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Myanmar: Muslime im Flüchtlingslager
Abgelehnt, gehasst, gefürchtet

Im Westen Myanmars, gleich an der Grenze zu Bangladesh, herrscht seit drei Jahren Ausnahmezustand: Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen radikalen Buddhisten und Mitgliedern der muslimischen Minderheit, der sogenannten Rohingyas, kamen mehr als 200 Menschen, vor allem Muslime, ums Leben. Seitdem leben 150.000 Muslime in Flüchtlingscamps.

Von Udo Schmidt |
    Rohingya-Flüchtlinge in einem Flüchtlingslager im Bundesstaat Rakhine/Myanmar
    Rohingya-Flüchtlinge in einem Flüchtlingslager im Bundesstaat Rakhine/Myanmar (picture-alliance / dpa / Nyunt Win)
    Es ist ein Konflikt in tiefster Armut. Sittwe, die Hauptstadt der Rakhine Provinz im Westen Myanmars, gleich an der Grenze zu Bangladesh, ist seit drei Jahren im Focus der Welt, seit bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen radikalen Buddhisten und Mitgliedern der muslimischen Minderheit, der sogenannten Rohingyas, mehr als 200 Menschen, vor allem Muslime, ums Leben kamen, ganze Straßenzüge vom wütenden Mob niedergebrannt wurden und 150.000 Muslime in Flüchtlingscamps umziehen mussten.
    Es ist ein Konflikt zwischen bitterarmen Muslimen - und fast genauso armen Buddhisten. Es ist ein Verteilungskampf um das wenige, das es hier im Westen Myanmars überhaupt zu verteilen gibt.
    Vertriebene Muslime im Flüchtlingslager
    Ein Flüchtlingslager außerhalb der Provinzhauptstadt Sittwe. Hier leben Muslime, die während heftiger Konflikte mit der buddhistischen Mehrheit im Jahr 2012 aus der Stadt vertrieben wurden, ihre Häuser sind niedergebrannt, seitdem leben sie in einfachsten Hütten, seit drei Jahren schon. Ma Ten Shwe sitzt vor einer dieser Hütten und schützt ihr Kind mit den Händen vor der Sonne:
    "Es ist viel schlechter als früher in Sittwe, es ist sehr schwer, hier zu leben. Aber zumindest ist niemand aus unserer Familie tot."
    Es sind Muslime, die nichts mehr besitzen, es sind zum Großteil Angehörige der Rohingya-Minderheit, aber sie können selber kaum erklären, was das bedeutet.
    "Wir sind Rohingyas, Muslime. Wir leben hier schon lange, was sollen wir denn sonst sein?"
    Sicher ist, die Muslime hier im Camp sind staatenlos, seit langem, rechtlos, ohne Arbeit und Einkommen - abgelehnt, oft gehasst, manchmal gefürchtet von der buddhistischen Mehrheit. Was sie sich wünschen ist klar: Die Staatsbürgerschaft, ein Teil Myanmars werden, zumindest die sogenannte White Card, die zum Wählen berechtigt. Abdul Majid ist 68, damals, erzählt er, sei er als muslimischer Bürger Myanmars geboren worden, dann, so erinnert er sich, wurde er irgendwann zum Rohingya erklärt:
    "Wir leben hier doch schon seit 70, 80 Jahren, ich bin Bürger Myanmars. Wenn wir nicht die Staatsbürgerschaft bekommen, dann muss ich hier weg."
    Osman Kan lebt in einem Rohingya- oder Bengali-Dorf ganz in der Nähe. Bengalis nennen die Buddhisten die Muslime, es zeigt, dass diese Muslime eigentlich aus Bangladesh kommen und dort auch hingehören, nach Ansicht der buddhistischen Mehrheit zumindest. Osman hat bei den Unruhen vor drei Jahren seine Familie verloren, seine Frau und sein Sohn kamen ums Leben. Osman Kann besitzt die Staatsbürgerschaft Myanmars, seit mehr als drei Jahrzehnten, er ist einer der wenigen Muslime in der Rakhine Provinz mit Ausweis. Trotzdem will er weg.
