Sie entstanden im Zweistromland - zwischen Euphrat und Tigris. Es sind Wirtschafts- und Verwaltungstexte, die Viehbestand dokumentieren, Besitzurkunden, die Grund und Boden festlegen, Pfründe und Erbangelegenheiten.
"Eine (ganze) Quadratmeile ist Stadt,
eine (ganze) Quadratmeile Gartenland,
eine (ganze) Quadratmeile ist Aue,
eine halbe Quadratmeile der Tempel der Ischtar.
Drei Quadratmeilen und eine halbe, das ist Uruk, das sind die Maße!
Sieh doch nach der Tafelschatulle aus Zedernholz!
....
Nimm doch heraus die Lapislazuli-Tafel, und lies
all das, was Gilgamesch durchlebt, all (seine) Leiden!"
Das Gilgamesch Epos - ältestes Werk der Weltliteratur, auf Tontafeln in Keilschrift uns überliefert. Es erzählt den Mythos des sumerischen Königs Gilgamesch von Uruk, der seine Kräfte mit der ganzen Welt messen will, nach Unendlichkeit strebt und schließlich auf die Erkenntnis zurückgeworfen wird, dass auch für ihn das Leben endlich ist.
"Wir sind hier im Tontafelmagazin des Vorderasiatischen Museums...."
Dr. Joachim Mazahn, Altorientalist und Kustos der Keilschriftensammlung des Vorderasiatischen Museums in Berlin, steht in dem großen, gewölbten Raum mit tiefen Fensternischen....
"... . und in den Nischen und ringsum an den Wänden befinden sich große, alte Holzschränke, in diesen Holzschränken mehrere Fächer, auf denen die Keilschrifttafeln ausgebreitet liegen und auf diese Weise aufbewahrt werden. "
Auf großen Tischen in der Mitte des Raumes stapeln sich viele kleine Schächtelchen mit Tonfragmenten. Hinten an der Wand hängt eine selbst gezeichnete Karte.
" ... können wir einfach mal herunter holen. Einen Augenblick (stöhn, klack). Das ist ja auch eine schöne Karte, die uns zeigt, wie die Keilschrift verbreitet war durch alle Jahrhunderte hindurch und welche Sprachen auch dazu gehörten.
... Uruk...das sehen Sie ja hier unten, Euphrat, also ganz im Süden Mesopotamiens und Nippur liegt genau nördlich davon, dazwischen sind ungefähr, na ich sag' mal, zweihundert Kilometer Abstand. ... Babylon liegt noch weiter im Nordwesten, ebenfalls am Euphrat. Nippur lag nicht an einem der großen Flüsse sondern an einem der Hauptkanäle zwischen Tigris und Euphrat. "
Ur, Uruk, Nippur, Babylon - Mystik liegt in diesen Namen, das Geheimnis alter orientalischer Hochkulturen, die Wiege der Zivilisation. Jahrhunderte lagen die Städte unter dichten Lehmschichten begraben, bis der Italiener Pietro della Valle seine Reisebeschreibungen veröffentlichte. Er hatte 1625, Ziegel von Ur und Babylon mitgebracht, ...
"...auf denen Zeichen in unbekannter Schrift..."
...geschrieben standen. Die ersten Versuche der Entzifferung startete der Göttinger Griechischprofessor Friedrich Georg Grotefend um 1800. Doch das geistige Abenteuer der Entschlüsselung der Keilschrift sollte noch über 100 Jahre dauern.
Heute wissen wir, dass es Vorläufer dieser ersten Schrift gab, zu sehen im Vorderasiatischen Museum in Berlin:
"Das sind die sogenannten Zählmarken, das heißt also kleine, aus Ton geformte Gebilde, die für bestimmte Begriffe in der Verwaltung gestanden haben. Das ist praktisch das erste Aufzeichnungssystem in der Buchungstechnik, sprich also in der Bürokratie, wofür ja Uruk auch als ein Ort steht, wo das angeblich erfunden worden sein soll. In der Tat hat man also hier solche Buchungshilfsmittel in Massen gefunden, jedoch nicht nur hier, sondern das ist ein Phänomen, was wir seit dem 6.Jahrtausend vor Christus mindestens an sehr vielen Fundstellen Vorderasiens finden. Was uns auch zeigt, dass man ganz offensichtlich beim Umgang mit Realia solcher Merkhilfen bedurfte."
