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"Muss mich nicht in ne' Box eintüten"

Die Liste der Künstler, die in der Musik genauso ihr Betätigungsfeld sehen wie in der bildenden Kunst, ist lang. Carsten Nicolai ist in beiden Disziplinen Weltklasse. Als Teil des Duos Diamond Version tritt er als Vorgruppe von Depeche Mode auf, als Künstler stellt er in der Frankfurter Schirn aus.

im Gespräch mit Susanne Luerweg |
    Susanne Luerweg: Herr Nicolai - wie würden Sie ihre Tätigkeit bezeichnen? Was sind Sie? Musiker, Künstler?

    Carsten Nicolai: Ich sage immer gerne Künstler. Meistens muss man das ja englisch beantworten- artist. Das beschreibt ja erst einmal nichts Genaueres und das finde ich auch ganz gut so.

    Luerweg: Also Sie wollen sich gar nicht so gerne festlegen?

    Nicolai: Ich brauche das ja nicht. Diese Festlegung ist ja etwas was das Außen von mir abverlangt. Ich selber muss mich ja jetzt nicht sozusagen in ne Box eintüten oder in eine Kategorie einfassen lassen.

    Luerweg: Sie treten als Musiker unter Namen wie Alva Noto, Alep. Sie verschwinden vollkommen hinter ihrer Musik. Sie stehen nicht im Vordergrund. Ist das wichtig? Was ist das für ein Ethos?

    Nicolai: Ja, das war am Anfang ganz wichtig für mich. Dass es einfach einen Namen gibt, der keine Vorstimmung gibt, der einfach so offen wie möglich ist, aber es ist auch relativ in der Musik, in der elektronischen Musik. In der Zeit in der ich angefangen habe, gab es einen Moment wo eigentlich mit jeder Platte fast jemand seinen Namen wechselte. Kollegen von mir, da bin ich sozusagen noch einfach mit den wenigen Namen die ich benutze, aber die haben vielleicht 15-20 verschiedene Pseudonyme. Und das war auch ein Spiel mit Anonymität.

    Luerweg: Aber jetzt haben Sie diamond version zusammen mit Olaf Bender und sie treten auf als Vorgruppe von Depeche Mode- das klingt nach Popstar Karriere

    Nicolai: Das klingt jetzt vielleicht erst mal nach Popstarkarriere. Aber depeche Mode ist auch bekannt dafür, dass sie Freunde, Bekannte bzw. Bands die sie relativ gut finden im Vorprogramm nehmen und es hat in dem Fall relativ wenig mit einer kalkulierten Popkarriere zu tun wo vielleicht irgendwelche Industrielabelmanager dahinter, um was aufzubauen, das ist wirklich mehr auf einer sehr persönlichen Ebene und das zeichnet ja auch diese Band aus.

    Und für uns - den Olaf und mich - war die Einladung auch toll, dass wir ne Band supporten die eigentlich uns jahrzehntelang supported hat und auch begleitet hat und auch einen Soundtrack geliefert hat für eine bestimmte Zeit in unserer Jugend und wir fanden das wie ne Art Ritterschlag, dass wir da sozusagen eingeladen worden sind.

    Luerweg: Wie hat es sich angefühlt?

    Nicolai: Das hat sich erstaunlich normal angefühlt, muss ich sagen. Wir waren auf alles vorbereitet, wir haben gedacht, dass kann jetzt auch sehr schief gehen, denn unsere Musik ist ja keine Musik die man erster Linie als Popmusik bezeichnen würden, eher im Gegenteil und haben uns aber auch stringentes Elektronikset dafür ausgesucht und wir sind total überrascht wie positiv das ankommt. Wir haben auch das Gefühl, dass es eine große Schnittmenge gibt von Leuten, die sich sowohl mit elektronischer experimenteller Musik und vielleicht auch mit Rasta Noton, dem Label, beschäftigen oder schon mal was gehört haben von uns – und das es nicht so weit weg liegt wie man vielleicht dachte

    Luerweg: Welche Rolle spielt eigentlich die Kunst so als Referenz- System in ihrer Musik? Oder gibt es andere Anknüpfungspuntke mit Mathematik, Physik, was man ja bei Ihnen durchaus vermuten könnte.

