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Mythologie beflügelt die Vorstellungskraft

Leute, die sich vom Gothic angezogen fühlen, die finden auch in der Regel die mystische Musik von Dead Can Dance betörend. Das Duett Lisa Gerrard und Brendan Perry fusioniert seit Jahrzehnten musikalische Rhythmen aus der ganzen Welt und verarbeitet sie zu einem ganz eigenen, unverkennbaren Klang.

Lisa Gerrard im Gespräch mit Oliver Ramme |
    Ramme: Das Plattencover von Anastasis zeigt vertrocknete Sonnenblumen, die den Kopf hängen lassen. Aufgenommen in Schwarz-Weiss. Das Ganze wirkt sehr traurig. Warum haben Sie sich für dieses Bild entschieden?

    Gerrard: Es ist interessant, dass Sie das so sehen. Das Wort Anastasis bedeutet Wiedergeburt, also soviel wie der Kreislauf des Lebens. Und wir dachten, als wir uns für diese Sonnenblumen entschieden haben, dass sie nicht tot sind, sondern sich in einer Art Schlaf befinden. Das vor allem die Samen darin leben. Und je nachdem, in welcher Umwelt sich die Samen befinden, sie das Leben wieder aufnehmen. Wir glaubten, es wäre ein gutes Motiv, die Songs im Album zu beschreiben. Anastasis erzählt von menschlichen Erfahrungen, die vor allem Brendan zusammengetragen hat. Mein Teil sind die Emotionen. Aber im Grunde geht es darum, das Leben zu feiern und die Hoffnung nicht zu verlieren. Dinge ruhen manchmal, aber wir haben auch die Fähigkeit, diese wiederzubeleben, zu erwecken.

    Ramme: Es ist doch schwierig, ein solches Album zu entwickeln. Sie leben in Australien, Brendan in Irland – weiter geht es nicht. Wie kann unter solchen Umständen ein Album entstehen?

    Gerrard: Kurz nachdem wir entschieden haben, wieder ein Album miteinander zu machen, hat mir Brendan einige Files nach Australien geschickt. Damit habe ich dann losgelegt. Es hat durchaus seine Zeit gedauert, wieder in die Arbeit hineinzufinden. Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto klarer wurde mir auch: Das ist "Dead Can Dance"-Musik. Es ist nämlich so: Wenn Brendan und ich zusammenarbeiten, entsteht da dieser Sound, den nur wir beide zusammen erzeugen können. Keiner alleine ist in seiner Soloarbeit dazu in der Lage. Und so können wir getrennt zusammenarbeiten! Verstehen sie das? Es ist ziemlich fragil. Danach bin ich für drei bis vier Monate nach Irland gereist und dort haben wir konzentriert gearbeitet, bis das Album beendet war. Früher haben wir für die gleiche Arbeit Jahre gebraucht. Bis wir da unsere Entscheidungen trafen und unsere Einflüsse verarbeitet hatten, etc.

    Ramme: Was war denn der Grund, sich wiederzufinden, sich zu vereinen nach so langer Zeit?

    Gerrard: Nun, Brendan und ich haben eine Reihe von Alben zusammen gemacht und wir sind dabei durch dick und dünn gegangen. Wir haben gewissermaßen gemeinsam unsere Ausbildung in Musik gemacht, weil wir zwischen uns eine gemeinsame musikalische Kraft verspürten. Wir haben uns kreativ, emotional, sogar finanziell gegenseitig unterstützt. Wir sind ein Team! Zusammen haben wir mehr Kraft als als Einzelgänger. Und wir haben dunkle Momente gemeinsam erlebt – wir hatten oft kein Geld. Wir tourten um die ganze Welt, das war alles andere als Luxus. Dass wir das überlebt haben... Wenn ich da so zurückschaue, oh jeh. Wir haben daraufhin zwar nicht gesagt: Wir werden nicht mehr zusammenarbeiten. Wir dachten nur: Da herrscht gerade irgendein elektrischer Sturm zwischen uns. Und dann gibt es da eben auch Egoismen, die sich dem gemeinsamen Schaffen in den Weg stellen. Wieder zusammengeführt hat uns letztendlich ein Anruf von Brendan. Wir hörten Jahre nichts voneinander. Dann rief er mich plötzlich besorgt an. In Australien wüteten Buschfeuer und er wollte wissen, ob mein Haus in Gefahr sei. Und – ja - die Feuer kamen ganz nah an mein Haus, aber wir hatten Glück. Und so haben wir miteinander wieder Kontakt aufgenommen. Und uns gleichzeitig gefragt: Warum sind wir eigentlich keine Freunde geblieben? Wir hatten doch so viel miteinander erlebt und waren so lange Freunde. Und damit wurde ja auch unsere Arbeit vernachlässigt. Wir spielen unsere Musik nicht mehr, wir teilen sie nicht mehr mit unseren Fans. Das ist nämlich der Sinn der Sache: Du machst Musik nicht für dich selber, du willst sie mit anderen teilen. So begannen wir, zu träumen und uns zu fragen: Können wir es nochmal gemeinsam probieren? Ich war da sehr vorsichtig in dieser Situation. Mir war klar, wenn das funktionieren soll, dann müssen wir uns anderes verhalten. Das war ein echter Lernprozess.

