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Muttermilch aus dem Labor

Gestillte Babys bekommen im Vergleich zu nicht-gestillten weniger Allergien und Infektionen. Aber wie macht Muttermilch das? Vor allem durch spezielle Zuckermoleküle, vermuten Forscher. Nun wurde der Muttermilch-Zucker erstmals künstlich nachgebaut.

Von Sigrun Damas |
    Die kleine Marie saugt an der Brust ihrer Mutter. Was sie noch nicht weiß: Muttermilch macht sie nicht nur satt, sondern schützt sie auch vor Krankheiten. Viele Forscher glauben, dass dafür bestimmte Mehrfachzucker zuständig sind. Stefan Weichert, Kinderarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Mannheim:

    "Mehrfachzucker kommen in erstaunlich hoher Menge vor in der Muttermilch. Wenn man sich die festen Bestandteile anschaut: Lactose, Fette – und dann kommen schon diese komplexen Mehrfachzucker. Das heißt, man hat einen großen Anteil der Muttermilch, der aus diesen Zuckern besteht. Und dann ist es spannend zu fragen: Warum ist das so?"

    Mediziner haben die Spur der Mehrfachzucker im Körper verfolgt und gesehen: Der Säugling nutzt sie gar nicht für seine Ernährung, sondern er scheidet den Großteil davon wieder aus. Deswegen liegt die Vermutung nahe, dass Mehrfachzucker eine andere Aufgabe im Körper haben – nämlich Bakterien abzuwehren. Das nachzuweisen war aber bisher aufwendig. Denn die Forscher waren auf winzige Proben von freiwilligen Spenderinnen angewiesen. Aber seit kurzem ist es möglich, Muttermilchzucker auch künstlich im Labor herzustellen und in großen Mengen. Diese künstlichen Zucker hat Stefan Weichert jetzt in der Zellkultur mit Krankheitserregern zusammengebracht. Das Ergebnis:

    "Was wir zeigen konnten in der Zellkultur ist, dass wir das Anheften eines Bakteriums an menschliche Zellen verhindern können durch den Einsatz von Mehrfachzuckern."

    Funktioniert hat das in der Petrischale gegen bestimmte Erreger von Durchfall und Lungenentzündung. Muttermilchzucker wirken dabei wie eine intelligente Müllabfuhr. Sie fangen die Krankheitskeime ab und schleusen sie über den Darm aus dem Körper heraus.

    "Die Zucker machen genau das: dass sie von ihrer Struktur den Zellen sehr ähnlich sind. Das heißt, das Bakterium bindet nicht – wie eigentlich vorgesehen - an die Körperzelle, sondern an den Mehrfachzucker, wird dadurch abgefangen und wieder ausgeschieden – es führt also nicht zu einer Infektion."

    Ob das so auch beim Menschen klappt, ist aber noch nicht bewiesen.

    "Das könnte man höchstens spekulieren. Wir sind ja jetzt ganz am Anfang, im Reagenzglas noch, dass man solche Effekte zeigen kann. Es ist noch nicht Realität, dass Sie in den Laden gehen, sich diese Mehrfachzucker kaufen – und dann werden Sie nicht mehr krank."

    Klinische Studien sollen bald anlaufen. Falls sie positive Ergebnisse bringen, könnten künstliche Mehrfachzucker in Zukunft Säuglingsnahrung zugesetzt werden. Aber das ist noch ein weiter Weg, sagt Clemens Kunz, Ernährungswissenschaftler der Universität Gießen. Erst einige wenige, die einfachsten dieser Zucker könne man jetzt im Labor herstellen. Und ganz abgesehen davon bestehe Muttermilch nicht nur aus Zuckern, sondern aus vielen weiteren Substanzen.

    "Die Muttermilch enthält eine Vielzahl an Nährstoffen. Das betrifft die Proteine, die Fette, die Kohlenhydrate, zu denen ja auch die Mehrfachzucker gehören. Die große Frage ist, ob es Einzelkomponenten sind, die eine wichtige Funktion haben oder ob es nicht ein gewisses Muster an Komponenten ist, was dann beim Säugling oder beim Menschen wirkt."

    Diese Frage bleibt offen. Und solange gilt: Muttermilch bleibt unübertroffen. Das sieht auch Forscher Stefan Weichert so:

    "Das Ziel ist nicht so sehr, die Muttermilch komplett zu ersetzen, sondern zu verstehen, wie diese Zucker funktionieren. Man muss ganz klar sagen, dass das Stillen sicherlich das Beste für das Kind ist."