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Mythen aus Afrika und Japan

Der Komponist Harry Partch hat alles neu und anders gemacht 1966. Er hat ein Tonsystem erfunden und gleich noch ein einzigartiges Instrumentarium aus Glockenbäumen und Glaskugeln und Schlagwerk. Jetzt eröffnete sein Musiktheaterstück "Delusion of the Fury" die Ruhrtriennale in Bochum.

Von Frieder Reininghaus |
    Gamelamalgamierend meldet sich der Klang. Aus der Dämmerung vor der Zuschauertri-büne schält sich ein Laboratorium besonderer Art: Klanggerätschaften, an die sich die Augen nach und nach gewöhnen müssen, türmen sich auf einem Podest – und in der Mitte mäandert ein Wasserlauf, der bis zu einen Zimmerwasserfall führt und in ein Fußwaschbecken mündet.

    Klaus Grünberg und Florence von Gerkan arrangierten den Ort und das Outfit eines ost-asiatisch grundierten Rituals. In ihm trifft zunächst der Geist eines Ermordeten auf den zum Pilger gewordenen Mörder und verzeiht diesem. Die Spieler auf den kleinen Bänken jeweils hinter ihren Apparaten leuchten sich mit Grubenlampen an den Helmen auf ihre Noten und mögen so beiläufig auch auf die Geschichte des Raums verweisen und das, was bis vor wenigen Jahrzehnten unter ihm in der Tiefe stattfand.

    Im burlesken, von afrikanischer Musik inspirierten zweiten Teil trifft in atavistischer Zeit eine alte Ziegenhirtin auf einen schwerhörigen Landstreicher. Die beiden streiten sich und kommen vor den blinden und tauben Friedensrichter, der sichtlich erfolgreich seines Amtes waltet.

    Den entscheidenden Anteil an der Installation in der Bochumer Jahrhunderthalle hat der Kölner Schlagzeuger und Instrumentenbauer Thomas Meixner. Er rekonstruierte die 27 Instrumente, die Harry Partch bis zum Jahr 1969 entwickelte – bis zum Zeitpunkt der Kreation von "Delusion of the Fury": Instrumente, die aus vielen Glocken und Röhren, Holzplättchen und Metallplatten bestehen oder auf der Basis des Harmoniums und des Cimbalom konstruiert wurden.

    Sie teilen die Oktave nicht nur in jeweils zwölf Halbtöne ein, sondern erfüllen sie mit sehr viel mehr Teiltönen. Diese Mikrotonalität ist eine der technischen Voraussetzungen der Musik von Partch – zu den übrigen gehört die Mischtechnik aus fernöstlich ab-gelauschten Klängen mit US-amerikanischer Radiomusik der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Partchs Sound erscheint auf eigenwillige Weise als "Weltmusik". Jedenfalls als Nachhall jener Ära, in der experimentelle Musiker nicht selten auch Bastler, Erfinder und Instrumentenbauer waren und – wie hierzulande gelegentlich in der Zeit Renaissance oder der Aufklärung – Theoretiker dazu.


    Wie bereits im vergangenen Jahr, als Heiner Goebbels die Ruhrtriennale mit einer aufwändigen Rekonstruktion der "Europeras" von John Cage eröffnete, fokussiert er auch heuer auf eine außenseiterische nordamerikanische Avantgarde aus einer Zeit, in der es so etwas wie den "amerikanischen Traum" noch gab - die illustre Illusion des Landes der "unbegrenzten Möglichkeiten".

    Das erscheint als wundersame Nostalgie – zumal in diesen Tagen, in denen die "unbe-grenzten Möglichkeiten" unserer amerikanischen Brüder in eher fahlem Licht erscheinen. Da wäre es ein Zeichen von avanciertem Bewusstsein gewesen, ein neues Libretto unterm Stichwort "Delusion oft the Fury" schreiben und mit einem Klangband neuen Typs versehen zu lassen.

    Im Zuge des von Goebbels gepflegten Historismus' der Moderne berührte vor allem der letzte Teil der Produktion vom doppelten Zorn und seiner zweifachen Neutralisierung. Da würden, so erklärte Partch, die Gottheiten des vorkolonialen Afrika, Asien, Amerika und Australien lebendig; sie "lächeln göttlich und beschließen, dass man dem menschlichen Trug himmlischen Krawall entgegensetzen müsse. Sie beschwören Blitze und Donner herauf und flößen Eine seltsame Furcht ein".