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Mystische Kritzeleien

Im Alter von 83 Jahren ist der US-amerikanische Maler und Bildhauer Cy Twombly gestorben. In seinem Werk habe er nach einer "ursprünglichen Kreativität gefahndet", sagt Armin Zweite, Direktor der Münchner Sammlung Brandhorst, die in Twomblys Werk einen Schwerpunkt hat.

Armin Zweite im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Ein wahrhaft Großer des zeitgenössischen Kunstbetriebs ist gestorben: der amerikanische Maler und Bildhauer Cy Twombly, bekannt für großformatige, sehr grafisch anmutende, abstrakte Malerei, ist im Alter von 83 Jahren in seiner Wahlheimat Italien gestorben. Der Münchner Kunstbuchverleger Lothar Schirmer, der sein Werk verlegerisch betreut, Cy Twomblys Werk, ist unter anderem auch Sammler moderner Kunst; Cy Twombly gehört dazu. Über dessen Anfänge und die Nachbarschaft zu anderen Heroen der Kunstgeschichte aus den späten 50ern, wie etwa des Action-Painting, sagt Lothar Schirmer:

    "Alle haben vor dem Problem gestanden in Amerika, dass mit Jackson Pollock so ein Nullpunkt erreicht worden ist, also dass man da eigentlich nicht weiter darüber hinausgehen konnte, sondern man musste auf irgendeine Art und Weise sich wieder zurückziehen, ohne dass man diese Errungenschaften des abstrakten Expressionismus aufgeben würde. Pollock ist halt die Explosion und Twombly ist eben, nach der Explosion die Dinge wieder zusammenzufügen, ohne dass es je wieder so aussehen kann wie vorher."

    Und nach der Explosion konnte es auch durchaus schon mal an der Türe klingeln. Es konnte nämlich passieren, dass Cy Twombly nach Jahren bei einem Sammler plötzlich mit Pinsel oder Rake vor der Türe stand und ein Bild verändern, ergänzen wollte, weil er immer gleichzeitig an mehreren Sachen über Jahre arbeitete, wie er selber sagt. Twombly lebte seit den späten 50er-Jahren in Rom und am Meer in Gaeta.

    " Cy Twombly im Originalton. "

    Köhler: Eines der wenigen Tondokumente von dem scheuen und zurückgezogenen Cy Twombly. - Rhythmisch-grafische Kringel also, Kreise, Schleifen, auf Schiefer Gekrakeltes, Gekritzeltes auf Kreidegrund, hin und wieder ein Buchstabe, fallend, ein Wort, eine Blüte, Höhlenmalerei für den angestrengten Neuzeitmenschen, der irgendwie alles schon gesehen hat und dem ästhetische Jungfernschaft unmöglich ist, aber weiß, dass er in enttraditionalisierten Zeiten und Gesellschaften lebt, das Lesen der Spuren erst wieder lernen muss. Zeichen und Bezeichnetes haben keine feste Zuordnung. Abstrakt expressiv, zeichnerisch kalligrafisch geht es in der Malerei dieses gefeierten Künstlers Cy Twombly zu, wandfüllend und enigmatisch. Und da ist scheinbar nichts drauf außer dem Versuch, Bewegung in Schrift, Schrift in Malerei und Laut in Zeichen zu verwandeln, der Mensch als Spuren und Zeichenerfinder als Leser im Ungeschriebenen. Und nicht ohne Grund hat das den französischen Philosophen Roland Barthes und er hat darüber viel geschrieben. - Kunst als Geste.

    Armin Zweite - er ist Direktor der Münchner Sammlung Brandhorst, die den umfangreichsten Bestand an Twombly-Bildern in Deutschland hat, darüber verfügt. Ich habe mit ihm darüber gesprochen. Mit den Pop-Artisten wie Wesselmann, Warhol, Johns und Rauschenberg hatte Cy Twombly nur die Zeit gemeinsam, nicht aber die Themen der Massen- und Warenkultur.