Joachim Mazahn lässt die Tonstückchen durch die Finger gleiten, auffallend ist ihre unterschiedliche Form:
"Das geht von kleinen, handgeformten Tetraedern über flache, ovale Scheiben oder kleine runde Scheiben, wie wir sie hier haben, oder auch längliche Stücke bis hin zu kugelförmigen Gebilden oder durchaus in besonderer Art und Weise geformten runden Scheiben, die dann zusätzliche Markierungen besitzen, wobei wir nicht immer genau wissen, was eigentlich für eine Begriffswelt dahinter steht, denn natürlich funktioniert dieses System nur innerhalb eines engen, begrenzten Rahmens, innerhalb einer bestimmten Informationskonvention."
Am Anfang war die Zahl - soweit die Wissenschaftler heute wissen, wurden für Zahlzeichen kegel- und kugelförmige Gebilde genutzt.
"Der nächste Schritt existiert praktisch dadurch, dass wir ab einer bestimmten Zeit dann plötzlich Tontafeln finden, die ganz offenbar dieselbe Funktion dieser Zahlzeichen oder dieser Merkzeichen oder Zählhilfen übernehmen. Sie sind am Anfang doch recht einfach in ihrer Struktur und haben meist auf der Oberfläche tatsächlich nur die Widergabe von Zahlzeichen so wie dieses hier, ... runde Griffelabdrücke, mit denen man Zahlzeichen wider gibt... "
Sehr schnell dehnen sich diese Zeichen auf die gesamte Tafeloberfläche aus.
"Wir finden auf der Tafeloberfläche zahlreiche eingeritzte Zeichen, von denen einige tatsächlich bildhaft erscheinen, weshalb man auch immer gesagt hat, es handelt sich um eine piktographische Schrift, aber wir wissen, dass die Mehrzahl dieser Zeichen abstrakt ist, also insofern kann man hier nicht tatsächlich von einer Piktographie ausgehen. Der Schritt praktisch von der Informationsspeicherung mit Hilfe der Zählmarken bis hin zu den beschriebenen Tontafeln, das darf man, glaube ich, so sagen, war dann ein recht rascher Schritt und hat offensichtlich mit der sehr sprunghaften ökonomischen Entwicklung dieser Region zu tun. Man brauchte einfach sehr viel mehr Platz, um sehr viel mehr Informationen festzuhalten und zu verarbeiten. "
Was war das für ein Volk, dass diese Schrift erfand? Was ist von ihm überliefert? Das Deutsche Archäologische Institut hat lange in Mesopotamien gegraben. Dr.Margarete van Ess, wissenschaftliche Direktorin der Orientabteilung, hat die Überreste der Sumerer in Uruk erforscht.
"Man muss diese Kultur damals als Hochkultur bezeichnen. Es sind verschiedene Errungenschaften, die uns da heute noch beeindrucken. Das eine ist sicherlich die Erfindung der Schrift in Uruk, das andere ist eben die Entwicklung der Verwaltung, diese frühen Texte, die man in Uruk gefunden hat vom Ende des 4.Jahrtausends sind reine Verwaltungstexte, das heißt, da hat jemand sich die Mühe gemacht, alles aufzuzeichnen, was an Verwaltung notwendig war. Es sind im Prinzip so etwas wie Kassenbons. ... Erfunden wurde damals auch diese Massenproduktion, ... die Massenherstellung von Produkten, von Keramik, aber auch von...Kleidung, von Getreide... "
Traditionellerweise wird Mesopotamien auch die Erfindung des Rades zugesprochen. Inzwischen gibt es allerdings auch Radfunde aus anderen Regionen.
