Jörg Münchenberg: Vor dem Oberlandesgericht in Braunschweig beginnt heute die mündliche Verhandlung in einem sogenannten Musterverfahren gegen Volkswagen. Für den Autobauer geht es dabei um sehr viel Geld, denn Anleger fordern Schadensersatz in Milliardenhöhe. Der Hintergrund: die massiven Kursverluste im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen in den USA. Muss VW die Anleger entschädigen, weil der Autobauer die Börsen viel zu spät über den Skandal informiert hatte?
Zugehört hat die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner von den Grünen, zuständig auch für den Verbraucherschutz. Frau Rößner, ich grüße Sie!
Tabea Rößner: Ich grüße Sie!
"Dass hier viel aufzuklären ist, das sieht man ja"
Münchenberg: Frau Rößner, wie wichtig ist jetzt dieser Musterprozess, der heute in Braunschweig gegen Volkswagen beginnt, bei der Aufarbeitung der Diesel-Affäre?
Rößner: Bei dem Prozess geht es ja darum, ob der VW-Konzern seine Informationspflicht gegenüber seinen Aktionären erfüllt hat. Dazu ist der Konzern dem Gesetz über den Wertpapier-Handel nach verpflichtet. Er muss sämtliche Informationen unverzüglich veröffentlichen. Wenn er das unterlässt – und es ist dann egal, ob es vorsätzlich oder grob fahrlässig ist – und Informationen über einen längeren Zeitraum zurückhält, gilt das als sittenwidrige Schädigung. Dreh- und Angelpunkt in diesem Prozess ist: Wer hat was zu welchem Zeitpunkt über diese Abgasmanipulation gewusst. Wenn dies bei diesem Prozess geklärt wird, hat das natürlich auch einen Nutzen für die Verbraucherinnen und Verbraucher, denn es gibt jetzt bereits einige Klagen, in denen Kunden von manipulierten Diesel Schadensersatz von VW fordern oder ihre Autos zurückgeben wollen. Ab November ist dann auch die Musterfeststellungsklage in Kraft. Da werden wahrscheinlich noch mal viele weitere Autohalter ihre Ansprüche geltend machen. Es gibt eine Frist bis Ende des Jahres und deshalb ist natürlich alles, was im Vorfeld bereits geklärt wird, hilfreich auch für die Durchsetzung der Ansprüche von den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Dass hier viel aufzuklären ist, das sieht man ja. Die Bundesregierung hat das leider in den vergangenen Jahren blockiert und verhindert.
Münchenberg: Darauf kommen wir gleich noch mal zurück. – Wie würden Sie denn die Haltung von Volkswagen mittlerweile bewerten, denn der Konzern suggeriert ja nach außen, dass sie sich durchaus gebessert hat, auch gerade was die Öffentlichkeitspolitik angeht?
Rößner: Sie hat sich vielleicht in den vergangenen Monaten etwas aufgemacht, aber zentral ist ja das, was in der Vergangenheit passiert ist und was das Verprellen vieler Kundinnen und Kunden betrifft, was den Betrug betrifft und die Freiwilligkeit, die die Autokonzerne nach diesen ganzen Diesel-Gipfeln gezeigt haben, die sind ja alle nicht wirklich durchgesetzt worden. Das heißt, die Prozesse bei vielen Kundinnen und Kunden sind abgeschmettert worden. Es gab wohl einige Vergleiche, aber darüber gibt es Stillschweigen. Ich denke, wichtig ist, dass hier in dem Prozess jetzt klar wird, was ist wirklich Verschulden des Konzerns und wie müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Ansprüche dann auch geltend machen können.
"Aufgeklärt ist dieser Skandal bei weitem noch nicht"
Münchenberg: Würden Sie trotzdem noch sagen, um noch mal bei der Öffentlichkeitsarbeit von Volkswagen zu bleiben, der Konzern hat sich letztlich in seiner Haltung nicht geändert? Sie haben die Vergleiche angesprochen, über die man nach außen hin wenig erfährt.
Rößner: Es reicht nicht, die Konzernspitze auszutauschen, wenn die Politik immer noch eine sehr ähnliche ist. Es gibt einige Öffnungen an die Öffentlichkeit. Es gibt ein bisschen mehr Öffentlichkeit, weil VW da auch unter Druck geraten ist. Aber es könnte doch weitaus mehr sein, weil wichtig ist doch, dass jetzt auch die Kundinnen und Kunden, gerade wenn eine Frist droht, ihre Ansprüche geltend machen können, und aufgeklärt ist dieser Skandal bei weitem noch nicht. Da hat VW genauso gemauert wie alle anderen auch.
Münchenberg: Sie haben es schon gesagt: Es geht um die Frage bei diesem Musterprozess, wer hat was wann gewusst. Würden Sie soweit gehen und sagen, da wird jetzt vor Gericht das aufgearbeitet, was die Politik eigentlich versäumt hat?
