Demonstranten in den Straßen schwenken rote Fahnen und tragen Plakate mit Slogans wie "Wir wollen die Junta nicht" vor sich her. Dann fallen Schüsse, Soldaten vertreiben die Demonstranten mit Tränengas, die Menschen rennen, Verletzte werden weggetragen. Szenen, wie sie sich seit Anfang Februar dieses Jahres in den Straßen von Yangon und Mandalay in Myanmar abspielen. Selbst in den eigenen vier Wänden kann niemand mehr sicher sein, besonders nachts, sagt Thanegi Preuss, die mit einem Deutschen verheiratet ist und deshalb hier lebt. Sie sitzt zu Hause in Berlin vor ihrem Laptop und wartet auf Nachrichten aus ihrer Heimat, Myanmar.
"Ich habe telefonischen Kontakt mit Freunden, Familie und Bekannten aus unserem 1988er Aufstand gegen die damalige Diktatur. Das Militär oder die Polizei klopfen nachts an die Türen von Privatwohnungen. Wenn nicht geöffnet wird, treten sie die Tür ein. Handys und Computer werden mitgenommen. Geld und Schmuck auch. Fernsehantennen, die auch fürs Internet genutzt werden, machen sie kaputt. Manchmal wird eine Person mitgenommen, manchmal auch die ganze Familie. Die Täter tragen Polizeiuniform oder Militäruniform und manche sind in zivil. Aber alle haben Waffen vom Militär."
Die Republik der Union Myanmar
Myanmar ist ein Staat in Südostasien, das vormals als Burma, in deutschsprachigen Texten auch Birma bezeichnet wurde. Das Land war seit 1886 als ein Teil von Britisch-Indien eine britische Kolonie. Nach der Unabhängigkeit 1948 gab es eine kurze demokratische Phase, doch seit 1962 wird Birma von verschiedenen Militärregimen kontrolliert.
Zwischen Februar 2011 und Februar 2021 haben die militärischen Machthaber verschiedene demokratische Elemente eingeführt und einen zivilen Präsidenten als Staatsoberhaupt zugelassen. Am 1. Februar 2021 riss das Militär die gesamte Staatsgewalt allerdings wieder an sich, nahm demokratisch gewählte Volksvertreter fest und verhängte den Notstand. Seitdem wird das Land von dramatischen Aufständen und Unruhen erschüttert, bei denen bereits hunderte Menschen ihr Leben verloren.
Myanmar ist ein Staat in Südostasien, das vormals als Burma, in deutschsprachigen Texten auch Birma bezeichnet wurde. Das Land war seit 1886 als ein Teil von Britisch-Indien eine britische Kolonie. Nach der Unabhängigkeit 1948 gab es eine kurze demokratische Phase, doch seit 1962 wird Birma von verschiedenen Militärregimen kontrolliert.
Zwischen Februar 2011 und Februar 2021 haben die militärischen Machthaber verschiedene demokratische Elemente eingeführt und einen zivilen Präsidenten als Staatsoberhaupt zugelassen. Am 1. Februar 2021 riss das Militär die gesamte Staatsgewalt allerdings wieder an sich, nahm demokratisch gewählte Volksvertreter fest und verhängte den Notstand. Seitdem wird das Land von dramatischen Aufständen und Unruhen erschüttert, bei denen bereits hunderte Menschen ihr Leben verloren.
Seit drei Monaten herrscht eine Art ungleicher Krieg zwischen Bewaffneten und Zivilisten in Myanmar. Was war geschehen? Als am 1. Februar 2021 die neue Legislaturperiode des gewählten Parlamentes von Myanmar beginnen sollte, verhängte das Militär den Notstand und löste das Parlament auf. Seither stellt sich die Frage: Wiederholt sich die Geschichte? Denn es ist nicht das erste Mal, dass das Militär und die Bevölkerung aneinandergeraten. Anfang der 1960er Jahre, Ende der 1980er und 2007 geschah das schon einmal.
Der erste Militärputsch 1962
Seit 1962 regieren Militärs in Myanmar. Auslöser für den ersten Putsch war der Streit zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen und der Zentralregierung. Myanmar ist ein multiethnischer Staat mit über 130 verschiedenen Volksgruppen, die etwa 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die größte Ethnie ist mit 70 % Bevölkerungsanteil die der Birmanen (Bamar).
