"Unsere Situation als Muslime hier in Birma ist wirklich interessant. Überall in der Welt, ob in Südthailand oder im Sudan, fordern Muslime einen separaten Staat, nur wir hier wollen unbedingt dazugehören. Wir sagen: Nennt uns Birmanen. Aber die sagen immer: Du bist Inder, du bist kein Birmane."
Galgenhumor spricht aus den Worten von Saw Htay. Er ist Muslim und seine Familie lebt schon in der vierten Generation in Mandalay in Zentralbirma. Viele Muslime wurden Ende des 19. Jahrhunderts vom letzten birmanischen König als Experten für die Artillerie an den Hof gerufen, also noch ehe die Briten die Stadt unter ihre Herrschaft brachten. Vermutlich kamen sie aus dem benachbarten Indien. Deren Nachfahren blieben im Land. Morgens bei Sonnenaufgang muss man schon genau hinhören, um den Muezzin zu hören, der von einer der Moscheen südlich des Königspalastes zum Gebet ruft.
Mandalay ist die zweitgrößte Stadt Birmas. Buddhistische Pagoden, christliche Kirchen, Moscheen und hinduistische Tempel sieht man allerorts in den wie im Schachbrettmuster angeordneten Straßen der Metropole. Wortführer der Islamfeindlichkeit ist ausgerechnet ein buddhistischer Mönch: U Wirathu.
"Dieser Mönch schafft keinen neuen Konflikt mit seinen Predigten, aber er hetzt die Leute auf. Die werden zur Gewalt angestachelt. Er ist sehr einflussreich, weil er im größten Kloster in Mandalay unterrichtet. Er hat viele Anhänger und Schüler. In der Klosterhierarchie ist er dort die Nummer drei."
Hetze gegen Demokratisierung
Birmanen identifizieren sich vor allem über ihre Religion, den Buddhismus, dem der Statistik nach 89 Prozent der Bevölkerung angehören. Das erklärt den großen Einfluss der Mönche. Muslim und Birmane zu sein ist für die meisten ein Widerspruch. Seit der Öffnung des Landes sind sich vor allem die buddhistischen Mönche untereinander uneins: Sollen sie die Opposition um Aung San Suu Kyi und damit die Demokratisierung unterstützen, oder eher das Militär, das nach wie vor fest im Sattel sitzt. Die nationale Identität stehe auf dem Spiel, behaupten diese in ihren Hasspredigten, und zeigen dabei auf die Landkarte. Länder wie Bengalen oder Indonesien, die einst auch buddhistisch waren, sind heute muslimisch. Der Wortführer der antimuslimischen Kampagne in Mandalay, U Wirathu, könnte aber auch andere Gründe für seine Hetztiraden haben, sagt Aung Win:
"Es ist möglich, dass er persönliche Probleme mit Muslimen hat. Andererseits vermuten wir, dass er von Kräften unterstützt wird, die den Demokratisierungsprozess aufhalten wollen. Wir wundern uns, wer diese Veranstaltungen finanziert, die sonst gar nicht stattfinden könnten."
Nach den heftigen Ausschreitungen zwischen Muslimen und Buddhisten in der Nachbarstadt Meikthila im März 2013, bei der die halbe Stadt in Flammen aufging und 44 Menschen starben, sind die verschiedenen Religionsgemeinschaften in Mandalay in Alarmbereitschaft. Die Muslime können dort vor allem auf die Unterstützung durch die Christen rechnen, denen im Allgemeinen nicht so übel mitgespielt wird. Soe Maung ist der Generalsekretär einer Christlichen Organisation in Mandalay:
"Auch in Mandalay kam es schon zu Konflikten, aber nicht so heftig wie in Meikthila. Es gab Fälle, da hat ein Muslim mit seinem Moped einen buddhistischen Mönch angefahren. Oder es kam zu Missverständnissen zwischen muslimischen Ladenbesitzern und ihren buddhistischen Kunden. Aber die Führer aller Religionen rufen die Stadtbevölkerung zur Besonnenheit in solchen Situationen auf. Wir versuchen, kleinere Konflikte zu entschärfen. Deshalb haben wir in Mandalay und Umgebung noch keine größeren Konfrontationen erlebt. Die Polizei hätte eigentlich immer genügend Zeit, die Lage unter ihre Kontrolle zu bringen, aber sie schreitet nicht ein. Sie schaut zu und wartet ab, was passiert, bis es zu spät ist, wenn Leute bereits tot und Häuser abgebrannt sind. Die Verantwortung dafür trägt die Regierung."
