"Da das Opferfest das höchste islamische Fest ist, und es ist sehr emotional konnotiert. Also es ist wie für Christen Weihnachten. Selbst die, die religiös sehr unmusikalisch sind und im Alltag nicht so viel praktizieren, die kommen dann eben doch in die Moschee fürs Opferfest", sagt Lauren Drover. Die Religionswissenschaftlerin erforscht an der Universität Bonn den Islam in Deutschland.
Beim Opferfest ist es Brauch, ein Tier zu schlachten. Das geht zurück auf eine Geschichte im Koran - und zwar die von Abraham – oder auch Ibrahim. Demnach befiehlt Gott ihm im Traum, seinen Sohn zu opfern. Er ist bereit, ihn zu schlachten. Damit hat Abraham die Prüfung bestanden, so der Koran. Gott schickt ihm, seinem "gläubigen Diener", stattdessen ein Tier zum Opfern. In Erinnerung an Abraham schlachten viele Muslime beim Opferfest ein Tier. Denkbar sind eine Kuh, ein Kamel oder eine Ziege, aber am üblichsten ist es, ein Schaf oder ein Lamm zu opfern. Ein Drittel wird an Arme und Bedürftige verschenkt, ein Drittel an Freunde und Verwandte, und ein Drittel behält die Familie.
"Manche Leute sagen: 'Es ist unislamisch, ein Tier zu quälen'"
Muslime in Deutschland legen unterschiedlich aus, wie und ob zum Opferfest ein Tier geschlachtet werden soll.
"Also natürlich hat jede Gemeinde einen unterschiedlichen theologischen Blick, je nachdem, welcher Rechtsschule sie angehören, und je nachdem, aus welcher geografischen Gegend sie kommen. Also, es gibt halt Ansätze, die es als Pflicht sehen, also als muslimische Pflicht: Das muss gemacht werden. Dann gibt es die Erlaubnis, dass man es machen kann, man muss es aber nicht; und dann gibt es im ganz weit liberalen Spektrum eben Leute die sagen, nee, das ist einfach unislamisch, ein Tier so zu quälen", sagt Lauren Drover. Neben der Frage, wie die Geschichte von Abraham im Koran ausgelegt wird, spielt auch Tradition eine große Rolle für Muslime in Deutschland.
"Gerade solche Sachen wie das Opferfest, also Festtage, die sind sehr eng verbunden mit der Volkstradition, wie wir das nennen, in den jeweiligen Ländern, wo sie herkommen. Da geht es weniger um theologische Fragen, also wie im Koran was ausgelegt werden soll, sondern es geht vielmehr darum, wie haben das die Eltern, die Großeltern, die Urgroßeltern schon immer so gemacht. Und da zeigen sich dann auch wieder Generationenbrüche, auch innerhalb jeder einzelnen Gemeinde. Also es gibt da jüngere Leute, die einen anderen Blick darauf haben."
"Wenn ich ein Hammel schlachte, wie kann ich das ertragen?"
Die Abu-Bakr-Moschee im Kölner Stadtteil Zollstock liegt zwischen drei Bahntrassen, gegenüber: eine Tankstelle. Neben dem Eingang stehen Holzregale für die Schuhe. Auch Metwaly Mousa geht auf Socken. Er ist Imam in der Moschee. In seinem kleinen Büro gehen die Bücherregale bis zur Decke, es gibt kein Fenster. Metwaly Mousa sitzt dort mit kariertem Hemd, Hosenträgern und bestickter Mütze und erinnert sich, wie er mit seiner Familie das Opferfest gefeiert hat – inklusive Schlachtopfer.
"Ich habe das mehrere Male gemacht, also ich bin seit langem hier in Deutschland, und als die Kinder bei mir zuhause waren, haben wir das jedes Jahr gemacht. Aber jetzt sind alle Kinder verheiratet und haben ihre Wohnung und auch meine Frau ist verstorben. Ich bin alleine zuhause, wenn ich jetzt ein Hammel schlachte, wie kann ich das ertragen? Das kann ich nicht."
Die Abu-Bakr-Moschee ist eine der größten arabischen Moscheen in Köln. Spiegel Online nannte die Moschee einen "Treffpunkt der Muslimbruderschaft". Metwaly Mousa sagt von sich selbst, er sei kein Mitglied irgendeiner Gruppe. Fest steht: Die Ausrichtung der Moschee ist sunnitisch und die Auslegung des Korans eher streng und konservativ.
"In Städten braucht man Termine, um Hammel zu schlachten"
Der Imam legt großen Wert darauf, dass das Opferfest nach muslimischen Regeln begangen wird. Die Feier beginnt mit einem ausführlichen Festgebet. Frauen und Männer beten getrennt. Auch das anschließende Gemeindefest ist geschlechtergetrennt. Oben, in der Loge, feiern die Frauen, unten die Männer und die Kinder. Für den Imam ist die rituelle Schlachtung eines Tieres beim Opferfest besonders wichtig.
"Wenn der Moslem, besonders der, der in Deutschland lebt, in der Lage ist, einen Hammel zu schlachten, kann er das. Wenn er in großen Städten wie Köln lebt, dann muss er mit einem Schlachthof einen Termin haben, dass er in dieser Zeit kommen kann und ein Hammel schlachten kann. In Dörfern zum Beispiel kann man mit dem Farmer auf seine Farm gehen und dort ein Hammel schlachten. Er bringt das nach Hause, kann für die Armen ein Drittel abgeben, kann seine Freunde einladen und seine Familie davon ernähren."
