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Myanmar
"Buddhisten haben Angst, von Muslimen verdrängt zu werden"

Angehörige der muslimischen Rohingya werden aus Myanmar vertrieben. Die Gewalt gegen die Minderheit hat eine lange Vorgeschichte, sagte der Asienexperte und Theologe Hans-Bernd Zöllner im Dlf. "Wenn man in diesem Konflikt, einen Schuldigen suchen will, dann kann man sagen: Es sind die Kolonialherren, die Briten."

Hans Bernd Zöllner im Gespräch mit Monika Dittrich |
    Rohingya-Flüchtlinge stehen hinter einem Holzzaun.
    Die Rohingya werden in Myanmar Opfer ethnischer "Säuberungen" (AFP/Sam JAHAN)
    Monika Dittrich: In Myanmar, das früher Birma hieß, leben rund 52 Millionen Menschen, die allermeisten von ihnen sind Buddhisten. Konflikte mit der muslimischen Minderheit der Rohingya gibt es schon lange – wir haben hier in dieser Sendung immer wieder darüber berichtet. Doch seit Ende August ist aus diesem Konflikt eine menschliche Tragödie geworden: Angehörige der Rohingya werden aus Myanmar vertrieben, Hunderttausende sind auf der Flucht, vor allem ins benachbarte Bangladesch. Über die Ursachen dieses religiösen und ethnischen Konflikts will ich jetzt mit Hans-Bernd Zöllner sprechen. Er ist Theologe und promovierter Südostasienwissenschaftler, viele Jahre hat er als evangelischer Pfarrer in Thailand gearbeitet und die gesamte Region bereist - immer wieder auch Myanmar. Jetzt ist er uns aus Hamburg zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Zöllner.
    Hans-Bernd Zöllner: Guten Morgen, Frau Dittrich.
    Dittrich: Herr Zöllner, lassen Sie uns zunächst einmal klären: Wer sind die Rohingya überhaupt?
    Zöllner: Wenn wir das wüssten, wären wir sehr viel schlauer. Sie sind Muslime, sie sind staatenlos, und das heißt: Es gibt keinen Pass auf dieser Welt, der irgendwo anerkannt wird, auf dem der Name "Rohingya" steht. Und das ist ein Teil ihrer Tragödie und wahrscheinlich eine der wesentlichen Ursachen dafür.
    Dittrich: Welche Art von Islam praktizieren sie?
    Zöllner: Das ist der sunnitische Mehrheitsislam.
    Dittrich: Aber sie leben seit Jahrhunderten in dieser Region?
    Zöllner: Ihre Vorfahren leben seit Jahrhunderten in der Region. Aber wo genau, das ist eines der vielen Dinge, die strittig sind.
    Dittrich: Dann lassen Sie uns über diesen Konflikt zwischen den Buddhisten und den Muslimen sprechen. Woher rührt der?
    Zöllner: Der Konflikt hat, wie alle Konflikte, historische Ursachen. Er ist in dieser Region mindestens 200 Jahre alt. Und um ein Bild, damit wir uns das vorstellen können: Es ist so eine Art erdbebengefährdete Gegend. Und zwar nicht Erdbeben wie, dass Erdplatten sich da übereinander schieben und dann von Zeit zu Zeit, ohne dass man es vorhersehen kann, Erdbeben auslösen; sondern politische Ebenen, weil die Kulturen der Buddhisten und der Muslime, die dort, genau an der Grenze zwischen dem heutigen Myanmar und Bangladesch, aufeinandertreffen offensichtlich inkompatibel sind, bisher jedenfalls, und dazu führen, dass es von Zeit zu Zeit Erschütterungen gibt, von denen wir jetzt gerade leider wieder eine erleben.
    Dittrich: Sie haben die historischen Gründe angesprochen, lassen Sie uns über diese historischen Gründe sprechen: Es geht auch um die ehemalige Kolonialherrschaft in der Region.
    Der Westen schaut erst seit fünf Jahren hin
    Zöllner: Ja, die Kolonialherrschaft. Wenn man in diesem Konflikt, in dem es ganz schwer ist, auseinanderzuhalten, einen Schuldigen suchen will, dann kann man sagen: Es sind die Kolonialherren, die Briten, die dort hineingekommen sind, erst das muslimische Bengalen erobert haben und dann, Anfang des 19. Jahrhunderts, auch die heutige Provinz Rakhine, diesen kleinen Teil des heutigen Birmas, in dem überwiegend Buddhisten lebten; und sie damit eine Migration von West nach Ost mit ausgelöst haben, die dann zu diesen Verwerfungen im heutigen Myanmar geführt haben.
