Christiane Florin: Welche Mutterbilder gibt es in den verschiedenen Religionen?
Theresia Heimerl: Mutterschaft ist in allen großen Religionssystemen ein Thema, ein überwiegend positiv besetztes und tendenziell auch glorifiziertes. Man kann das ganz salopp so zusammenfassen: Frauen sind erst dann wirklich gute Frauen, wenn sie auch Mütter sind. Es gibt allerdings in Religionen, die auch so einen ganz stark asketisch-monastischen Zug haben, die Tendenz, Mutterschaft doch vor allem mit Verlust, mit Trauer zu assoziieren – und auch mit der dort ja ganz abgelehnten Fortpflanzung.
Florin: Welche Religionen sind das?
Heimerl: Das ist einerseits der Buddhismus und andererseits das Christentum. Da gibt es wie gesagt beides: Es gibt diesen Lobpreis der Mutter und die gute Mutter und die fürsorgliche Mutter und so weiter, aber es gibt eben auch das andere, ganz klar, weil man eben sagt, die Fortsetzung der irdischen Existenz und auch die Gefahr der Sexualität, die in der Fortpflanzung mündet, das ist untrennbar mit Mutterschaft verbunden, und das wird dann abgelehnt.
"... nicht mehr Verführerin, sondern Ernährerin"
Florin: Was macht eine Mutter gut, was führt zu dieser Glorifizierung? Ist das bloß die Fruchtbarkeit oder ist das die Aufopferunsgbereitschaft, die bedingungslose Liebe zum Kind?
Heimerl: Es ist zunächst einmal sicher ganz pragmatisch: Mutterschaft als Forterhalt eines Stammes, einer Sippe, auch einer Religionsgemeinschaft natürlich, ganz klar. Wenn man zum Beispiel ans Judentum denkt, wo auch die Mutter innerhalb der Familie eine sehr starke und hoch eingeschätzte Rolle hat. Und auch dann natürlich die Mutter als diejenige, die sich um die Kinder sorgt, ganz stark auch immer die Mutter als Ernährerin. Man kann das so kurz fassen: Eine Frau ist dann gut, wenn sie Mutter wird, weil sie dann nicht mehr Verführerin, sondern Ernährerin ist.
Florin: Die Mutter ist ein sexuell entschärftes Wesen, sie soll gebären, aber bitte nicht begehren.
Heimerl: Genau, und sie soll vor allem nicht begehrend machen. Mutterschaft stellt das dann sozusagen ruhig für einige Jahre. Und wenn die Mutter nicht nur ein Kind hat, sondern mehrere, wie das traditionell doch sehr lang der Fall war, dann ist das entschärft, bis sie dann ohnehin schon eine alte Frau wird. Die Frage, die man dahinter schon auch stellen muss, ist, inwieweit dann nicht auch die Mutter ab einem gewissen Punkt wieder erotisiert wird. Wenn ich im Christentum an manche Bilder denke, wo eben Maria glorifiziert wird, und dann bishin zu Maria lactans, die den erwachsenen Heiligen Bernard in einer Vision an ihrer Brust trinken lässt. Das ist natürlich eine sehr fromme Mutterschaft, aber das ganz ohne erotische Töne zu sehen, würde ich auch nicht so leicht tun. Das kann man vor allem ab der Gotik sehr schön sehen. Das sind ja keine plumpen Matronen, sondern das sind ja Frauen mit sehr grazilem, erotischem Hüftschwung. Und wenn man schaut, wie die zum Teil den Erzengel Gabriel schon anlächeln, das ist definitiv erotisiert.
Florin: Ist der Katholizismus etwas erotikfreudiger als der Protestantismus? Barbara Vinken schreibt das ja zum Beispiel in ihrem Buch über die deutsche Mutter. Stimmen Sie dem zu?
Heimerl: Ja, absolut. Sie brauchen nur in eine katholische Barockkirche hineingehen oder in eine spätmittelalterliche Kirche – so viel nacktes weibliches Fleisch sehen Sie nicht mal im Fernsehen vor 20 Uhr.
Florin: Nun hat Martin Luther die Mutterschaft regelrecht zur Berufung der Frau erklärt – genau genommen zur Berufung der Ehefrau, denn eine unverheiratete Frau sollte ja bitte nicht Mutter sein. Wirkt dieses Mutterbild in Deutschland noch nach?
Heimerl: Ja, ganz stark. Also nicht nur in Deutschland, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum. Dieses Mutterbild - die Frau soll eben Hausmutter werden, zum guten Hausvater, wie das die protestantische Tradition mit Martin Luther sagt - wirkt ganz stark noch nach und hat interessanterweise dieses katholische, andere Frauenparadigma von der gottgeweihten Jungfrau ziemlich verdrängt. Dass Muttersschaft nach wie vor oder wieder sehr, sehr umstritten ist und dass das so hochgehalten und glorifiziert wird, das verdanken wir meines Erachtens historisch betrachtet zuerst einmal Martin Luther und dann erst den Päpsten der jüngeren Vergangenheit.