"Wir wissen über das 4. Jahrtausend noch vergleichsweise wenig, weil das die Zeit ist, wo die Schrift erst erfunden wird und uns noch sehr viele Informationen fehlen. Für das 3. Jahrtausend ist das sehr viel einfacher darzustellen. Es scheint aber so zu sein als sei das 3. Jahrtausend dasjenige gewesen, indem zum Beispiel, Götterwelten organisiert werden. "
Götter, die vorher regional oder in einzelnen Orten, in einzelnen Städten verehrt wurden, fassten die Sumerer in ein Pantheon zusammen.
"Das heißt, man hat sich überlegt, wie die Götter zusammengehört haben. Man hat dann Konstrukte gebildet, wer der Göttervater ist, Göttersohn, Schwester, Mutter usw. ... Die Städte, die im 3. Jahrtausend eine große Rolle in Mesopotamien gespielt haben, hatten offensichtlich immer einen ganz wichtigen Stadtgott und der oberste "Herrscher" mag zunächst mal auch eine Person gewesen sein, die eher mit der religiösen Welt verbunden war, als jetzt mit einer profanen. ... Man kann ihn also jetzt nicht richtig als König bezeichnen. "
Was die Wissenschaftler des Deutschen Archäologischen Instituts in Uruk fanden, lässt sich auch auf andere altorientalische Städte jener Zeit übertragen: große Tempelkomplexe, aus Lehmziegeln erbaut, zum Teil geschmückt mit Mosaiken aus kleinen farbigen Stiften. Paläste, die Verzierungen durch Mauervorsprünge aufweisen. Die Wohnhäuser waren klein, manche auch um einen Innenhof gebaut. Tontafeln, Rollsiegel, Scherben, Holzreste und viel Keramik kamen zutage.
Religiöses Zentrum ab dem 3.Jahrtausend vor Christus war Nippur, die Stadt des Hauptgottes Enlil. Hier grub im 19.Jahrhundert Hermann Vollrath Hilprecht, der seine Sammlung später der Universität Jena vermachte. Zu dem Nachlass gehören neben Grabungstagebüchern, Notizen und Briefen, unter anderem auch etwa 3.300 Keilschrifttexte auf Tontafeln. Die frühesten dieser Tonfragmente stammen aus der Zeit 2600 vor Christus.
"Die meisten dieser Keilschrifttexte, die gefunden wurden und die man natürlich immer noch in großen Mengen findet, bestehen aus dem, was wir so etwas salopp Wirtschaftstexte nennen, das heißt, sie sind im weitesten Sinne Verwaltungstexte."
Der Jenaer Altorientalist Prof. Manfred Krebernik ist Leiter der Hilprecht-Sammlung.
"Wesentlich seltener sind, was wir ebenso salopp als literarische Texte oder lexikalische Texte bezeichnen, das heißt, Texte, in denen zum Beispiel von Göttern oder Mythen die Rede ist oder eben auch Wortlisten, wissenschaftliche Texte, und die Hilprecht-Sammlung zeichnet sich nun gerade dadurch aus, dass diese Art von selteneren Texten in einem überdurchschnittlichen Umfang Bestandteil dieser Sammlung ist."
Die etwa 350 Tontafeln mit Wirtschaftstexten sollen jetzt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgearbeitet und restauriert werden. Sie sind in sumerisch, die jüngeren in akkadisch verfasst. Was steht nun auf diesen Tontafeln geschrieben?
"Zum Beispiel Rationenlisten für Arbeiter, Buchungen über Tierfutter, Buchungen über Opfer in Tempeln, dann auch Urkunden über Haus- und Grundstückskäufe oder auch Urkunden über Pfründe. "
Interessant für die Wissenschaftler: die Wirtschaftstexte sind zum großen Teil datiert, nach Monat. Tag und Jahr. Die Jahre wurden nach wichtigen Ereignissen benannt.