    Ramme: Jetzt öffnen wir einmal das Album und hören die Musik an. Was wollen sie uns mit Anastasis erzählen?

    Gerrard: Es gibt da etwas Bemerkenswertes mit diesen mediterranen Ländern, die ja noch so sehr in ihrer Tradition verwurzelt sind. Über die Jahre unseres künstlerischen Schaffens gab es immer Verweise in die griechische Mythologie. Diese Mythologie beflügelt die Vorstellungskraft. Das war unsere Erfahrung, da unsere Musik sich doch so sehr um Mythologie, Landschaften und Geschichtenerzählen dreht. Und warum sollten wir nicht die Geschichten anderer erzählen und deren Einfälle nutzen? Um einfach den eigenen Dunstkreis zu verlassen?

    Ramme: Griechenland durchlabt eine große Krise, Sie haben sich mit diesem Land genauer beschäftigt – wie nehmen Sie diese Krise war?

    Gerrard: Na klar, betrifft uns das. Es ist ein Desaster. Aber das hat nichts mit unserem Album zu tun. Wir sind keine Politiker. Wären wir Politiker, würden wir Politik machen. Wir sind Musiker! Wir hatten auf unserer Tournee eine fantastische Zeit in Griechenland. Das Tolle war die einmalige Lage der Amphitheater. Die erlaubten auch jenen ohne Geld, uns zu hören – sie waren da. Wir waren besorgt, in einem Land zu spielen, dass kein Geld mehr hat. Aber ich sage Ihnen eines: Die Griechen überleben das! Die sind sehr stark. Ich kenne Griechen, ich bin in Australien in einem Stadtteil groß geworden, mit hohem Migrationsanteil. Viele Türken und Griechen lebten da. Diese Leute sind stark! Und die hatten auch kein Geld!

    Ramme: Dieses Konzert heute ist der Auftakt zur Deutschlandtournee! Die Tournee ist ausverkauft, wie die meisten Konzerte in Europa. Was sagen sie denen, die keine Tickets bekommen haben?

    Gerrard: Wir sind nächstes Jahr wieder da!

    Ramme: Mit einem neuen Album?

    Gerrard: Mal sehen – wir hoffen es! Wir versuchen während dieser Tournee, noch ein paar Stücke zu schreiben. Das ist nicht einfach. Man muss dazu natürlich die Ruhe haben.

    Ramme: Es wird aber nicht wieder 16 Jahre dauern, bis sie ein neues Album machen?

    Gerrard: Ich hoffe es nicht. Das wäre echt enttäuschend für uns beide. Wir sind jetzt an einem Reifepunkt in unserem Leben angekommen, wo man alle möglichen Probleme überstehen kann. Dieses Leben, diese Musik ist unsere Philosophie, unsere Daseinsberechtigung. Wir haben unsere eigenen Familien, da haben wir unsere Lektionen gelernt. Und da gibt es eben noch unsere Arbeit, da sollten wir einfach auch reifer sein. Wissen Sie – es steht irgendwo in der Bibel. Sie glauben wahrscheinlich nicht an die Bibel, aber da gibt es eine Zeile, die besagt: Die einzige Stelle am menschlichen Körper, die nicht gezähmt werden kann, ist die Zunge! Und wir sind beide Sänger – welche Hoffnung sollte man da haben?

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.