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Mutter aller Affen?

Paläontologie. - Nachdem vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier ausgestorben waren begann der Siegeszug der Säugetiere. Irgendwann entstanden die ersten Primaten, aus denen sich später auch Neuweltaffen, Altweltaffen und schließlich auch die Menschen entwickelten. Nun präsentiert ein internationales Forscherteam im britischen Fachmagazin "Nature" das bislang älteste bekannte Primatenskelett, gefunden in China.

Von Michael Stang |
    In der Provinz Hubei im Zentrum Chinas, nicht weit vom Lauf des Yangtse Flusses entfernt, befinden sich geologische Schichten, in denen Paläontologen seit Jahrzehnten Fossilien ausgraben. Am Grund eines ehemaligen Sees wurden aber nie spektakuläre Funde gemacht, bis zu jenem für ihn schicksalhaften Tag, sagt Studienleiter Ni Xijun von der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking.

    "Die Entdeckung des Fossils liegt schon zehn Jahre zurück. Wir arbeiteten wie immer an einer Stelle, wo es in der Regel nur versteinerte Fische gibt. Aber eines Tages entdeckte einer der dort lebenden Bauern dieses Affenfossil. Er kam zu mir und zeigte es mir."

    In seinen Händen hielt der Paläontologe ein winziges Fossil. Er habe gleich geahnt, dass es sich um das versteinerte Skelett eines frühen Primaten handeln könnte, doch endgültige Sicherheit sollte er erst viele Jahre später haben. Zusammen mit Kollegen aus Frankreich und den USA untersuchte und analysierte er das Fossil zehn Jahre lang. Nun ist klar: es handelt sich um einen winzigen Primaten. Dieser war nur sieben Zentimeter groß und wog zu Lebzeiten vermutlich weniger als 30 Gramm. Er war tagaktiv und ernährte sich von Insekten. Das wichtigste an diesem Fund ist aber sein hohes Alter. Dieser Uraffe lebte vor 55 Millionen Jahren, so Christopher Beard vom Carnegie Museum of Natural History in Pittsburgh.

    "Diese Zeit ist hinsichtlich der Erdgeschichte und den Anfängen der Primatenevolution sehr spannend für uns, denn damals - zu Beginn des Eozän – war es sehr warm. Die ganze Erde war fast ein einziges tropisches und subtropisches Ökosystem, eigentlich eine gute Zeit, ein Primat zu sein."

    Bei dem Fund handelt es sich nicht nur um das bislang älteste bekannte Exemplar eines Primatenskeletts, sondern dieser Winzling trägt auch entscheidend zum Verständnis der Evolution der Primaten bei. Das Tier, das den Namen Archicebus achilles erhielt, besitzt als Urform anatomischen Eigenschaften, die sich heute nur noch vereinzelt in verschiedenen Affenarten finden lassen, aber nicht mehr gemeinsam in einem Organismus vorkommen. Christopher Beard warnt jedoch davor, dieses Fundstück gleich wieder als Missing Link zu bezeichnen, also als bislang fehlendes Bindeglied zwischen den Vorfahren der ersten Primaten und ihren Nachkommen, zu denen auch wir Menschen gehören.

    "Der Begriff Missing Link ist natürlich sehr populär, vor allem für die Öffentlichkeit, weil er eine einfache Sichtweise propagiert, wie Evolution passiert oder wie wir unsere Stammbäume erstellen. Natürlich erfüllt das Fossil einige dieser Kriterien, etwa dass es eine Art Mosaik ist und anatomische Besonderheiten zeigt, die wir weder von lebenden noch von fossilen Affen kennen. Aber ich rate dennoch davon ab, diesen Begriff zu verwenden."

    Der neue Fund beleuchtet auch die Abspaltung der modernen Affen, Menschenaffen und Menschen von den Vorfahren der heute lebenden Koboldmakis. Zudem verstärkt er die Vermutung, dass alle Primaten aus Asien stammen und von dort aus nach Afrika zogen. Klar sei auch, dass es sich bei dem vor einigen Jahren präsentierten "Ida-Fossil" nicht um einen Urvater heutiger Menschenaffen, Neuweltaffen und Menschen handeln kann. Das Äffchen Ida Darwinius masillae lebte erst acht Millionen Jahre nach dem nun gefunden Tier, so Paul Tafforeau von der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle ESRF in Grenoble.

    "Schaut man sich beide Funde an, dann glaubt man bei dem Ida-Fossil nur anfangs, dass es der Urvater aller Primaten sein könnte. Schaut man sich aber unseren Fund an, dann gibt es keinen Zweifel, dass wir hier eine Frühform der so genannten Trockennasenaffen vor uns liegen haben. Man kann über Details noch streiten - gut - aber die Diskussion ist entschieden, denn wir sprechen hier einfach über zwei verschiedene Ebenen der Beweisführung."

    Als neuer Ur-Vater oder U-Mutter von Menschenaffen, Neuweltaffen und Menschen kommt jedoch auch der neue Fund nicht in Frage, denn dazu ist das winzige Äffchen schon zu spezialisiert. Eher handelt es sich um einen frühen Vorfahr der Koboldmakis, die sich schon früh vom Stammbaum der Affen abgezweigt haben.