"Dann erfahren wir etwa über die Verwaltungsstruktur dieser Stadt, aus der die Texte stammen. Wir erfahren etwas vom Verhältnis zwischen den großen Wirtschaftseinheiten, das sind in erster Linie der Tempel und der Palast. Wir erfahren etwas über die Berufe, die es dort gab. Wir erfahren etwas über die Gottheiten, die in diesen Tempeln verehrt wurden und nicht zuletzt erfahren wir etwas über die Geschichte mancher Personen und Familien, die wir über mehrere Urkunden und zum Teil eben auch über mehrere Generationen hinweg verfolgen können. "
Der private Sektor ist weniger gut überliefert als der der Tempel und Paläste. Die Tafeln geben Auskunft darüber, dass es sich um eine hochdifferenzierte Wirtschaft gehandelt haben muss. So gibt es Hunderte von Bezeichnungen für verschiedene Gefäße.
"Wir erfahren etwas über Hausbauten, Ziegelformen, Arbeiter, die man gebraucht hat, um ein Haus zu errichten, das ist alles diesen Texten zum Teil sehr detailreich zu entnehmen. Es gibt übrigens auch Hausgrundrisse neben diesen reinen Wirtschaftstexten."
Wie ein Kaufvertrag Mitte des 2. Jahrtausends vor Christus aussah, zeigt das Beispiel einer Tontafel aus dem Vorderasiatischen Museum Berlin: Ein sumerischer Kaufmann namens Kuru hat seine wirtschaftlichen Aktivitäten akribisch festgehalten, darunter auch besagten Vertrag. Joachim Mazahn:
"Das ist ein altbabylonischer Kaufvertrag auf einer sehr schönen Keilschrifttafel geschrieben. Vorder- und Rückseite wunderbar lesbar ausgestaltet, die Ränder mit Siegelabrollungen versehen, eine riesige Liste von Zeugen am Ende dieses Textes, so dass also auch dieses Rechtsgeschäft tatsächlich öffentlich gemacht wurde. "
Das besondere an diesem Exemplar: Die Tafel war von einer tönernen Hülle umgeben.
"Und diese Hülle diente noch mal zur Wiedergabe des Vertragstextes und wiederum zum Abrollen von Siegeln der beteiligten Zeugen, unter anderem auch durch ihre Namensnennung. Das hatte den ungeheuer praktischen Vorteil, dass wenn dieses ganze Gerät getrocknet war, konnte man an den inneren eigentlichen Vertragstext nicht mehr herankommen, ohne die Hülle zu zerstören. Das war natürlich von besonderer Wichtigkeit, falls man dieses Rechtsgeschäft anfocht und vor Gericht nachweisen musste, dass der Vertrag rechtens zustande gekommen war."
Am Beginn der altbabylonischen Zeit, also etwa 2000 vor Christus, starb das Sumerische als gesprochene Sprache aus und wurde allmählich vom Akkadischen verdrängt. Allerdings hielt sich die Sprache noch als Schriftsprache. So gehören zur Hilprecht-Sammlung auch zahlreiche zweisprachige Texte in Sumerisch und Akkadisch. Die Keilschrift blieb. Hethiter, Assyrer, Babylonier - sie nutzten alle die sumerische Erfindung. Was mit den Sumerern geschah, weiß man bis heute nicht genau.
"Sie sind einfach irgendwann als Sumerer nicht mehr kenntlich aber wie wollen wir das auseinander halten, wenn wir nur die Sprache haben oder bestenfalls die Schriftzeugnisse darüber, bestimmen zu wollen, ob jemand, der sumerisch geschrieben hat, tatsächlich auch ein Sumerer war? Die Frage lassen wir mal offen. Wir haben ja auch immer noch formelhafte Bruchstücke der sumerischen Sprache in der Verwendung von Verträgen, auch in Briefformularen, die sehr viel jünger sind und man wird nicht davon ausgehen können, dass derjenige, der das verwendete, auch ein Sumerer gewesen ist. ... Ähnlich wie beim Latein. In Priesterseminaren lernt man das heute und niemand würde auf die Idee kommen, dass diese Schüler dort Römer wären. "
"Eine (ganze) Quadratmeile ist Stadt,
eine (ganze) Quadratmeile Gartenland,
eine (ganze) Quadratmeile ist Aue,
eine halbe Quadratmeile der Tempel der Ischtar.