    "Wir können hier nicht mehr raus aus unserem Dorf, es wird jeden Tag schlimmer. Bisher hat eine Gelegenheit zur Flucht gefehlt. Wir leben schon so lange hier, es ist nicht einfach."
    Staaten- und rechtlos
    Ma Ten Shwe, die Mutter aus dem Camp, ohne Staatsbürgerschaft, ohne Rechte, sieht es genauso:
    "Es sind einige hier geflohen, aber jetzt geht das nicht mehr. Ich würde gerne hier weg."
    Wenige Kilometer Luftlinie entfernt leben Buddhisten in Holzhäusern, die ihnen die Regierung hingestellt hat, als auch sie 2012 bei den Unruhen alles verloren. Häuser, Hütten, die denen der Muslime durchaus gleichen. Daw Sen Nu Sai lebt in einer dieser Hütten und betreibt seit Jahren einen kleinen Laden:
    "Das hier ist kein Zuhause. Wir waren es gewohnt, in einem Haus mit Bäumen vor der Tür zu leben. Hier ist nichts, es ist sehr heiß und sehr anstrengend."
    Nein, sagt Daw Sen, sie hasse die Muslime nicht, die ihr Haus abgebrannt hätten, sie sei aber wütend auf sie.
    "Das liegt alles an den Bengalis. Ich möchte nicht mehr mit denen zusammenleben, die sollen auch nicht mehr hier sein dürfen."
    Wai Wai Tun ist Vorsitzende des Rakhine Women Network, einer kleinen Frauenorganisation in Sittwe, der einzigen in der Region. Sie gibt Kurse in Unabhängigkeit - sie lehrt sowohl, wie man ein kleines eigenes Geschäft eröffnet und damit erfolgreich ist als auch, wie man sich bei der allgegenwärtigen häuslichen Gewalt zur Wehr setzt - oder besser: wie man ihr entgeht. Wai Wai Tun ist so etwas wie die Speerspitze der kleinen intellektuellen, liberalen Schicht in der Provinzhauptstadt.
    "Das Problem fing mit den Unruhen 2012 an, aber es geht weiter, Mönche sollten damals umgebracht werden, heute noch kommen die Muslime sehr aggressiv aus der Moschee, Steine werden manchmal geworfen."
    Die buddhistische Sicht der Ereignisse.
    Klar scheint: Die Muslime in und um Sittwe sind die Verlierer in diesem Konflikt. Ihre ehemaligen Viertel in Sittwe, das, was von ihnen noch erhalten ist, sind fast menschenleer, mit Stacheldraht umgeben und von Polizeipatrouillen bewacht. Sie sind völlig verarmt und viele auch verfolgt, ihre Rechtlosigkeit allein kommt Verfolgung gleich. Aber sie sind nicht nur die Opfer, die Wirklichkeit in Sittwe im Rakhine State ist nicht schlicht schwarz und weiß zu beschreiben, bei genauem Hinsehen überwiegen die Grautöne.
    Min Min im weit entfernten Rangun sieht das anders. Für den Geschäftsmann in der Metropole Myanmars ist die Lage klar, natürlich schwarz - weiß, die Schuldfrage eindeutig:
    "Die Bengalis sind alle illegal eingewandert, sie leben jetzt bei uns in Lagern und bekommen immer mehr Kinder. Wenn wir das geschehen lassen, dann sind wir bald alle Muslime."
    Min Min organsiert Demonstrationen gegen die Rohingyas, die er Bengalis nennt, im Rakhine State, er will sie alle zurück nach Bangladesh schicken. Tausende kommen zu seinen Kundgebungen, viele Mönche sind jedesmal unter den Demonstranten.
    Ob nun eigenständige Minderheit oder nicht, die Muslime im Westen Myanmars sind staatenlos, rechtlos, Vertriebene, die in ganz Myanmar keiner will. Bis zu den Parlamentswahlen in Myanmar im November wird sich daran nichts ändern.