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Musterfeststellungsklage gegen VW
"Die Unsicherheit bei Dieselkäufern bleibt"

Die Musterfeststellungsklage gegen VW sei ein neues Mittel, das Kunden möglicherweise helfen könne, sagte Automobilexperte Stefan Bratzel im Dlf. Doch drei Jahre nach der Aufdeckung des Abgasskandales habe die Politik immer noch nicht vernünftig gehandelt - das sei ein Totalschaden beim Thema Diesel.

Stefan Bratzel im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Das Foto zeigt die Abgase eines Dieselfahrzeugs in Essen.
    Verbraucherschützer haben die erste Musterfeststellungsklage auf den Weg gebracht und wollen den VW-Konzern wegen des Abgasskandals zur Verantwortung ziehen (dpa-Bildfunk / AP / Martin Meissner)
    Jürgen Zurheide: Das Wort ist sperrig: Musterfeststellungsklage. Sperrig ist es auf jeden Fall, allerdings dahinter verbirgt sich etwas, wo man auf juristischem Wege nämlich versucht, das zu tun, was die Politiker bisher nicht geschafft haben: diejenigen, die Autos in gutem Glauben gekauft haben, Dieselautos, und jetzt feststellen, dass sie möglicherweise nicht mehr in Städte fahren dürfen, sollten und müssten entschädigt werden. Das ist jedenfalls ein erster Versuch, und heute ist ein wichtiger Tag. Bei VW wird man den sich sicher angestrichen haben.
    Wir wollen beim Thema bleiben, wollen fragen, was denn das bringt, ob das etwas bringt, was wir da heute gehört haben. Reden wollen wir mit Stefan Bratzel, dem Experten für Automobilwirtschaft, der jetzt am Telefon ist. Schönen guten Abend, Herr Bratzel!
    Stefan Bratzel: Schönen guten Abend!
    Zurheide: Erst mal diese Musterfeststellungsklage, hilft das den Kunden wirklich?
    Bratzel: Das muss man noch sehen, ob es den Kunden jetzt hilft. Es ist zumindest erst mal ein Mittel, das ja jetzt neu existiert, das helfen könnte, wenn denn die Richter tatsächlich im Sinne der klagenden Kunden oder in dem Fall erst mal der klagenden Verbraucherzentrale des ADACs gewinnen.
    Zurheide: Raten Sie denn den Menschen, die betroffen sind oder möglicherweise betroffen sind, mitzumachen? Gibt es da Risiken aus Ihrer Sicht?
    Bratzel: Ich glaube, Risiken gibt es erst mal nicht. Man muss ja erst mal abwarten. Klagen tut ja Verbraucherzentrale und der ADAC, und die übernehmen die Risiken, aber selbst wenn sie gewinnen sollten, dann müssen ja die potenziell Geschädigten auch noch mal selber klagen, allerdings dann mit einer sehr viel positiveren Aussicht.
    Wenn Konzerne unterliegen, werden sie Vergleich anbieten
    Zurheide: Die Frage ist ja, viele analysieren jetzt - so haben wir es auch gerade in dem Beitrag gehört -, dass die Konzerne irgendwann dann möglicherweise einen Vergleich anbieten, dass man vielleicht gar nicht in diese Prozedur gehen muss. Ist das eine Überlegung, von der Sie sagen, ja, die hat was?
    Bratzel: Ja, die hat sicherlich was. Also das wird sicherlich der Punkt dann sein, dass die Konzerne, wenn sie das Gefühl haben, dass sie ihr wahrscheinlich unterliegen werden, dann werden sie einen Vergleich anbieten, der dann so attraktiv ist, dass die meisten hier zustimmen, und das wird die wahrscheinliche Entwicklung der Dinge dann sein.
    Zurheide: Auf der anderen Seite gibt es ja auch von Seiten der Politik immer wieder neue Anläufe. Ich weiß gar nicht den wievielten Gipfel es jetzt geben soll. Heute ist dann bekannt geworden, am 8. November will man wieder mit der Automobilindustrie zusammensitzen. Könnte sein, dass da sozusagen eine Scherenbewegung auf die Automobilindustrie zuläuft. Sehen Sie, dass die Politik endlich irgendetwas tut, was die Menschen ja übrigens längst erwarten?
    Bratzel: Ja, was Sie sagen, ist völlig richtig. Die Politik hat sich wirklich nicht mit Ruhm bekleckert. Es ist, wenn man so will, ich nenne es gerne eine nachlaufende Untersteuerung, was die Politik macht.
    Zurheide: Das ist aber sehr freundlich ausgedrückt!