Drei Quadratmeilen und eine halbe, das ist Uruk, das sind die Maße!
Sieh doch nach der Tafelschatulle aus Zedernholz!
....
Nimm doch heraus die Lapislazuli-Tafel, und lies
all das, was Gilgamesch durchlebt, all (seine) Leiden!"
Das Gilgamesch Epos - ältestes Werk der Weltliteratur, auf Tontafeln in Keilschrift uns überliefert. Es erzählt den Mythos des sumerischen Königs Gilgamesch von Uruk, der seine Kräfte mit der ganzen Welt messen will, nach Unendlichkeit strebt und schließlich auf die Erkenntnis zurückgeworfen wird, dass auch für ihn das Leben endlich ist.
"Wir sind hier im Tontafelmagazin des Vorderasiatischen Museums...."
Dr. Joachim Mazahn, Altorientalist und Kustos der Keilschriftensammlung des Vorderasiatischen Museums in Berlin, steht in dem großen, gewölbten Raum mit tiefen Fensternischen....
"... . und in den Nischen und ringsum an den Wänden befinden sich große, alte Holzschränke, in diesen Holzschränken mehrere Fächer, auf denen die Keilschrifttafeln ausgebreitet liegen und auf diese Weise aufbewahrt werden. "
Auf großen Tischen in der Mitte des Raumes stapeln sich viele kleine Schächtelchen mit Tonfragmenten. Hinten an der Wand hängt eine selbst gezeichnete Karte.
" ... können wir einfach mal herunter holen. Einen Augenblick (stöhn, klack). Das ist ja auch eine schöne Karte, die uns zeigt, wie die Keilschrift verbreitet war durch alle Jahrhunderte hindurch und welche Sprachen auch dazu gehörten.
... Uruk...das sehen Sie ja hier unten, Euphrat, also ganz im Süden Mesopotamiens und Nippur liegt genau nördlich davon, dazwischen sind ungefähr, na ich sag' mal, zweihundert Kilometer Abstand. ... Babylon liegt noch weiter im Nordwesten, ebenfalls am Euphrat. Nippur lag nicht an einem der großen Flüsse sondern an einem der Hauptkanäle zwischen Tigris und Euphrat. "
Ur, Uruk, Nippur, Babylon - Mystik liegt in diesen Namen, das Geheimnis alter orientalischer Hochkulturen, die Wiege der Zivilisation. Jahrhunderte lagen die Städte unter dichten Lehmschichten begraben, bis der Italiener Pietro della Valle seine Reisebeschreibungen veröffentlichte. Er hatte 1625, Ziegel von Ur und Babylon mitgebracht, ...
"...auf denen Zeichen in unbekannter Schrift..."
...geschrieben standen. Die ersten Versuche der Entzifferung startete der Göttinger Griechischprofessor Friedrich Georg Grotefend um 1800. Doch das geistige Abenteuer der Entschlüsselung der Keilschrift sollte noch über 100 Jahre dauern.
Heute wissen wir, dass es Vorläufer dieser ersten Schrift gab, zu sehen im Vorderasiatischen Museum in Berlin:
"Das sind die sogenannten Zählmarken, das heißt also kleine, aus Ton geformte Gebilde, die für bestimmte Begriffe in der Verwaltung gestanden haben. Das ist praktisch das erste Aufzeichnungssystem in der Buchungstechnik, sprich also in der Bürokratie, wofür ja Uruk auch als ein Ort steht, wo das angeblich erfunden worden sein soll. In der Tat hat man also hier solche Buchungshilfsmittel in Massen gefunden, jedoch nicht nur hier, sondern das ist ein Phänomen, was wir seit dem 6.Jahrtausend vor Christus mindestens an sehr vielen Fundstellen Vorderasiens finden. Was uns auch zeigt, dass man ganz offensichtlich beim Umgang mit Realia solcher Merkhilfen bedurfte."