Seit der Unabhängigkeit 1948 von Großbritannien fordern diese Ethnien Gleichberechtigung durch föderale Prinzipien und somit mehr Eigenständigkeit. Als der demokratisch gewählte Ministerpräsident U Nu, ein "glühender Buddhist", Anfang der 60er-Jahre den Buddhismus zur Staatsreligion erheben und die Macht ins Zentrum verlegen wollte, gab es erstmals Unruhen im ganzen Land, die blutig niedergeschlagen wurden.
In den darauffolgenden Jahrzehnten bestand Myanmars Politik aus einer Mischung aus sozialistischer Planwirtschaft, vermischt mit Nationalismus und Staatsbuddhismus. Ein Weg, der das einst blühende Myanmar zum Armenhaus Asiens werden ließ – von der Außenwelt isoliert.
Der Aufstand von 1988
Das gebeutelte Volk ging erst dann auf die Barrikaden, als sich seine wirtschaftliche Situation plötzlich noch weiter verschlechterte: Mit Entwertung bestimmter Geldnoten durch den zahlengläubigen General Ne Win 1988, verloren die Birmanen von heute auf morgen ihre letzten Rücklagen. Der 8.8.1988 gilt bis heute als ein magisches Datum. Vor allem waren es damals Studenten, die sich gegen Willkür, Zwang und Rechtlosigkeit des Militärregimes wehrten.
Der dritte Protest von 2007
Als die Regierung 2007 über Nacht die Kraftstoffpreise verdoppelte, kam es zum dritten Protest. Diesmal waren es allem buddhistische Mönche, die demonstrierten, um dem gebeutelten Volk zur Seite zu stehen. Und auch dieser Aufstand wurde blutig niedergeschlagen.
Welche Parallelen gibt es zwischen früheren Protesten und denen heute? Felix Heiduk, der für die "Stiftung Wissenschaft und Politik" das Geschehen in Myanmar beobachtet, sieht vor allem Unterschiede.
Jetzige Proteste "weiter in der Bevölkerung verankert"
"Die sind dieses Mal, also 2021, geographisch sehr viel breiter. Die finden ja in sehr, sehr vielen Teilen des Landes, nicht nur in den großen Städten, urbanen Zentren Yangon und Mandalay statt. Der zweite Unterschied liegt sozusagen in der Demographie der Protestbewegung. Es sind nicht nur buddhistische Mönche oder Studierende, von denen die Proteste getragen werden, hauptsächlich, wie 1988 und 2007, sondern die sind viel breiter verankert in der Bevölkerung. Lehrer, Lehrerinnen, Verwaltungsmitarbeiter, Ärzte, Studierende, und so weiter."
Eine Gemeinsamkeit aber zieht sich seit Ende der 1980er Jahre durch: Damals betrat eine Frau die politische Bühne, die Myanmar bis heute prägt. Aung San Suu Kyi, Tochter des Generals Aung San, genannt "Vater der Nation", der für Birma die Unabhängigkeit von Großbritannien errungen hatte. Aung San Suu Kyi gewann 1990 die vom Militär angesetzten Wahlen haushoch.
Allerdings wollte die Junta das Ergebnis nicht anerkennen und die folgenden 20 Jahre verbrachte Aung San Suu Kyi meist unter Hausarrest. Nach der Niederschlagung des Aufstands von 1988 konsolidierten die Militärs ihre Herrschaft und suchten neue Wege des Machterhalts. Besonders mit Hilfe des großen Nachbarn China, der mit Investitionen bei der Ausbeutung der Bodenschätze wie Gas, Edelsteine oder Holz in die Bresche sprang, als Europa und die USA Sanktionen gegen das Regime verhängten. Abgeschnitten vom Rest der Welt bekamen die Birmanen erst vor zehn Jahren Anschlüsse mit schnellerem Internet und Mobiltelefonen. Und diese Entwicklung hilft der Bevölkerung nun bei den aktuellen Protesten.
Die Revolution der neuen Medien
"Dann könnte man noch argumentieren, dass es auf der technologischen Ebene natürlich auch Veränderungen gibt. 1988 und 2007 gab es das Internet noch nicht, 2007 noch nicht in dem Umfang. Die neuen Medien spielen natürlich auch eine Rolle bei der Mobilisation, bei der Gegenpropaganda et cetera."
Die Verbreitung des Internets öffnete den Menschen in Myanmar in den vergangenen Jahren immer mehr den Zugang zum Ausland und die Möglichkeit, sich untereinander zu vernetzen. Kein Wunder also, dass die Militärs während der aktuellen Proteste zu allererst das Mobilfunknetz und das Internet lahmgelegten.
