Italien, im Sommer 1920. Das Land zählte zu den Siegermächten des Ersten Weltkrieges, dennoch kehrte keine Ruhe ein. 670.000 junge Männer waren gefallen, hunderttausende Veteranen beschäftigungslos. Es kam zu Streiks und Fabrikbesetzungen, rechte Schlägertrupps schürten die Gewalt. Im November 1921 gründete der Journalist Benito Mussolini den Partito Nazionale Fascista, die Faschistische Partei.
Der Historiker Hans Woller, Verfasser eines Standardwerks über Mussolini: „Mussolini war zunächst einmal ein Kind der europäischen Arbeiterbewegung, er war ein mit allen Wassern gewaschener Taktiker, ein genialer Agitator und ein Ideologe mit gespenstischen Visionen, die aber, trotz aller bizarren Verworrenheit, ziemlich genau zu der Stimmungslage seines zerrütteten und mental schwer verletzten Landes passten.“
Mussolini bündelte unterschiedliche politische Kräfte
Gewalt galt für Mussolini als Schlüssel für eine kollektive moralische Erneuerung. Es gelang ihm, unterschiedliche politische Kräfte zu bündeln: „Mussolini versprach, die Linke in die Schranken zu weisen, die anscheinend dabei war, eine bolschewistische Revolution zu starten, Mussolini versprach, Italien zu alter römischer Größe zurückzuführen.“
Dem ambitionierten Parteiführer schwebte eine Art Wohlfahrtsstaat vor. Er zog sowohl die Kirche als auch die Industriellen auf seine Seite. Am 11. August 1922 bekannte Mussolini in einem Interview: „Dass der Faschismus Staat werden will, ist ganz klar. Nicht ebenso klar ist aber, dass er einen Staatsstreich auf sich nimmt, um dieses Ziel zu erreichen.“ (Zitat)
Historiker: Die Faschisten besaßen bereits viel Macht
Lauthals forderte Mussolini die Macht. Am Morgen des 28. Oktober setzten sich 5.000 eher schlecht ausgerüstete Schwarzhemden in Richtung Rom in Bewegung, die im Laufe des Tages auf 15.000 anwuchsen. „Man spricht von Operettenrevolution oder von einem großen Bluff, und das hat die Begründung darin, dass der Marsch auf Rom tatsächlich relativ unblutig vor sich ging, und weil Mussolini sich erst in den Zug von Mailand nach Rom setzte, als er schon zum Ministerpräsidenten auserkoren war. Aber Vorsicht, Vorsicht mit solchen Etikettierungen.“
Der amtierende Ministerpräsident Facta hatte die Ausrufung des Belagerungszustands vorgeschlagen, doch der König unterschrieb das Dekret nicht. Es wurde zurückgezogen, die Regierung verlor jegliche Autorität, und Viktor Emanuel III. trug Mussolini das Amt an.
„Der Marsch auf Rom war ein hochkomplexer Vorgang, denn bereits vor dem 28. Oktober war es zu Märschen auf andere Städte gekommen, die Faschisten geboten damals ja über 200.000 oder 300.000 sehr aktivistische Mitglieder, und sie hatten ein eigenes Heer in Gestalt bestens ausgerüsteter Schlägertrupps, also die Faschisten kontrollierten vor dem Marsch auf Rom bereits ganze Provinzen und ganze Regionen Italiens, man kann sogar sagen, der Marsch auf Rom hatte längst Realität gewonnen, bevor von Mussolini eigentlich der Befehl dazu gegeben worden ist.“
Erst nach seiner Ernennung rief Mussolini seine Schwarzhemden in die Hauptstadt und inszenierte einen großen Aufmarsch, bei dem es über zwanzig Tote gab. Damit wollte er dem Regierungswechsel einen revolutionären Anstrich geben.
Auftakt für eine zwanzig Jahre währende Diktatur
„Sicherlich, das Militär hätte diese faschistischen Streitkräfte stoppen können, aber viele, viele Offiziere und Soldaten sympathisierten mit den Faschisten, statteten sie gelegentlich sogar mit Waffen aus, die Regierung hatte Angst vor den Sozialisten und war überhaupt unsicher, über den Kurs, den sie einschlagen sollte, und nicht weniger unsicher war der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, nämlich der König, er hatte Angst vor einem Bürgerkrieg.“
Nur Benito Mussolini, dem mit 39 Jahren bis dahin jüngsten Ministerpräsidenten, traute man zu, Italien zu befrieden. Es war der Auftakt für die zwanzig Jahre lang währende Diktatur.