Joachim Mazahn lässt die Tonstückchen durch die Finger gleiten, auffallend ist ihre unterschiedliche Form:
"Das geht von kleinen, handgeformten Tetraedern über flache, ovale Scheiben oder kleine runde Scheiben, wie wir sie hier haben, oder auch längliche Stücke bis hin zu kugelförmigen Gebilden oder durchaus in besonderer Art und Weise geformten runden Scheiben, die dann zusätzliche Markierungen besitzen, wobei wir nicht immer genau wissen, was eigentlich für eine Begriffswelt dahinter steht, denn natürlich funktioniert dieses System nur innerhalb eines engen, begrenzten Rahmens, innerhalb einer bestimmten Informationskonvention."
Am Anfang war die Zahl - soweit die Wissenschaftler heute wissen, wurden für Zahlzeichen kegel- und kugelförmige Gebilde genutzt.
"Der nächste Schritt existiert praktisch dadurch, dass wir ab einer bestimmten Zeit dann plötzlich Tontafeln finden, die ganz offenbar dieselbe Funktion dieser Zahlzeichen oder dieser Merkzeichen oder Zählhilfen übernehmen. Sie sind am Anfang doch recht einfach in ihrer Struktur und haben meist auf der Oberfläche tatsächlich nur die Widergabe von Zahlzeichen so wie dieses hier, ... runde Griffelabdrücke, mit denen man Zahlzeichen wider gibt... "
Sehr schnell dehnen sich diese Zeichen auf die gesamte Tafeloberfläche aus.
"Wir finden auf der Tafeloberfläche zahlreiche eingeritzte Zeichen, von denen einige tatsächlich bildhaft erscheinen, weshalb man auch immer gesagt hat, es handelt sich um eine piktographische Schrift, aber wir wissen, dass die Mehrzahl dieser Zeichen abstrakt ist, also insofern kann man hier nicht tatsächlich von einer Piktographie ausgehen. Der Schritt praktisch von der Informationsspeicherung mit Hilfe der Zählmarken bis hin zu den beschriebenen Tontafeln, das darf man, glaube ich, so sagen, war dann ein recht rascher Schritt und hat offensichtlich mit der sehr sprunghaften ökonomischen Entwicklung dieser Region zu tun. Man brauchte einfach sehr viel mehr Platz, um sehr viel mehr Informationen festzuhalten und zu verarbeiten. "
Was war das für ein Volk, dass diese Schrift erfand? Was ist von ihm überliefert? Das Deutsche Archäologische Institut hat lange in Mesopotamien gegraben. Dr.Margarete van Ess, wissenschaftliche Direktorin der Orientabteilung, hat die Überreste der Sumerer in Uruk erforscht.
"Man muss diese Kultur damals als Hochkultur bezeichnen. Es sind verschiedene Errungenschaften, die uns da heute noch beeindrucken. Das eine ist sicherlich die Erfindung der Schrift in Uruk, das andere ist eben die Entwicklung der Verwaltung, diese frühen Texte, die man in Uruk gefunden hat vom Ende des 4.Jahrtausends sind reine Verwaltungstexte, das heißt, da hat jemand sich die Mühe gemacht, alles aufzuzeichnen, was an Verwaltung notwendig war. Es sind im Prinzip so etwas wie Kassenbons. ... Erfunden wurde damals auch diese Massenproduktion, ... die Massenherstellung von Produkten, von Keramik, aber auch von...Kleidung, von Getreide... "
Traditionellerweise wird Mesopotamien auch die Erfindung des Rades zugesprochen. Inzwischen gibt es allerdings auch Radfunde aus anderen Regionen.