"In den letzten 10 Jahren haben wir gehofft, dass wir Freiheit und Demokratie bekommen. Vor allem die junge Generation riskiert ihr Leben auf der Straße, weil sie nicht wieder in die dunkle Zeit der Diktatur zurückgestoßen werden will"s sagt Thanegi Preuß. Dass nun das Rad der Geschichte zurückgedreht werden soll, bringe die Menschen auf die Barrikaden.
Die überraschenden Reformen von 2011
Denn eigentlich hatte das Militär 2011 eine Phase der Reformen eingeleitet. Dieser Umschwung kam damals überraschend: Das Militär setzte ungeplant Neuwahlen an. An die Spitze des Staates trat ein unbekanntes Gesicht. Ex-Generalleutnant Thein Sein trat sein Amt in Zivil an und gab sich liberal, denn er brachte Reformen ein, die das Land von den diktatorischen Strukturen befreien sollten: Weniger Pressezensur, freies Internet, die Aufforderung an Oppositionelle im Ausland, heimzukehren und am Aufbau des Landes mitzuwirken.
Was hatte die Generäle 2011 dazu bewegt, das Land zu öffnen?
Es drohte der Staatsbankrott. Gelder von der Weltbank gab es nur gegen Reformen und nur für eine zivile Regierung, nicht ans Militär. Die Ex-Generäle hofften auf die Aufnahme in den Kreis angesehener Staaten, an die Aufhebung von Handelssanktionen und dass die Reiseverbote für sie als Spitzenpolitiker endlich fallen würden. Der Birmane Soe Maung vermutete schon damals, dass auch noch andere Motive hinter der Öffnung des Landes standen.
"Die Generäle haben Geld und sehr viel Besitz angehäuft. Aber wie sollten sie diesen Reichtum in einem abgeschotteten Land nutzen? Sie brauchten ein Tor nach draußen, um dort zu investieren und ihre Geschäfte weiterzubetreiben. Und das alles sollte offiziell und kein Schwarzgeld sein. Hier im Land selbst nützte ihnen ihr Reichtum nicht mehr viel. Sie sind unermesslich reich. Ihnen gehört ja quasi ganz Myanmar."
Von der Demokratisierung profitierten die Militärs
Es folgten Einladungen an Investoren und Staatsoberhäupter, die sich bald die Klinke in die Hand gaben. Geschützt durch eine Verfassung, die 2008 von Generälen erarbeitet worden war, sorgte sich das Militär auch in der Phase der Demokratisierung vor allem um das eigene Überleben.
Der buddhistische Mönch Sopaka lebte nach dem Aufstand von 1988 lange im Exil. 2012 kehrte er in seine Heimat zurück. Noch vor dem Putsch forderte er:
"In der Verfassung müssten viele Artikel geändert werden, aber das ist nicht so einfach, weil in dieser Verfassung auch steht, dass mehr als 75 Prozent beider Häuser im Parlament einer Änderung zustimmen müssen, aber 25 Prozent aller Sitze sind für die Partei USDP des Militärs reserviert. Dort steht auch, wie bedeutend das Militär für das Land ist. Sie können jederzeit wieder die ganze Macht an sich reißen. Solch eine Verfassung muss doch geändert werden. Es gibt dort auch Artikel, mit denen das Militär sich selbst schützt, damit die Fehler und ihre Untaten aus der Vergangenheit vergeben oder vergessen werden."
Doch die Verfassung kann nur mit der Zustimmung des Militärs geändert werden.
Die zentrale Rolle Aung San Suu Kyis
"Die Schlange wechselt ihre Haut", meinten Kritiker in der Phase der Reformen, denn vorübergehend hatten die Ex-Generäle in den Regierungsämtern ihre grünen Uniformen gegen harmlos wirkende traditionelle burmesische Kostüme ausgetauscht. Und schließlich akzeptierten sie 2012 auch Aung San Suu Kyi und ihre Partei, die Nationale Liga für Demokratie, im Parlament. Sie war in den vielen Jahren unter Hausarrest zur Symbolfigur für ein demokratisches und ziviles Land geworden, die ihre persönliche Freiheit für ihr Land geopfert hatte und nicht zu ihrer Familie nach Großbritannien zurückgekehrt war. 2012 gewann sie die Nachwahlen und betrat so wieder die politische Bühne.
"Nur auf Druck des Auslands haben die Militärs letztlich akzeptiert, dass auch Aung San Suu Kyi im Parlament einzieht", sagt der Mönch Sopaka. "Nur mit ihr bekam es Bedeutung, weil sie für die politische Landschaft des Landes wichtig ist. Ohne sie wäre jeder Wandel bedeutungslos. Die Militärs wollten sie für ihre Zwecke benutzen, weil sie wissen, dass die Menschen ihr vertrauen. Sie hat großen Einfluss auf die Bevölkerung."