    Dittrich: Warum war es seitdem nicht möglich, diese Geschichte aufzuarbeiten oder diesen Konflikt beizulegen?
    Zöllner: Ein wesentlicher Grund ist, dass dieser Konflikt in unserem westlichen, europäischen, deutschen Bewusstsein erst seit fünf Jahren da ist. Vor fünf Jahren gab es bewaffnete Konflikte zwischen beiden Seiten mit ziemlich vielen Toten, die zu vielen Internal Displaced Persons, also Binnenflüchtlingen, geführt haben, überwiegend Muslime, einige Buddhisten. Und erst seitdem haben wir das überhaupt im öffentlichen Bewusstsein auf der Rechnung, dass es dort einen Konflikt gibt. Wir haben uns, und das ist … noch nicht dran gewöhnt. Wir haben uns an andere Konflikte, wie die zwischen Palästinensern und Israelis, zwischen Kurden und ihren "Gastvölkern" oder auch "Un-Gastvölkern" und vielen anderen, haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Dieser ist für uns neu und das macht ihn für uns auch so besonders dramatisch, was er für die Betroffenen natürlich auch ist.
    "Die Buddhisten haben Angst, von Muslimen verdrängt zu werden"
    Dittrich: Was haben die Buddhisten gegen die Rohingya, gegen die Muslime?
    Zöllner: Sie haben etwas gegen sie, und das massiv, seit Ende der Kolonialzeit: Die ersten antimuslimischen Pogrome im damaligen Birma fanden nicht in Rakhine statt, also in dieser Provinz an der Grenze zu Bangladesch, sondern in Rangun, Yangon, der damaligen Hauptstadt. Und sie gingen darauf zurück, dass befürchtet wird, dass die Muslime die Buddhisten aus ihrem Land verdrängen wollen. Und das ist in diesem kleineren westlichen Staat Rakhine an der Grenze zu Bangladesch auch heute noch der Fall. Da gibt es ein paar rationale Elemente demografischer Art – vor 50-60 Jahren war die Ratio, das Verhältnis zwischen Buddhisten und Birmanen … und Muslimen, sorry, vielleicht 4:1 heute ist es 2:1.
    Das heißt, die Buddhisten haben das Gefühl, dass sie von den Muslimen verdrängt werden sollen. Und das ist, die sehen das zum Teil, als ein Teil…großen Verschwörung, eine Idee, die ja weltweit verbreitet ist und die uns in Deutschland auch nicht ganz fremd ist, leider.
    Dittrich: Ja. Und vielleicht sollte man dazu auch noch sagen, dass der Auslöser jetzt tatsächlich auch Angriffe von Rohingya-Rebellen auf Polizeistationen waren.
    Zöllner: Ja. Wenn man das Ganze als eine Tragödie betrachtet, dann ist es etwas, ja, eine Tragödie ist eine, wo Leute schuldlos schuldig werden. Der jetzige Auslöser dieser Massenflucht, oder wie Sie es genannt haben, dieser Vertreibung, das sind die Angriffe dieser muslimischen Rebellen, die einen schönen Namen haben, in dem das Wort "Salvation", also Heil, Errettung, vorkommt. Es ist zweifellos eine religiöse Bewegung. Die haben 30 Polizeistationen angegriffen, das ist ziemlich unstrittig. Eines der wenigen ziemlich unstrittigen Dinge. Und daraufhin hat das birmanische Militär, die Sicherheitskräfte, versucht, die Leute dingfest zu machen. Das war der Auslöser für diese Massenflucht – die ihre Vorgänger hat. Ich sagte, das Bild mit dem Erdbeben, es hat dort gebebt zuletzt 1991/-92 in diesem Ausmaß, wo eine Viertelmillion Leute nach Bangladesch gewandert sind. Davor war es 1977/-78, es wiederholt sich.
    Dittrich: Wir hatten eben schon mal das Thema Buddhismus, Politik, am Wickel – wie hängt das hier miteinander zusammen, Politik und Buddhismus?