"Wir wissen über das 4. Jahrtausend noch vergleichsweise wenig, weil das die Zeit ist, wo die Schrift erst erfunden wird und uns noch sehr viele Informationen fehlen. Für das 3. Jahrtausend ist das sehr viel einfacher darzustellen. Es scheint aber so zu sein als sei das 3. Jahrtausend dasjenige gewesen, indem zum Beispiel, Götterwelten organisiert werden. "
Götter, die vorher regional oder in einzelnen Orten, in einzelnen Städten verehrt wurden, fassten die Sumerer in ein Pantheon zusammen.
"Das heißt, man hat sich überlegt, wie die Götter zusammengehört haben. Man hat dann Konstrukte gebildet, wer der Göttervater ist, Göttersohn, Schwester, Mutter usw. ... Die Städte, die im 3. Jahrtausend eine große Rolle in Mesopotamien gespielt haben, hatten offensichtlich immer einen ganz wichtigen Stadtgott und der oberste "Herrscher" mag zunächst mal auch eine Person gewesen sein, die eher mit der religiösen Welt verbunden war, als jetzt mit einer profanen. ... Man kann ihn also jetzt nicht richtig als König bezeichnen. "
Was die Wissenschaftler des Deutschen Archäologischen Instituts in Uruk fanden, lässt sich auch auf andere altorientalische Städte jener Zeit übertragen: große Tempelkomplexe, aus Lehmziegeln erbaut, zum Teil geschmückt mit Mosaiken aus kleinen farbigen Stiften. Paläste, die Verzierungen durch Mauervorsprünge aufweisen. Die Wohnhäuser waren klein, manche auch um einen Innenhof gebaut. Tontafeln, Rollsiegel, Scherben, Holzreste und viel Keramik kamen zutage.
Religiöses Zentrum ab dem 3.Jahrtausend vor Christus war Nippur, die Stadt des Hauptgottes Enlil. Hier grub im 19.Jahrhundert Hermann Vollrath Hilprecht, der seine Sammlung später der Universität Jena vermachte. Zu dem Nachlass gehören neben Grabungstagebüchern, Notizen und Briefen, unter anderem auch etwa 3.300 Keilschrifttexte auf Tontafeln. Die frühesten dieser Tonfragmente stammen aus der Zeit 2600 vor Christus.
"Die meisten dieser Keilschrifttexte, die gefunden wurden und die man natürlich immer noch in großen Mengen findet, bestehen aus dem, was wir so etwas salopp Wirtschaftstexte nennen, das heißt, sie sind im weitesten Sinne Verwaltungstexte."
Der Jenaer Altorientalist Prof. Manfred Krebernik ist Leiter der Hilprecht-Sammlung.
"Wesentlich seltener sind, was wir ebenso salopp als literarische Texte oder lexikalische Texte bezeichnen, das heißt, Texte, in denen zum Beispiel von Göttern oder Mythen die Rede ist oder eben auch Wortlisten, wissenschaftliche Texte, und die Hilprecht-Sammlung zeichnet sich nun gerade dadurch aus, dass diese Art von selteneren Texten in einem überdurchschnittlichen Umfang Bestandteil dieser Sammlung ist."
Die etwa 350 Tontafeln mit Wirtschaftstexten sollen jetzt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgearbeitet und restauriert werden. Sie sind in sumerisch, die jüngeren in akkadisch verfasst. Was steht nun auf diesen Tontafeln geschrieben?
"Zum Beispiel Rationenlisten für Arbeiter, Buchungen über Tierfutter, Buchungen über Opfer in Tempeln, dann auch Urkunden über Haus- und Grundstückskäufe oder auch Urkunden über Pfründe. "
Interessant für die Wissenschaftler: die Wirtschaftstexte sind zum großen Teil datiert, nach Monat. Tag und Jahr. Die Jahre wurden nach wichtigen Ereignissen benannt.