Laut der Verfassung des Militärs von 2008 konnte nur jemand Präsident oder Präsidentin des Landes werden, der keine familiären Verbindungen ins Ausland hat. Aung San Suu Kyi war mit einem Briten verheiratet und hat zwei Söhne. So konnte sie ab 2016 nur als "Staatsberaterin" fungieren, ein Amt, das speziell für sie geschaffen wurde. Bei den vom Militär zugelassenen Wahlen 2015 und dann erst recht 2020 gewann ihre Partei rund 80 Prozent der Parlamentssitze. Angetreten war sie mit dem Versprechen, den Einfluss des Militärs weiter mehr und mehr zurückzudrängen.
Drohender Kontrollverslust des Militärs
Felix Heiduk: "‘Wenn wir nochmals die Wahlen gewinnen, machen wir ernst mit der Demilitarisierung des Verwaltungsapparates und des Staates, mit der Beschränkung der Macht des Militärs‘, - das waren ja zentrale Wahlversprechen, die dann ja auch in der Sicht vieler Beobachter und Beobachterinnen ein Grund waren, warum es diesen Erdrutschsieg gegeben hat. Ich denke, das war ein weiterer Grund für das Militär, inne zu halten und zu sehen, oh, das könnte unserem Machtpotential wirklich gefährlich werden. Und ich denke, vor dem Hintergrund würde ich den Putsch erklären."
Der Oberbefehlshaber der Armee, Min Aung Hlain, trat Anfang Februar 2021 vor die Kamera des Staatsfernsehens und richtete seine Worte an alle Bürger und Ethnien in Myanmar.
Er erklärt zu Beginn, dass sich die Armee als Institution durch die ganze Geschichte hindurch für das Wohl des Volkes eingesetzt habe, und dass es niemanden gebe, der über den Staatsinteressen stehe, weder eine Einzelperson, noch eine Organisation. Dies klingt wie eine erneute Kampfansage an Aung San Suu Kyi, die zusammen mit den führenden Personen der Nationalen Liga für Demokratie am 1. Februar verhaftet wurde.
Das Schweigen Aung San Suu Kyis
Dass sich die Armee das Heft des Handelns nie aus der Hand nehmen lassen wollte, zeigte sich bereits 2017, als in einer geplanten Aktion burmesische Soldaten 500 Dörfer der muslimischen Volksgruppe der Rohingyas niederbrannten. Selbst Babys wurden mit Absicht getötet, Frauen verschleppt und vergewaltigt. 700.000 Menschen retteten sich ins benachbarte Bangladesch. Aung San Suu Kyi schwieg zunächst zu diesen gravierenden Menschenrechtsverletzungen. Warum, rätselte man im Westen. Es gab sogar Forderungen, ihr den Friedensnobelpreis, den sie 1991 verliehen bekommen hatte, abzuerkennen. Ihr makelloser Ruf im Ausland war beschädigt.
Der Politologe Felix Heiduk glaubt allerdings nicht, dass sie mit Rücksicht auf das Militär schwieg.
"Ich denke, es ist viel plausibler anzunehmen, dass sie eine ganze Reihe von den politischen und auch ideologischen Momenten, die das Vorgehen gegen die Rohingyas legitimiert haben im Land, auch selbst teilt. Dass sie die Ansicht teilt, dass es sich dabei in Anführungsstrichen um illegale Einwanderer handelt, die nicht originärer Teil des burmesischen Staates sind, und hat sich deswegen nicht gegen die Menschenrechtsverletzungen gestellt, sondern ganz offensiv das Vorgehen, auch dann in Den Haag auch sogar international verteidigt, aber im Land dafür auch sehr viel Unterstützung gefunden. Dass sie, die Lady, die Ehre der Nation und das Ansehen der Nation auch international verteidigt hat."
Nicht-Buddhisten als "Bürger zweiter Klasse"
Seit der Unabhängigkeit 1948 gelten Muslime und auch Christen bei der buddhistischen Mehrheit des Landes als Überbleibsel der Kolonialzeit und deshalb als Bürger zweiter Klasse. Muslim und Birmane zu sein ist für die meisten ein Widerspruch, sagte Saw Htay, ein Moslem, der in Mandalay lebt, noch vor dem Putsch.