Aussehen ist entscheidend
Systematisch werden in der Bevölkerung Ängste geschürt. Besorgniserregend ist dabei die Ausarbeitung eines Entwurfs für ein neues Ehegesetz, in dem Angehörigen "anderer Religionen", ursprünglich hieß es noch "des Islam", die Eheschließung mit Buddhisten erschwert werden soll. Dass es bei den Diskriminierungen weniger um Religion als um Rassismus geht, macht Saw Htay deutlich:
"Sogar, wenn ich zum Buddhismus konvertieren würde, bliebe ich ein Ausländer, ein Inder. Es ist egal, welcher Religion ich angehöre, entscheidend ist mein Aussehen. Du siehst wie ein Inder aus, sagen die Leute, weil du eine lange Nase und runde Augen hast. Du wirst nie ein Birmane, sagen sie. Selbst wenn ich Mönch würde, mir die Haare scheren ließe und ein Robe trüge, dann würden sie mich Kala-Pongyi, indischer Mönch, rufen. Durch einen Religionswechsel verändert man nicht sein Aussehen."
Einige Nachteile im Alltag würden sich durch einen Religionswechsel für Saw Htay aber trotzdem in Luft auflösen: Er hätte als Buddhist die Chance, in höhere Positionen bei der Verwaltung aufzusteigen, was ihm als Muslim verwehrt bleibt. Aung Win zeigt seinen Ausweis. Dort steht, dass er Bamar und Muslim ist. Bamar, so heißt die größte Volksgruppe im Land, von der sich auch der Kolonialname "Birma" ableitet. Daneben gibt es über 100 anerkannte nationale Ethnien, die sogenannten Minderheiten im Land. Aung Win erzählt, dass im Ausweis seines jüngeren Bruders der Zusatz "indischer Bamar und Muslim" steht. Das zeigt, dass die Staatsbürgerschaftsgesetze in den letzten Jahren immer weiter verschärft wurden.
"Jeder Bewohner Birmas, der zu den anerkannten Ethnien gehört, wird seit 1998 automatisch mit der Geburt Staatsbürger dieses Landes. Ich bin es nur dem Gesetz nach. Das bedeutet, dieses Gesetz könnte jederzeit geändert und mir so die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Ein anderes Beispiel: Vergibt die Regierung Bauaufträge, werden die Angehörigen der nationalen Ethnien bevorzugt. Wir werden absichtlich übergangen, wie die Chinesen auch. Unsere Verfassung erlaubt auch nicht, das wir Präsident oder Vizepräsident werden."
Alltägliche Diskriminierung
Einschränkungen in ihrer Religionsausübung erleben Muslime, wie übrigens auch Christen, bis ins kleinste Detail. Geschriebene Gesetze gibt es dazu allerdings nicht, sagt Aung Win:
"Seit 1962 ist es uns nicht mehr erlaubt, eine neue Moschee zu bauen. Mandalay wächst in Richtung Süden. Dort wohnen viele Muslime. Wir haben großen Platzmangel. Bis vor Kurzem konnten wir unsere religiösen Bücher nicht frei publizieren. Bis heute sind bestimmte Wörter in religiösen Texten für uns verboten. Dabei geht es nicht um Verunglimpfungen anderer Religionen, sondern um Begriffe wie "der Allmächtige". Das birmanische Wort dafür wurde aus dem Pali übernommen, der Sprache Buddhas. Dieses Paliwort dürfen wir deshalb nicht benutzen, weil es für ihre Religion reserviert ist."
Viele fürchten, dass mit der Verunsicherung und den Hetztiraden gegen Muslime Chaos im Land entfacht werden soll. Als "Retter" könnten sich dann Kreise des Militärs anbieten, die mit dem Reformprozess im Land nicht einverstanden sind, um wieder die ganze Macht an sich zu reißen.