"Dann erfahren wir etwa über die Verwaltungsstruktur dieser Stadt, aus der die Texte stammen. Wir erfahren etwas vom Verhältnis zwischen den großen Wirtschaftseinheiten, das sind in erster Linie der Tempel und der Palast. Wir erfahren etwas über die Berufe, die es dort gab. Wir erfahren etwas über die Gottheiten, die in diesen Tempeln verehrt wurden und nicht zuletzt erfahren wir etwas über die Geschichte mancher Personen und Familien, die wir über mehrere Urkunden und zum Teil eben auch über mehrere Generationen hinweg verfolgen können. "
Der private Sektor ist weniger gut überliefert als der der Tempel und Paläste. Die Tafeln geben Auskunft darüber, dass es sich um eine hochdifferenzierte Wirtschaft gehandelt haben muss. So gibt es Hunderte von Bezeichnungen für verschiedene Gefäße.
"Wir erfahren etwas über Hausbauten, Ziegelformen, Arbeiter, die man gebraucht hat, um ein Haus zu errichten, das ist alles diesen Texten zum Teil sehr detailreich zu entnehmen. Es gibt übrigens auch Hausgrundrisse neben diesen reinen Wirtschaftstexten."
Wie ein Kaufvertrag Mitte des 2. Jahrtausends vor Christus aussah, zeigt das Beispiel einer Tontafel aus dem Vorderasiatischen Museum Berlin: Ein sumerischer Kaufmann namens Kuru hat seine wirtschaftlichen Aktivitäten akribisch festgehalten, darunter auch besagten Vertrag. Joachim Mazahn:
"Das ist ein altbabylonischer Kaufvertrag auf einer sehr schönen Keilschrifttafel geschrieben. Vorder- und Rückseite wunderbar lesbar ausgestaltet, die Ränder mit Siegelabrollungen versehen, eine riesige Liste von Zeugen am Ende dieses Textes, so dass also auch dieses Rechtsgeschäft tatsächlich öffentlich gemacht wurde. "
Das besondere an diesem Exemplar: Die Tafel war von einer tönernen Hülle umgeben.
"Und diese Hülle diente noch mal zur Wiedergabe des Vertragstextes und wiederum zum Abrollen von Siegeln der beteiligten Zeugen, unter anderem auch durch ihre Namensnennung. Das hatte den ungeheuer praktischen Vorteil, dass wenn dieses ganze Gerät getrocknet war, konnte man an den inneren eigentlichen Vertragstext nicht mehr herankommen, ohne die Hülle zu zerstören. Das war natürlich von besonderer Wichtigkeit, falls man dieses Rechtsgeschäft anfocht und vor Gericht nachweisen musste, dass der Vertrag rechtens zustande gekommen war."
Am Beginn der altbabylonischen Zeit, also etwa 2000 vor Christus, starb das Sumerische als gesprochene Sprache aus und wurde allmählich vom Akkadischen verdrängt. Allerdings hielt sich die Sprache noch als Schriftsprache. So gehören zur Hilprecht-Sammlung auch zahlreiche zweisprachige Texte in Sumerisch und Akkadisch. Die Keilschrift blieb. Hethiter, Assyrer, Babylonier - sie nutzten alle die sumerische Erfindung. Was mit den Sumerern geschah, weiß man bis heute nicht genau.
"Sie sind einfach irgendwann als Sumerer nicht mehr kenntlich aber wie wollen wir das auseinander halten, wenn wir nur die Sprache haben oder bestenfalls die Schriftzeugnisse darüber, bestimmen zu wollen, ob jemand, der sumerisch geschrieben hat, tatsächlich auch ein Sumerer war? Die Frage lassen wir mal offen. Wir haben ja auch immer noch formelhafte Bruchstücke der sumerischen Sprache in der Verwendung von Verträgen, auch in Briefformularen, die sehr viel jünger sind und man wird nicht davon ausgehen können, dass derjenige, der das verwendete, auch ein Sumerer gewesen ist. ... Ähnlich wie beim Latein. In Priesterseminaren lernt man das heute und niemand würde auf die Idee kommen, dass diese Schüler dort Römer wären. "