    "Hardwarenachrüstungen das kleinere Übel"
    Bratzel: Ja, es war viel Symbolpolitik dabei. Man hat wirklich jetzt drei Jahre, nachdem der Dieselskandal aufgedeckt wurde, noch nicht vernünftig gehandelt, oder wir sind immer noch mitten in der Dieselkrise. Die potenziellen Entschädigungen kommen eigentlich nicht voran. Die Unsicherheit bei den Dieselkäufern bleibt, und das Wichtigste: Fahrverbote, das eigentliche Ziel der Bundesregierung, Fahrverbote zu verhindern, auch das ist nicht gelungen. Also es ist, wenn man so will, ein politischer Totalschaden im Hinblick auf das Thema Diesel.
    Zurheide: Wie sehen Sie das: Viele sagen ja, es geht nur mit Hardwarenachrüstung und Punkt, wie sehen Sie das?
    Bratzel: Nun, es ist wirklich keine ganz einfache Thematik. Das Kind ist wirklich in den Brunnen gefallen, das Dieselkind, wenn man es salopp formuliert, und man kriegt es nicht mehr hoch. Hardwarenachrüstungen, muss man sagen, sind natürlich teuer, und sie wirken erst nach einer gewissen Zeit. Diese Hardwarenachrüstungen müssen jetzt mal entwickelt und genehmigt werden, und dann müssen sie in die jeweiligen Fahrzeuge eingebaut werden. Das wird aller Voraussicht nach, wenn das denn dazu kommt, noch ein, zwei Jahre dauern, und erst dann treten die Maßnahmen ein, aber in der Abwägung des riesigen Vertrauensverlustes sowohl der Politik als auch zu allererst der Autoindustrie glaube ich, dass Hardwarenachrüstungen das kleinere Übel sind.
    Zurheide: Es sind ja viele Menschen, die sagen, bei allen attraktiven Angeboten, die da möglicherweise sind, ich kann oder will mir jetzt kein neues Auto kaufen, und wenn es dann um, was weiß ich, 2- oder 3.000 Euro geht, und da muss die Industrie sich beteiligen, der Gedanke ist ja nicht ganz fernliegend, oder?
    Bratzel: Ja, ich meine, das ist tatsächlich so. Der Frust ist sehr, sehr groß, und man muss auch sagen, der, der den Schaden angerichtet hat, muss auch den wieder begleichen. Also der Ball liegt schon bei der Autoindustrie. Man muss sagen, einiges ist schon passiert, es gibt Pakete, die angeboten werden. Man kann sich drüber streiten, ob das genug ist, ob nicht den Kunden noch mehr hätte entgegengekommen müssen. Ich glaube auch, dass von Anfang an es sinnhaft gewesen wäre, dass man zumindest eine symbolische Entschädigung gibt, und zwar von Anfang an, insbesondere durch Volkswagen. Das wäre sozusagen zumindest ein gewisses Entgegenkommen gewesen, und daran hat es in Deutschland oder in Europa auch gefehlt. Ich glaube, das war ein Fehler, und die Autoindustrie hat diesen Dominoeffekt, die dieser Dieselskandal ausgelöst hat, wohl nicht richtig gesehen.
    Fahrverbote kommen "höchstwahrscheinlich"
    Zurheide: Der entscheidende Punkt ist, man muss den Menschen am Ende überlassen, ob sie ein neues Auto kaufen wollen. Da kann die Industrie was tun, wenn sie quasi Verkaufsförderung betreibt oder ob man sagt, nein, ich möchte, dass mein Ding da vernünftig funktioniert, also muss ich es umrüsten können, Punkt.
    Bratzel: Ja, das kann man so fordern. Natürlich muss man sehen, gewisse Softwareumrüstungen hat die Industrie jetzt ja zugesagt, und mit diesen Umrüstungen wird eine Verbesserung erreicht. Die ist freilich noch nicht so gut, dass Fahrverbote dann dadurch verhindert werden können und dass die Gerichte sagen, ja, das reicht. Also da hätte schneller noch mehr passieren müssen, und in der Tat, man kann sich die Frage tatsächlich stellen, ob jetzt die Dieselfahrer das ausbaden müssen. Da sehe ich aber tatsächlich auch den Ball auch noch bei der Politik. Die hätte viel früher viel massiver reagieren müssen, und was jetzt passiert, ist sozusagen kleine Aufräumarbeiten, wie man jetzt noch mal versucht, das Problem zu lösen. Man darf ja nicht vergessen, es wird höchstwahrscheinlich zu Fahrverboten kommen. Es gibt enorme Wertverluste, die die Dieselfahrer selber tragen müssen, und all das ist sicherlich nicht dazu angetan, Vertrauen in Politik und Autoindustrie zurückzugewinnen.
    Zurheide: Danke schön! Das war der Automobilexperte Stefan Bratzel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.