In seiner Heimat ist Pyae Lyan Aung ein Star. Einer, der im Fernsehen bewundert wird und den Kinder um Autogramme bitten, wenn sie ihm einmal nahekommen können. Aber in seiner Schicksalsheimat Japan ist das Leben des 28-ährigen weniger glamourös: "Ich bin im Moment ohne Job, ich suche gerade einen neuen. Die Steuern sind hoch hier, das Leben ist nicht gerade einfach. Es gibt ja auch keine finanzielle Unterstützung von irgendwem."
In Tokio, wo Pyae Lyan Aung seit zwei Jahren lebt, wird er auf der Straße nicht erkannt und wird auch nicht um Autogramme gebeten. Er ist sowieso nur hier, weil er in seiner Heimat als Staatsfeind gilt – seit einer Länderspielreise im Mai 2021. Pyae Lyan Aung ist damals Ersatztorwart der Fußball-Nationalmannschaft.
Vor einem Spiel in Japan hebt er vor laufenden Kameras seine Hand zum Dreifingergruß, der in Myanmar als Solidaritätsbekundung mit der Demokratiebewegung gilt.
"Vor der Reise hatten uns die Offiziellen gesagt, dass wir auf keinen Fall politisch aktiv werden sollen. Aber ich hab‘ dann trotzdem meine Haltung zum Ausdruck gebracht. Ich bin nun mal gegen den Putsch. Ich habe also nur getan, was sich tun musste. Das war doch meine bürgerliche Pflicht."
Kämpfe, Tote, Gefangene
Seit mehr als zwei Jahren befindet sich das Heimatland von Pyae Lyan Aung in einem chaotischen Zustand. Am 1. Februar 2021 putscht sich das Militär an die Macht. Der Putsch beendet die Demokratisierung, die es seit der Jahrtausendwende im Land gegeben hatten. Danach protestieren landesweit Menschen für die Demokratie. Die Junta versucht, sie gewaltsam zu unterdrücken.
Mittlerweile sind im ethnisch diversen Land mehrere Gruppen bewaffnet und kämpfen. Laut der myanmarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene befinden sich an die 19.000 Personen in Gefangenschaft der Junta; mehre tausend Menschen sind getötet worden. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Seit über 50 Jahren herrscht in Myanmar das Militär
Als Pyae Lyan Aung den Dreifingergruß macht, ahnt er womöglich nicht, dass er seine Freiheit aufs Spiel setzt. Menschen mit mehr Erfahrung wussten das sehr wohl. So zum Beispiel Kyaw Kyaw Joe, ein Landsmann, der schon vor drei Jahrzehnten als politischer Flüchtling von Myanmar nach Japan gekommen ist:
"Als ich ihn im Fernsehen sah, empfand ich zwei Emotionen: Erstens war ich beeindruckt von seinem Mut. Zweitens verspürte ich aber auch Mitleid, denn er setzte mit dieser Aktion seine Karriere aufs Spiel."
Kyaw Kyaw Joe kann das beurteilen, weil der Kampf um Demokratie in Myanmar nichts Neues ist.
Mehr als ein halbes Jahrhundert herrscht das Militär. Menschen wie Kyaw Kyaw Joe, die Ende der 1980er Jahren für mehr Freiheiten kämpfen, müssen in hohen Zahlen in mehrere asiatische Länder fliehen. Dort dienen sie den Flüchtlingen von heute als hilfreiches Netzwerk, sowohl bei der Ankunft als auch beim weiteren Kampf um Demokratie.
"Bitte beschützen Sie mich"
Ihm hat es der Torwart zu verdanken, dass er nicht zurück nach Myanmar reisen musste:
"Nachdem er seine drei Finger gezeigt hatte, habe ich das Hotel der Nationalmannschaft gesucht, um ihn zu kontaktieren. Das war nicht einfach. Dann habe ich einen Anwalt eingeschaltet, dem das dann gelang. Wir sagten ihm, dass er am Flughafen zu den Grenzoffiziellen 'hogo shite kudasa' sagen muss."
Der Torwart, der damals kein Wort Japanisch versteht, spricht diese Worte aus, so gut es geht. Sie bedeuten: "Bitte beschützen Sie mich." Und es funktioniert. Pyae Lyan Aung steigt nicht ins Flugzeug, sondern darf in Japan bleiben.
Damit endet aber praktisch seine Fußball-Karriere. Zwar hatte der Toptorhüter aus dem wesentlich ärmeren 54-Millionenland in Südostasien zunächst noch Engagements in der dritten Liga Japans. Durchsetzen kann er sich aber nicht.
"Das Niveau in Japan kann man mit dem von Myanmar nicht vergleichen. In Japan kann es jedes Team mit unserer Nationalmannschaft aufnehmen. Die Ausrüstung ist auch viel besser. Für mich war es zusätzlich schwierig, weil es für mich keinen Übersetzer gab. Das macht einen großen Unterschied."
Die Fußballkarriere ist vorbei
Geplagt von Heimweh und Depressionen gibt Pyae Lyan Aung auf. Seitdem hat er zwar über einen Freund ein inoffizielles Angebot aus Thailand erhalten. Aber auch Schuldgefühle spielen eine Rolle:
"Fußballerisch ist das natürlich reizvoll. Aber nach dem Putsch sind einige meiner Vereinskollegen in Myanmar in den Untergrund gegangen und kämpfen jetzt mit Waffen gegen das Militär. Wenn ich ans Fußballspielen denke, muss ich auch an sie denken. Das macht die Sache sehr kompliziert."
In Japan, wo er mittlerweile auch die Sprache lernt, setzt Pyae Lyan Aung seine fußballerischen Möglichkeiten aber weiterhin ein. Jeden Monat veranstaltet er ein Amateurturnier im Großraum Tokio: "Pro teilnehmende Mannschaft kassieren wir 30.000 Yen, also ungefähr 200 Euro. Das Geld schicken wir dann an die Demokratiebewegung zuhause."
Dahin will Pyae Lyan Aung eigentlich zurück. Und je schneller die Militärregierung gestürzt und die Demokratie gesichert sei, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Myanmars Nationaltorhüter in der Heimat eines Tages wieder Fußball spielen kann. Dies sei eigentlich alles, was er je wollte. Als Sportler, sagt der Torwart, habe er gelernt, nie die Hoffnung zu verlieren.