So ein Schaf kann schon mal bis zu 500 Euro kosten. Wenn eine Familie nicht genug Geld hat, um sich selbst ein Hammel zu kaufen, schlägt Imam Metwaly Mousa vor, sich mit anderen Familien zusammenzutun. Alternativen zum eigenen Schlachtopfer gibt es aber auch.
"Ich rate den Muslimen, dass sie das Geld nach ihren Ländern schicken, es gibt viele arme Leute dort. Denken Sie an die Muslime jetzt in Jemen, oder in Ägypten, die sehr arm sind. Dann raten wir den Muslimen, dass sie die Opfer dort machen, weil hier die armen Leute sind nicht so viel."
Wer in Deutschland selbst ein Schaf schlachten möchte, muss dafür eine Genehmigung beantragen. Dazu Religionswissenschaftlerin Lauren Drover:
"Viele, die schon länger hier sind, haben sich halt mit der bürokratischen Situation so ein bisschen abgefunden. Was man noch dazu sagen muss, es gibt natürlich auch Leute, die das gegen jede Regel heimlich machen. Also da wird natürlich auch schon mal schwarzgeschlachtet."
"Öko-Islam" nur eine Mode?
Junge Muslime in Deutschland, so beobachtet die Religionswissenschaftlerin, werden wieder religiöser. Und praktizieren muslimisches Leben anders als die Generationen zuvor. Sie informieren sich im Internet, diskutieren mit Gleichaltrigen, statt den Imam in der Gemeinde zu fragen. Einige begründen Vegetarismus und Tierschutz mit dem Koran. Dieser sogenannte "Öko-Islam" ist mehr als eine Mode, meint Lauren Drover.
"Dass diese öko-islamische Bewegung, die sich für Tierschutz und gegen das Schächten speziell einsetzt, dass die gleichzeitig ungefähr mit der Öko-Bewegung in Europa entstanden ist, also dass es nicht eine Sache ist, die jetzt auf einmal aufkommt, weil die jungen Leute denken, Vegetarier oder Veganer sein ist irgendwie cool oder ein toller Lebensstil, sondern das ist schon etwas, das sehr lange im Entwickeln ist."
Dass sich da etwas entwickelt, kann auch Annika Mehmeti bestätigen. Sie ist im Vorstand des Liberalen Islamischen Bunds und hat die liberale Gemeinde in Frankfurt mitgegründet. Als Jugendliche ist sie zum Islam konvertiert. Sie arbeitet in einer Stilberatung in Bonn, trägt ihr blondes Haar offen und ein schwarzes Oberteil mit Spitze. Ihr Mann ist Kosovare und Muslim. Seine Familie feiert das Opferfest gerne traditionell: Die Männer schlachten das Schaf und gehen in die Moschee, während die Frauen das Fleisch vorbereiten. Annika Mehmeti und ihr Mann hingegen sind Vegetarier und kochen lieber zusammen. Mehmeti findet, dass sich in Zeiten von Massentierhaltung die Bedeutungdes Tieropfers gewandelt hat.
"Erfüllt das Schlachten noch den ursprünglichen Sinn?"
"Das Opfer eines Tieres ist für uns ja heutzutage – ich kann Fleisch im Aldi für weiß ich nicht, 1,99, es gab ja letztens die große Diskussion, kaufen, stellt es ja nicht mehr so ein Opfer dar, wie es damals auch gedacht war, also wirklich von seinem Besitz etwas zu opfern, etwas Teures, was man auch wertgeschätzt hat, mit dem man vielleicht sogar Tür an Tür gelebt hat, dadurch kann man das oder sollte das auch wirklich mal hinterfragen, ob dieses pure Schlachten eines Tieres wirklich noch den ursprünglichen Sinn erfüllt."
In muslimisch geprägten Ländern, kritisiert Mehmeti, werde Fleisch beim Opferfest in großen Mengen weggeworfen.
"Bei meinen Schwiegereltern ist es wenigstens so, da wird dann ein Lamm geschlachtet, aber es wird auch komplett bis auf die Knochen fast verarbeitet, also das ist nochmal ein anderer Gesichtspunkt, als wenn es wirklich nur darum geht: Fleisch, Fleisch, Fleisch, und dann 'ich schmeiße die Hälfte weg', das ist ja keine Wertschätzung des Tieres und nicht in dem ursprünglichen Sinne."
"Das ist nicht mein Gottesverständnis"
In der Gemeinde des Liberalen Islamischen Bunds wird viel über die Bedeutung des Schlachtopfers diskutiert. Annika Mehmeti verzichtet auf das Fleisch. Sie nimmt das Opferfest zum Anlass, "dass man dem gedenkt, also der Prüfung gedenkt, und sich auch immer wieder fragt, wie hätte man in der Situation reagiert und dieses unglaubliche Opfer, was Abraham bereit war zu bringen, rekapituliert. Und einfach die Geschichte sich nochmal vergegenwärtigt und dass eben auch überträgt, was könnte das für uns heute bedeuten."
Für sie heißt das: das, was von Gott geschenkt wurde, wertzuschätzen. Das kann auch Wertschätzung für die Umwelt bedeuten. Mit der Liberalen Islamischen Gemeinde haben sie darum vor drei Jahren beim Opferfest Müll im Wald gesammelt. Und im vergangenen Jahr hat sie gespendet. Und zwar für einen Gnadenhof, ein Tierasyl.
"Gott ist doch viel größer, als dass er jetzt eine Strichliste führt, der hat ein Schaf geschlachtet, der vielleicht fünf, also das ist nicht mein Gottesverständnis."