Rößner: Ich fürchte, das ist so, denn sowohl der damals zuständige Bundesverkehrsminister wie auch jetzt sein Nachfolger haben keinen großen Eifer gezeigt, das jetzt aufzuklären, und auch die Kanzlerin hat sich immer an die Seite der Automobilkonzerne gestellt und die schützende Hand über die Autoindustrie gehalten. Abgasgrenzwerte in Europa wurden geschliffen, Tricksereien wurden geduldet und die Aufklärung kam nicht voran. Damit gefährdet man nicht nur die Gesundheit der Menschen, sondern auch den Automobilstandort Deutschland und prellt Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Bundesregierung hätte aktiv werden müssen, hätte aufklären müssen und hätte auch vorgehen müssen. Sie hätte die Abgasmanipulation durch Volkswagen auch ahnden müssen. Das ist im Übrigen auch die Auffassung der EU-Kommission. Die Bundesregierung hätte satte Bußgelder verhängen können, damit solches Fehlverhalten und so ein Betrug auch ordentlich sanktioniert wird.
VW hat viel zu spät gehandelt
Münchenberg: Rechnen Sie denn jetzt bei diesem Musterprozess vielleicht doch noch mit großen Überraschung, gerade wer was wann gewusst hat beim Diesel-Skandal?
Rößner: Ob es große Überraschungen gibt? – Es gibt ja die Position der Kläger, die sagen, 2008 hätten schon Informationen mitgeteilt werden müssen. Ich hoffe, dass das auch wirklich jetzt geklärt wird, ob es tatsächlich 2008 oder 2014 ist. Ich denke aber, die meisten vermuten schon, dass deutlich wird, dass Volkswagen viel zu spät, nämlich erst nachdem durch den Skandal in den USA das dann auch öffentlich wurde, dass dieser Zeitpunkt deutlich zu spät war.
Münchenberg: Auf der anderen Seite muss man auch sagen, bei diesem Musterverfahren geht es vor allem um institutionelle Großanleger, nicht um betrogene Kleinanleger. Der "normale" VW-Kunde wird ja erst einmal nicht von diesem Prozess profitieren.
Rößner: Einmal gibt es natürlich auch Kleinaktionäre. Die profitieren von einem Urteil in der Richtung auch. Aber noch mal: Wenn dieser Prozess dazu dient aufzuklären, wer tatsächlich wann was gewusst hat, dann hat das natürlich Auswirkungen für die Autohalterinnen und Autohalter, die einen Diesel haben, der manipuliert ist, wenn die ihre Ansprüche geltend machen wollen, denn Ende des Jahres endet die Frist, um diese Ansprüche einzuklagen. Deshalb ist es wichtig, dass da viel Aufklärung jetzt erfolgt, damit klar ist, wer ist denn eigentlich davon betroffen und wer kann seine Ansprüche wie geltend machen.
"Hardware-Umrüstung ist das einzige, was auch wirksam ist"
Münchenberg: Nun gibt es ja im Augenblick noch Streit zwischen Umwelt- und Verkehrsministerium bei der Nachrüstung von Hardware für betroffene Diesel-Fahrzeuge. Haben Sie da noch Hoffnung, dass sich die Bundesregierung doch noch zu einer Hardware-Nachrüstung durchringen könnte?
Rößner: Wir als Grüne werden alles dafür tun, dass das kommt, weil die Hardware-Umrüstung ist das einzige, was auch wirksam ist. Wir haben weitere Fahrverbote. Frankfurt hat jetzt gerade ein Urteil erlebt. Das heißt, wir werden jetzt weitere Prozesse haben. Die Fahrverbote werden wahrscheinlich in weiteren Städten durchgesetzt werden müssen. Um tatsächlich etwas für die Gesundheit der Menschen zu tun, für eine bessere Luft, Schadstoffe aus der Luft rauszuhalten, ist es notwendig, dass es diese Hardware-Umrüstung gibt.
Münchenberg: Noch ein Wort zu dem Prozess. Der geht ja sehr lange. Das wird sich sicher weit ins nächste Jahr hineinziehen. Wie ist Ihre Einschätzung für den Prozessverlauf? Rechnen Sie damit, dass VW zum Ende wird zahlen müssen? Werden die Kläger vor Gericht Erfolg haben?
Rößner: Als Politikerin ist es nie gut, einen Prozessausgang im Vorfeld vorherzusagen. Ich kann nicht in die Glaskugel gucken. Ich glaube aber, die Argumente auf der Klägerseite sind stichhaltig, und ich bin gespannt und hoffe, dass es eine Klärung gibt und dass dann auch die geprellten Kundinnen und Kunden ihre Ansprüche geltend machen können.
Münchenberg: Heute beginnt in Braunschweig das Musterverfahren gegen Volkswagen wegen der Abgasmanipulationen in den USA. Das waren Einschätzungen und Meinungen von Tabea Rößner von den Grünen. Frau Rößner, vielen Dank für das Gespräch.
Rößner: Ich danke Ihnen!
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