die einen ihren Töchtern und Frauen ein selbstbestimmtes Leben gönnen, zeigen andere sich konservativ.
"Was bedeutet für uns Ehre eigentlich? Was ist Ehre für uns?"
"Nun Ehre ist wichtig und beschützt die eigene Familie. Ich finde das sollte man erhalten."
"Wer hat uns ermächtigt, bevollmächtigt, dass wir Wächter von Frauen und Mädchen sein sollen?"
"Wir haben sowas von keinem bekommen. Das haben wir schon selber gesagt. Ach so, ich habe eine Schwester, ich habe eine Mutter, automatisch weiß ich, jetzt schütze ich die."
Auseinandersetzungen mit den Ehefrauen, den Kindern, Scheidungsfälle – das sind meist die Beweggründe, Kontakt zum Neuköllner Männertreff zu suchen. Die Teilnehmer erhoffen sich Rat für ihr konkretes Problem und bleiben dann, weil sie merken, dass die Gespräche ihnen weiterhelfen.
Die Treffs sind in ganz Berlin bekannt, werden auch von Jugendämtern empfohlen.
"Worüber wir sehr kontrovers diskutieren, wenn in den Schulen Klassen zum Beispiel Klassenfahrten machen wollen, kommt es zu Diskussionen, dass die Väter dann sagen, mein Sohn darf mitfahren, aber meine Tochter darf nicht mitfahren. Ich weiß nicht, welche Bilder in den Köpfen dieser Väter durchlaufen, was auf Klassenfahrten alles passieren kann.
Also meine Antwort ist dann sehr oft den Vätern gegenüber: 'Traust du deiner Tochter?' Dann kommt zu 100 Prozent immer: 'Natürlich traue ich meiner Tochter'. Dann ist meine Antwort darauf: 'Aber wenn du ihr traust, dann müsstest du sie doch eigentlich mitschicken dürfen'. Und am Ende erreichen wir manchmal, dass einige Väter sagen: 'Okay, meine Tochter darf mitfahren'."
Sprechen für eien bessere Integration
Mehmet Kiratli leitet die Diskussionen nicht ergebnisoffen. Ihm geht es um Integration. Er findet, dass Minderheiten sich an die Mehrheit bis zu einem gewissen Grad anzupassen haben. Das führt mitunter zu Unmut in der Gruppe, berichtet Kiratli, sogar zu Wutausbrüchen ihm gegenüber. Dann gäbe es auch Vorwürfe:
"'Ihr habt ja eigentlich mit unserer Kultur, mit unserem Glauben, den wir hier haben, den wir beschützen müssen, hier in dieser Gruppe, nichts mehr zu tun! Ihr wollt uns auf einen anderen Weg bringen!' Wenn jemand so etwas behauptet, das ärgert mich dann schon sehr, weil in keinster Weise versuchen wir in diesen Gruppen, die Menschen irgendwie von ihrem Glauben oder von ihrer Kultur abzubringen. Sondern wir möchten ihnen helfen, sich in dieser Gesellschaft mit ihren Werten in dieser Gesellschaft zurechtzufinden."