    Armin Zweite: Na ja, er hatte eigentlich sehr viel mit Spontanität, mit Gekritzel, mit Geschmier zu tun und hat natürlich aus diesen etwas informellen Dingen ein ganz bestimmtes Zeichensystem entwickelt, das auf die Länge gesehen dann auch irgendwie lesbar wird. Der erste Eindruck bei Twomblys Arbeiten ist ja, man versteht es nicht, man kann nichts erkennen. Aber dann, wenn man sich auf die Dinge einlässt, wird doch deutlich, dass er ein ganz bestimmtes Repertoire hat und dass die evokative Kraft seiner Farben, seiner Linien, seiner Worte, die er in die Bilder einbindet, auch etwas assoziieren, nämlich die mediterrane Kultur. Das ist ja für einen amerikanischen Künstler einigermaßen ungewöhnlich, sich ganz darauf, auf eine vergangene Kultur einzulassen. Es gibt zahllose Verweise auf griechisch-römische Mythen, auf alte und neue Literatur, auf Geschichte, und das macht auch ein wenig die Kohärenz seines Schaffens aus. Dabei ist es, glaube ich, nicht, fast unübersehbar, dass diese Referenzen oft ja verbal erfolgen, indem er Namen zitiert, auch manchmal griechische Buchstaben einführt, dann aber das Ganze wieder mit abstrakten Formen, mit Kreisen, mit Herzformen, Ellipsen unterlegt. Also es ist eine sehr eigene und, ich glaube, unverwechselbare Formensprache, die er entwickelt hat, und das setzt ihn ja auch ganz im Gegensatz zu Rauschenberg, zu Andy Warhol, zu Jasper Johns. Also im Grunde genommen keine Auseinandersetzung mit unserer Alltagskultur, keine Auseinandersetzung mit unseren zivilisatorischen Brüchen, sondern wirklich eine Auseinandersetzung mit Vergangenheit, und er versucht das, noch einmal habhaft zu machen in seinen bildnerischen Manifestationen.

    Köhler: Was Sie da sagen, da könnte man ja eher vermuten, er geht sogar hinter die Geburt der Massenkultur zurück und fragt nach den Wurzeln, ohne aber jetzt griechische Säulen oder römische Frauenbildnisse zu machen. Ich sage es mal ein bisschen naiv: Man steht davor und hat es mit sehr großformatigen Werken zu tun, grafisch, gestisch, abstrakten Werken. Irgendwo las ich mal, ein Großvater des Graffiti. Kann man so nicht sagen, oder?

    Zweite: Nein, das sicherlich nicht, und man muss schon auch unterscheiden. Natürlich gibt es diese Bilder, die nicht lesbar zu sein scheinen, die aber dann einen bestimmten Rhythmus in der Formfindung einem deutlich bringen, und in den letzten Jahren ist er ja dann wieder zu Motiven zurückgekehrt. Wir haben hier im Museum Brandhorst einen großen Zyklus von Rosenbildern, gemacht für dieses Museum, für den größten Raum des Hauses, und da wird nun deutlich: Er zitiert dann Verse, indem er große Blüten, die dann so drei Meter Durchmesser haben, große Blüten, zentrale Blüten, da zitiert er dann Verse von Ingeborg Bachmann, die alle mit Rosen zu tun haben, sein Symbol, ein altes radiertes Symbol der Liebe, des Wachstums, aber auch der Vergänglichkeit, des Absterbens, und das wird auch in der Farbwahl, tiefes dunkles Rot, vermischt mit Ockertönen und hellem Gelb, aber dann eben auch ganz dunkles Violett, also da wird genau diese Brüchigkeit noch mal deutlich.

    Er hat schon, zumal in der Spätzeit, ganz explizit doch sehr deutlich symbolische Formen aufgegriffen, die aus der Botanik kommen, wenn Sie so wollen, aber die auch natürlich viele Konnotationen unserer europäischen Geschichte aufrufen. Das macht dieses Oeuvre natürlich auf die lange Sicht auch so spektakulär und so einzigartig. Es setzt sich ab von allem, was gang und gäbe ist. Und gerade wenn Sie sagen, Graffitikunst, ja man hat manchmal den Eindruck gehabt, aber bei Twombly geht es nicht um Graffiti, sondern es geht um ein Ausdrucksvermögen, eine Rekonstruktion eines ursprünglichen Ausdrucksvermögens, das vielleicht sogar kindlich zu nennen ist. Aber er malt nicht wie ein Kind, sondern er macht kinderähnliche Dinge in seinen Bildern sichtbar, und das ist der ganz große Unterschied. Da wird im Grunde genommen nach einer ursprünglichen Kreativität gefahndet, aber immer mit Bezügen, angedeuteten oder mehr oder weniger expliziten Bezügen zur europäischen Bildtradition.

