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Musterfeststellungsklage gegen VW
470.000 Autohalter gegen einen Weltkonzern

Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig beginnt der Prozess um die Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen. Verbraucherschützer und VW-Kunden sind der Meinung, dass der Autobauer bei der Schadstoff-Sofware betrogen hat und deshalb Entschädigung zahlen muss. Der Konzern sieht das anders.

Von Alexander Budde |
Seinen Škoda Superb hat sich Oliver Steib wegen der vermeintlich guten Abgas- und Verbrauchswerte gekauft. Der 43-jährige Steuerberater pendelt täglich nach Hannover. Lange war Steib ein treuer VW-Kunde – dann flog auf: Der Autobauer hat in Dieselmotoren vom Typ EA 189 eine illegale Abschaltvorrichtung eingebaut. Bei Tests auf dem Prüfstand gaukelte die Software einen niedrigen Schadstoffausstoß vor. Im realen Straßenverkehr stießen die manipulierten Diesel-Autos jedoch ein Vielfaches aus – nur im Labor wurden alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt.
"Ich habe mich für den Klageweg generell entschieden, weil ich finde, dass man sowas nicht durchgehen lassen kann. Ich fühle mich betrogen."
Steib hat sich der Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentralen und des ADAC angeschlossen. Er will seine Ansprüche gemeinsam mit anderen Geschädigten vor Gericht durchsetzen. Bis zum heutigen Auftakt der mündlichen Verhandlung haben sich rund 470.000 VW-Kunden in das Klageregister des Bundesamts für Justiz eingetragen - kostenfrei und per Online-Formular.
VW-Fahrzeuge stehen auf einem Autohof in Freiburg.
Gemeinsam klagen - Wie Verbraucher sich gegen Unternehmen wehren können
Die Musterfeststellungsklage gegen VW ist die erste ihrer Art. Die europäische Sammelklage nimmt ebenfalls Fahrt auf. Diese Instrumente ermöglichen es Verbänden, gegen Konzerne vorzugehen - ganz ausgereift sind sie noch nicht.
VW-Anwältin: "Es gibt keinen Anlass zur Klage"
Klaus Müller ist Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, kurz VZBV: "Der Verbraucherzentrale Bundesverband ist der Überzeugung, dass Volkswagen vorsätzlich und sittenwidrig seine Kunden geschädigt hat, und dass er deshalb Entschädigung zahlen muss."
Das sieht Volkswagen ganz anders. Zwar musste VW allein in Deutschland rund zweieinhalb Millionen Autos diverser Konzernmarken für ein zwingendes Software-Update zurückrufen – die Fahrzeuge seien aber zu jeder Zeit sicher und für die Nutzung im Straßenverkehr zugelassen gewesen, sagt VW-Anwältin Martina de Lind van Wijngaarden.
"Noch heute fahren die Kunden hunderttausendfach mit den Fahrzeugen. Wir sind daher der Ansicht, dass es keinen Schaden gibt und erst recht keinen Anlass für eine Klage. Wir gehen davon aus, dass das Oberlandesgericht Braunschweig und der Bundesgerichtshof diese Ansicht teilen werden."
Die Kläger argumentieren hingegen, dass ihre Diesel-Autos durch den Betrug massiv an Wert verloren hätten. VZBV-Anwalt Marco Rogert:
"Der Bundesgerichtshof hat zu der Thematik schon gesagt, dass in dem Eingehen eines objektiv nachteiligen Vertrages durch Täuschung bereits ein Schaden liegt. Zum anderen gibt es einen rein materillen Schaden natürlich durch den zusätzlichen Wertverlust, der eben aufgrund dieses Diese-Abgasskandals entsteht. Es gibt Fahrzeuge, die sind unverkäuflich. Und vor dem Hintergrund ist das schon ein Schlag ins Gesicht für alle Verbraucher, die hier betroffen sind!"
Im Erfolgsfall winken satte Provisionen
Lange Zeit waren Sammelklagen wie es sie beispielsweise in den USA gibt, m deutschen Recht nicht vorgesehen. Inzwischen vertreten spezialisierte Kanzleien im Fall VW aber durchaus viele Kläger, indem sie sich deren Ansprüche abtreten lassen. Sie überziehen VW mit einer Serie von Massenklagen – zunächst kostenlos aber im Erfolgsfall gegen eine satte Provision.
Viele Geschädigte strengen zudem auf eigenes Risiko individuelle Klagen gegen den Weltkonzern an. Nach VW-Angaben – Stand Ende September – laufen derzeit rund 60.000 Verfahren in Deutschland. In weiteren rund 40.000 Verfahren gibt es ein Urteil. Sie seien "überwiegend zugunsten von Volkswagen oder der Händler ausgegangen". In zahlreichen Fällen hat der Konzern bislang obergerichtliche - und höchstrichterliche Entscheidungen durch außergerichtliche Vergleiche verhindert. Die Entstehung von Präzedenzfällen zu Gunsten der Kläger will VW nämlich unbedingt vermeiden.
Mit dem neuartigen Instrument der Musterfeststellungsklage will die Bundesregierung die Überlastung der Gerichte durch massenhafte gleichartige Klagen vermeiden – aber auch die Position der Verbraucher stärken.
"Der Verbraucherschützer haben über zehn Jahre für eine Sammelklage in Deutschland geworben. Das Instrument der Musterfeststellungsklage ist auf jeden Fall ein Meilenstein, weil es erstmalig dieses einführt - allerdings hat das Gesetz eine Reihe von Lücken und Webfehlern. Wir können zum Beispiel nur feststellen lassen, ob Volkswagen betrogen hat, aber wir können noch keine konkrete Entschädigungssumme durchsetzen", dämpft VZBV-Chef Müller die Erwartungen. Selbst bei einem positiven Ausgang aus Sicht der Verbraucherschützer, müsste jede Klägerin und jeder Kläger den individuellen Schadensersatzanspruch anschließend noch in einem vereinfachten Verfahren selbst einklagen.
"Meine konkrete Erwartung an den Prozess ist für mich persönlich nicht in erster Linie Geld, sondern mir ist es wichtig, dadurch ein Zeichen zu setzen, dass eben ein solches Verhalten in unserer Gesellschaft nicht akzeptiert werden kann und werden darf."
Recht haben und Recht bekommen: das kann sich bei der Musterfeststellungsklage in die Länge ziehen – das weiß auch Oliver Steib. Den Prozess in Braunschweig wird der im Klageregister registrierte VW-Kunde mit Interesse verfolgen.