    Toleranter Buddhismus mit Einschränkung
    Zöllner: Also, gehen wir zurück auf die Vor-Kolonialzeit. Dort gab es in Birma, früher auch in Rakhine, Könige, buddhistische Könige. Die buddhistischen Könige waren so tolerant wie man das generell für Buddhisten unterstellt, aber mit einer Einschränkung: Sie haben alle Religionen geduldet in ihrem Land, solange sie gegen den buddhistischen König nicht aufgemuckt haben. Es gab also eine große Toleranz, sie durften Moscheen bauen, die Christen Kirchen, alles super. Aber sie durften den Herrschaftsanspruch des Königs nicht infrage stellen. Es war eine vertikale, hierarchische Herrschaft und Aung San Suu Kyi, die Nobelpreisträgerin, hat gesagt: Es war ein vertikaler Gesellschaftsvertrag buddhistischer Art, in dem Toleranz herrschte.
    Als die Briten kamen, wurde dieses Modell gekippt um 90 Grad, in die horizontale Ebene. Plötzlich sollten alle irgendwie gleich sein. Muslime und Buddhisten, alle unter irgendeinem von den Briten gemachten Gesetz, nicht nach dem Gesetz der Buddhisten. Und das buddhistische Grundgesetz ist die Lehre des Buddha, der Dharma, nicht irgendein von Menschen gemachtes Gesetz, ein Gesetz, ein religiöses Gesetz, wenn man so will, das über allen Gesetzen steht, das aber auch - das sagen auch ja Buddhismusforscher und Wissenschaftler - den Charakter einer raffinierten Philosophie hat, einer Welterklärung.
    Dittrich: Sie haben das jetzt eben angesprochen, dass die Buddhisten rassistische Vorurteile gegenüber den Muslimen haben, dass sie Angst haben vor Überfremdung. Wie gehen sie mit anderen religiösen Minderheiten um? Wie geht es beispielsweise den Christen in Myanmar?
    Zöllner: Die Christen in Myanmar fühlen sich auch diskriminiert, ihnen geht es im Grundsatz sehr viel besser. Aber das ist ein heikles Thema. Es gibt im nördlichsten Staat des Landes eine christlich geführte Rebellenbewegung, die eine Art "gerechten Krieg" gegen die buddhistische Armee des Landes ausgerufen hat. Das Dramatische an der jetzigen Entwicklung, dass auch die Muslime jetzt ihre eigenen Streitkräfte haben, ist, dass sich die Situation des permanenten Bürgerkriegs, unter dem das Land seit der Unabhängigkeit von 1948 leidet, jetzt auch massiv in diesem Teil des Landes fortsetzt.
    "Myanmar ist ein Staat, keine Nation"
    Dittrich: Könnte man sagen, dass hier so was wie eine nationale Identität jenseits der Religion fehlt, dass jede Religion sich sozusagen als eigen betrachtet?
    Zöllner: Myanmar ist ein Staat, keine Nation, als Faustregel. Es gibt keine gemeinsame nationale Identität und die Muslime –nicht alle Muslime, aber die Muslime indischer, bengalischer Herkunft – werden nicht zu den Völkern gerechnet, zu den Ethnien, die als Bürger erster Klasse anerkannt worden sind schon zu Zeiten der Unabhängigkeit. Und es ist ein Grundsatzstreit zwischen den Vertretern der Rohingyas und den Vertretern der Regierung, ob sie dieses Grundrecht haben. Die Regierung sagt: "Wir haben Gesetze, Staatsbürgerrechte, wie jedes andere Land auch. Wenn Ihr euch nach denen haltet, stellt Anträge und dann prüfen wir die." Und die sagen: "Nein, diese Prüfungen sind gegen die Menschenrechte, gegen die internationalen Gesetze – wir waren schon immer hier und haben deswegen ein Recht, hier zu leben." Die Regierung sagt: "Eine Million Leute auf ein Mal einzugliedern, gegen den Willen der gesamten Bevölkerung, weil die überwiegende Mehrzahl der Buddhisten ist dagegen, das geht einfach nicht, wir müssen das pragmatisch handhaben."
    Dittrich: Sagt der Theologe und Südostasienwissenschaftler Hans-Bernd Zöllner. Wir sprachen über die Situation der muslimischen Rohingya in Myanmar. Vielen Dank, Herr Zöllner, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.