    Nicolai: Für mich ist die größte Inspirationsquelle eigentlich Natur. Damit verbindet sich natürlich die Frage, was ist Natur ,was sind die Dinge die uns umgeben und da wird Naturwissenschaft auf einmal wieder interessant und auch Philosophie, Dinge zu hinterfragen. Was ist das genau womit ich hier arbeite, was ist Ton,was ist Sound, was ist das Material, was ist Farbe, was ist Licht, wie nehmen wir das wahr?

    Luerweg: Aber sie haben in ihren künstlerischen Arbeiten zum Beispiel Milch mit Bässen in eine Wellenbewegung gebracht - das klingt wie ein physikalisches Experiment - was interessiert sie daran an solchen Versuchsanordnungen?

    Nicolai: Das war wie ein Experiment, natürlich. Es gibt eine ganze Reihe von diesen Fotos, die sind auch genau wie ein Experiment aufgebaut, wie ne´ Testreihe. Aber die Fotos selber sind dann halt Bilder geworden, die dann ein Eigenleben haben, die ihre eigene Identität haben , ohne dass man weiß wie die generiert worden sind, wie sie fotografiert worden sind bei den Umständen und die repräsentieren halt in ihrer Klarheit und in ihrer Abstraktion verschiedene Dinge, die mich interessieren. Also die repräsentieren einerseits Sound , andererseits auch Mathematik, vielleicht auch Chaos- das ist alles – die Begriffe sind alle in dieser Arbeit enthalten, das ist was womit ich mich beschäftige, die ganz Zeit.

    Luerweg: Die Arbeit hat sogar Gerhard Richter so gut gefallen, dass er sie als Vorlage genommen hat für eine Edition. Wie fanden Sie das?

    Nicolai: Ich fand das ganz gut, also wir haben da kurz drüber miteinander gesprochen und es gab dann noch die Idee, dass der Titel direkt heißt: "Nach einer Idee von Carsten Nicolai" insofern fühle ich mich da eher geehrt, wenn Gerhard Richter die Arbeit als Referenz für ne weitere Arbeit von sich sieht.

    Luerweg: Können Sie sagen, worin mehr Herzblut liegt? Mehr Herzblut in der Kunst, mehr Herzblut in der Musik oder schlagen da ganz klar zwei Herzen in der Brust oder ist womöglich alles eins?

    Nicolai: Ich kann da wirklich so meinen Intuitionen folgen. Wenn ich merke, dass ich keine Energie habe eine bildnerische Arbeit zu schaffen , das eher meine Energie Richtung musikalische Ideen geht, dann folge ich dem rein intuitiv. Und genauso umgekehrt. Und ich finde das eigentlich einen ganz wichtigen Moment, weil künstlerische Produktion hat auch was mit künstlerischem Scheitern zu tun, es hat auch was damit zu tun ,dass man in Löcher fällt und glücklicherweise Wechsel ich dann ganz einfach das Medium, um dieses Loch nicht zu erleben.

    Luerweg: Können Sie sich erklären warum so viele Künstler auch Musiker sind? Warum da häufig beide Disziplinen versucht werden zu leben? Paul Klee hat es nicht geschafft, obwohl er wunderbar Cello gespielt hat, aber es ist eigentlich nichts Neues dieser Pakt zwischen Kunst und Musik, der hat eine lange Tradition.

    Nicolai: Ich glaube es gibt da eine ganz enge Verbindung, die eher im Emotionalen zu suchen ist. Ich sage das - eher witzig - dass eigentlich die besseren Musikhochschulen die Kunsthochschulen sind, weil die Liste der Bands die ist sehr lang. Man ahnt nicht wie viele der Musiker die man kennt auch mal Kunst studiert haben, zumindest auch von den Leuten die ich auch sehr schätze. Ich glaube, dass es sicher auch was damit zu tun hat, dass die Kunsthochschulen sehr viel Freiraum lassen und dass es auch ne´ Unzufriedenheit gibt über das Medium in dem man gerade steckt und sich versucht zu befreien über ein anderes Medium und vielleicht auch damit zu tun, dass bildende Kunst was mit Vereinsamung zu tun hat im kreativen Prozess und das in der Musik eigentlich oft um Kommunikation geht. Und dass man das sehr stark vermisst und die Idee eine Band zu gründen, mit anderen kreativ zusammenzuarbeiten in der Musik ist ein weit weit verbreitetes Modell- das war schon immer so. in der bildenden Kunst sind das eher Unikate, eher Solitäre die da herausgebildet werden.


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