Gott als einer, der seine Kinder selber machen lässt
Florin: "Mutterschaft als theologische Provokation" heißt ein neuer Aufsatz von Ihnen. Worin besteht diese Provokation?
Heimerl: Das Interessante ist, wenn man einerseits in kirchlich-lehramtliche Texte reinliest aus den letzten 50 Jahren, andrerseits aber auch in die klassisch feministische Theologie, dann findet man immer betont, naja, man muss auch von Gott als Mutter reden. Das ist natürlich super, auf den ersten Blick. Und dann kommen auch die Bilder, die dieses ganz klassische, eben die Mutter als Ernährerin, als beschützende Glucke bringen. Das ist keine Provokation. Die Provokation wäre heute eigentlich, und jetzt stellen wir uns mal Gott als Mutter von heute vor, soll heißen als berufstätige Mutter, die ihre Kinder zur Selbstständigkeit erzieht, die erwartet, dass die auch selbst den Kühlschrank auf und wieder zu machen können, die nicht dauernd erreichbar ist. Das ist ja auch ein Mutterbild: die Mutter ist immer da, die Mutter wärmt und umsorgt immer. Wenn ich eine Mutter heute, eine adäquate Mutter, ein adäquates Mutterbild heute habe, müsste ich mir Gott doch eigentlich so vorstellen: als Mutter, die eine gewisse Selbstständigkeit von ihren Kindern auch erwartet.
Florin: Also eine Mutter wie Angelina Jolie: Voll berufstätig, erfolgreiche Filme, fünf Kinder aus sechs Kontinenten adoptiert usw.? So in etwa?
Heimerl: Nein, das würde ich jetzt nicht unbedingt sagen. Ich denke eher ein etwas realistischeres Mutterbild, wie es ja sehr viele Frauen in Deutschland und auch in Österreich de facto leben. Das ist meines Erachtens für die Theologie eine gewisse Herausforderung, Gott auch einmal so zu denken, als einer, der seine Kinder auch etwas selbst machen lässt und wo man auch nicht immer gleich hinläuft und dann sagt, jetzt richtest es du wieder.
Florin: Sind nicht mehr die Männer die Feinde der Emanzipation, gerade im feministischen Diskurs, sondern die Kinder, die einen ein Leben lang binden?
Emanzipation nur ohne Kinder?
Heimerl: Ich will nicht sagen, dass die Kinder die Feinde sind. Aber Faktum ist schon, Feminismus funktioniert so lange ganz wunderbar, solange man keine Kinder hat. Zumindest für Westeuropa würde ich mal sagen, dass Frauen fast alles – lassen wir jetzt mal bestimmte Bereiche außen vor – in der säkularen Welt werden können, so lange sie keine Kinder haben. Sobald sie Kinder haben, schlägt einfach die Betreuungspflicht zu und sie fallen für oft Jahre raus und dann wird es schwierig.
Florin: Ist nicht die Erwartung überzogen, dass Emanzipation bedeutet, auch Kinder abschütteln zu können?
Heimerl: Ja, natürlich ist die Erwartung überzogen. Das ging gut für den Mann ab einer bestimmten Einkommens- und Bildungsschicht. Das ging dann auch gut in den letzten Jahrzehnten für Frauen ohne Kinder. Spätestens an dem Punkt, wo eine Frau Mutter wird, merkt man, irgendwann ist es dann aus mit der Idee von der radikalen Autonomie. Das geht nicht. Ich glaube, der Schluss daraus sollte aber nicht sein zu sagen, na ja, dann soll sie halt zu Hause bleiben, wenn's nicht geht. Meines Erachtens wäre dann eher die Frage: Müssen das immer nur die Mütter sein, die zu Hause bleiben?
Florin: Sind die viel strapazierten Mütter vom Prenzlauer Berg, die mit dem Baby gemeinsam Yoga machen und Chinesisch lernen und hippe Kinderwagen haben, sind die das, was früher die Gottesmutter Maria war – nämlich Ikonen?
Heimerl: Für eine bestimmte Gesellschaftsschicht vielleicht, und eine andere distanziert sich wieder. Ich würde sagen: Ikonen und Reibebäume gleichzeitig.
Theresia Heimerl lehrt Religionswissenschaft an der Universität Graz. Ihr Aufsatz "Mutterschaft. Theologische Provokationen zwischen Verweigerung, Selbsthingabe und Autonomie" ist in der Zeitschrift "Herder-Korrespondenz" erschienen.
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