Mit einem Trommelwirbel kommt er aus dem Bühnenboden heraufgefahren: Myon, ein Roboter, dessen Gestalt der eines Kindes ähnelt - das Gehäuse aus weißglänzendem Kunststoff, der Kopf mit einem Sehschlitz für das Kameraauge. Er wird auf einen goldenen Thron gesetzt - da stürmt ein Mann auf die Bühne: Professor Hild vom Forschungslabor Neurorobotik der Beuth-Hochschule:
"Also das geht so gar nicht. Das ist ein zerbrechlicher Roboter. Bitte immer zwei drei Leute vom Team den ganzen Abend hier am Roboter. Und dieser ganze Zauber - das führt uns in die falsche Richtung. Gob Squad, da hatten wir andere Absprachen."
Professor Hild mag keinen Bühnenzauber. Myon, sagt er, ist lange noch nicht ausgereift. Er kann zwar allein stehen und einige Worte sagen, aber laufen kann er nur, wenn er festgehalten wird. Seine Besonderheit ist, dass er selbstständig über seine Handlungen entscheidet. Er wurde nicht - wie die meisten Roboter - für konkrete Zwecke programmiert, sondern muss alles, was er tut, lernen, erklärt Hild:
"Das Einzigartige bei ihm ist, dass wir bei der Konstruktion die Autonomie sehr ernst genommen haben. Das heißt, er steht mehrere Stunden auf der Bühne mit Akkubetrieb und mit der gesamten Rechenleistung im Körper. Klassischerweise sind diese spezialisierten Roboter irgendwie an einer Nabelschnur mit einem großen Rack verbunden, wo komplizierte Rechner sind oder wo die Stromversorgung herkommt. Das beschränkt sehr stark. Und dafür kann er sehr viel, dass er für die lange Zeit mit eigener Energie und eigener Rechenleistung durchhalten muss."
Zwei Jahre Vorbereitung
Myon wurde zwei Jahre auf die Aufführung vorbereitet. Er wurde immer wieder ins Opernhaus gebracht, um die Räumlichkeiten und die Sänger kennenzulernen. Die Sopranistin Mirka Wagner hat ihn ins Herz geschlossen.
"Er wirkt total menschlich. Dieser runde Kopf und dieses riesengroße Auge, wo man denkt, das beobachtet einen. Man hat wirklich das Gefühl, da steht ein Lebewesen vor einem, und so sind auch die ganzen Szenen angelegt, dass man nicht einem Roboter was beibringt, sondern man assoziiert ein drei- oder vierjähriges Kind, dem man sein Leben erzählt."
Mirka Wagner: "Hallo Myon. Du bist da ein bisschen einsam und verloren auf deinem Stuhl. Was hältst du davon, wenn du mal zu mir nach vorn kommst ..."
Gespielt wird kein Stück, sondern eine Szenenfolge, bei der Menschen in immer neuen Situationen versuchen, Myon Gefühle beizubringen. Mirka Wagner nimmt den Roboter in den Arm und singt ihm etwas vor. Die Szene ist aus einer Improvisation entstanden, sagt Berit Stumpf von der Gruppe Gob Squad. Sie gehört zum Regieteam:
"Das erste Treffen mit den Sängern und dem Roboter war, dass die Sänger sich persönlich vorgestellt haben mit einem Lied, dass sie aus bestimmten Gründen berührt und dann haben sie darüber erzählt. Auf diese Weise werden auch Texte generiert, dass man persönliche Erfahrungen und Geschichten erzählt."
Der Roboter als Kind
Die Arie berichtet von der Liebe einer Meerjungfrau zu einem Prinzen. In der Oper "Rusalka" geht die Geschichte tragisch aus. Myon dreht den Kopf zur Seite. Ist er gerührt? Da er so lebendig wirkt, ist es leicht, Gefühle in ihn hineinzuprojizieren.
"Natürlich geht es nicht nur um Roboter, sondern es geht auch um die Frage: was macht Menschsein aus? Was unterscheidet uns von Maschinen, von künstlicher Intelligenz? Die Frage von Sterblichkeit, Unsterblichkeit - ist das ein Fluch oder ist das eine Ehre des Menschen, sterben zu können? Bei Myon gibt es im Moment nur 'ein' und 'aus'."
Der Roboter muss weder essen, noch schlafen - er muss lediglich ab und zu gewartet werden. Für manch einen ist das beängstigend. Wer kann an seinem Arbeitsplatz durch einen Roboter ersetzt werden? Der Dirigent Arno Waschk macht den Test. Er überträgt Myon die Leitung des Orchesters - doch nichts passiert:
"Ich glaube, er hat schon ein ganz menschliches Gefühl gelernt. Ich glaube, er hat Lampenfieber."
Am Ende bewegt sich Myon doch. Er hebt und senkt die Arme und gibt Musikern und Sängern den Takt vor.
Für Arno Waschk geht das Experiment positiv aus. Die Musik leiert, da sich Myon nur mechanisch bewegt. So einen Dirigenten wird sich niemand wünschen. Wenn eine Oper wirklich berühren soll, braucht sie auf der Bühne und im Orchestergraben echte Menschen.
"My Square Lady" hat am 21. Juni Premiere an der Komischen Oper Berlin.