    Köhler: Ich greife ein Wort von Ihnen auf, an dem man sich stoßen kann, was die Sache doch trifft. Sie haben vom "Gekritzel" gesprochen. Man hat mal von Beethovens letzter Klaviersonate Opus 111 gesagt, das ist eigentlich die letztmögliche Sonate nach dem Ende, danach ist eigentlich Schluss mit allen Sonatenformen. Ist Twombly sozusagen der Versuch der Malerei nach dem Tod der Malerei?

    Zweite: Nein. Ich weiß nicht, ob man es so sagen kann. Er hat vielleicht am Anfang darüber reflektiert, und es ist ja interessant zu wissen, dass er Mallarmé gelesen hat. "Coup de Dés" war für ihn ja ein Schlüsselwerk und vor allen Dingen auch die Farbe Weiß, und viele seiner Bilder sind ja ganz aus dem Weiß heraus entwickelt worden, mit Gekritzel, mit Geschmier. Farbe kommt ja relativ spät und dann intensiv in die Bilder hinein, eigentlich erst in den 90er-Jahren und dann natürlich in dem großartigen Zyklus "Lepanto", diese zwölfteilige Serie, die bei uns ist. Es ist im Grunde genommen der Rückschritt hinter das, was in der Pop-Art und vielleicht auch in der Minimal Art und in der Konzeptkunst erreicht war, der Rückschritt, aber dann wieder der Schritt darüber hinaus, die Neubegründung einer Malerei, die im Grunde genommen mythische Wurzeln hat, nicht explikativ, nicht konkret wird, aber doch einen Assoziationsraum eröffnet, der spektakulär ist einerseits und auf der anderen Seite natürlich sehr subtil, unheimlich kalkuliert, und diese Verbindung von Evokation und Kontrolle, das ist etwas, was mich immer wieder an diesem Oeuvre fasziniert in seiner großen Vielfalt und in dieser Farbdynamik und sozusagen auch in der Impulsivität und der Rhythmik, wie er Bilder baut. Das ist ziemlich einzigartig. Ich glaube, er hat etwas ganz Neues in der Bildsprache entwickelt, und in der Malerei, was es so vorher nicht gegeben hat und was auch - man verbindet das dann ja manchmal mit dem Informellen - aber im Informellen überhaupt nicht im Ansatz vorhanden ist, was Twombly wirklich mit vergleichbar ähnlichen Strukturen dann für sich erarbeiten konnte.

    Köhler: Ein Letztes für den Moment. Sie kannten ihn natürlich. Ein bisschen steht die Person, glaube ich, im Gegensatz zu seiner Malerei. Großformatig, impulsiv, haben Sie gerade gesagt. Er selber war eher verschlossen, schweigsam. Man sah ihn manchmal auf Fotos mit Hosenträgern in einer Ausstellung. Interviews gibt es kaum, eher wortkarg. Wie haben Sie ihn erlebt?

    Zweite: Ja, eigentlich sehr ähnlich. Ich habe ihn eigentlich nur sehr flüchtig ganz gegen Ende seines Lebens erlebt, und das hat damit zu tun, dass ich wieder nach München zurückgegangen bin, die erste Tat sozusagen, ihm Pläne für den größten Saal im Museum zu liefern - für den Raum hat er dann auch diese großen Rosenbilder gemacht -, mehrere Besuche in Gaeta zur Besichtigung dieser Bilder, Besuche hier, wieder Begegnung in London oder Wien. Aber es waren immer Begegnungen im intimen Kreis, in Gaeta ganz sicherlich, aber dann auch bei Ausstellungseröffnungen. Er war ein sehr zurückhaltender Künstler, ein sehr zurückhaltender Mensch, dem man sich nur sehr sozusagen zögernd nähern konnte. Er war nicht so das kommunikative Genie, das nach außen wirkte, so habe ich ihn nie erlebt, sondern eher bedächtig, nachdenklich, reflektierend, vorsichtig, fast scheu, möchte ich sagen. Aber das mag viele Gründe gehabt haben. Er war berühmt, ganz sicherlich, aber er war sicherlich auch jemand, der sich vor den Medien und überhaupt vor der Öffentlichkeit eher verborgen hat.

    Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.