"Unsere Situation als Muslime in Birma ist wirklich interessant. Überall in der Welt, ob in Süd-Thailand oder im Sudan, fordern Muslime einen separaten Staat, nur wir hier wollen unbedingt dazugehören. Wir sagen: Nennt uns Birmanen. Aber die sagen immer: Du bist Inder, du bist kein Birmane."
Dass es bei den Diskriminierungen weniger um Religion als um Rassismus geht, macht Saw Htay deutlich.
"Sogar, wenn ich zum Buddhismus konvertieren würden, bliebe ich ein Ausländer, ein Inder. Es ist egal, welcher Religion ich angehöre, entscheidend ist mein Aussehen. Du siehst wie ein Inder aus, sagen die Leute, weil du eine lange Nase und runde Augen hast. Du wirst nie ein Birmane, sagen sie. (...) Selbst wenn ich Mönch würde, mir die Haare scheren ließe und ein Robe trüge, dann würden sie mich Kala-Pongyi, also: ‚indischer Mönch‘ rufen. Durch einen Religionswechsel verändert man nicht sein Aussehen."
Minderheiten ohne politischen Einfluss
Interessant ist dabei, dass sich das Militär durch sein bewaffnetes Eingreifen in den Gebieten der verschiedenen Ethnien als Garant für die Einheit des Vielvölkerstaates Myanmar sieht und unter anderem daraus seine Wichtigkeit ableitet. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Die Militärs spalten die Gesellschaft. Selbst die Partei Nationale Liga für Demokratie, geführt von Aung San Suu Kyi, ist vor allem eine Interessenvertreterin der Mehrheit, der buddhistischen Bamar, die 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Kleinere Parteien, die auch die Anliegen der Minderheiten vertreten, haben bei Wahlen kaum eine Chance, ins Parlament einzuziehen.
"Ja, es gab auch in Myanmar Parteien der ethnischen Minderheiten, die mit der Regierungsführung von Aung San Suu Kyi und der NLD-Regierung zwischen 2015 und 2020 unzufrieden und enttäuscht waren, absolut! Die auch gesehen haben, dass sie als kleinere Parteien ethnischer Minderheiten in dem Mehrheitswahlsystem wenig Chancen haben, marginalisiert sind, ihre Stimmen kaum gehört werden. Das hat zu Frustrationen geführt, absolut! Aber auf Grund des Umstandes, dass sich diese Parteien aber absolut nicht auf Seiten des Militärs geschlagen haben, oder ich würde sagen, dass sie sich niemals auf die Seite des Militärs schlagen werden, denn in ihrer Erfahrung, der ethnischen Minderheiten, ist das Militär noch sehr, sehr viel schlimmer einzuschätzen als die NLD."
Viele Menschen aus den Volksgruppen haben sich nach dem Putsch gleich in die Demonstrationen mit eingereiht. Genauso wie einige muslimische Rohingyas im Exil, die ihre Solidarität mit den Demonstranten bekunden.
Die Mönche sind gespalten
Etwas anders verhalten sich die buddhistischen Mönche, die noch 2007 während der so genannten Safranrevolution in Myanmar die Proteste gegen die Junta anführten. Heute sind sie gespalten, sagt Felix Heiduk.
"Es gibt aber durchaus eine ganze Reihe von buddhistischen Organisationen und Klöster, die sich den Protesten auch angeschlossen haben, die diese auch offensiv unterstützen, die Almosen von Angehörigen des Militärs nicht annehmen und so weiter. Es gibt aber auch durchaus buddhistische Hardliner, einige die sich auf Seiten des Militärs geschlagen haben, die den Putsch unterstützen, öffentlich."
Wortführer dieser buddhistischen Hardliner ist der Mönch U Wirathu. 2012 wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Seither schart er in seinem Studienkloster in Mandalay junge Mönche um sich, die über Facebook und Twitter eine professionelle Propagandazentrale betreiben. Die nationale Identität stehe auf dem Spiel, behaupten diese in ihren Hasspredigten, und zeigen dabei auf die Landkarte. Völker wie die Bengalen oder Indonesier, die einst auch buddhistisch waren, sind heute muslimisch.
Dennoch, das Gros der Mönche ist demokratisch gesinnt und hat sich eingereiht in die täglichen Proteste gegen den Putsch des Militärs. Den Waffen der Soldaten setzen sie Kampflieder entgegen. Ihr Zeichen, den 3-Finger-Gruß, haben sie sich bei der protestierenden Jugend in Thailand und Hongkong abgeschaut. Ihre Entschlossenheit und ihr Todesmut scheinen auch drei Monate nach dem Putsch grenzenlos zu sein.