Georg Ehring: Bis zum Jahr 2020 soll der Verlust an Artenvielfalt weltweit gestoppt werden. Dies hat sich die Staatengemeinschaft bereits im Jahr 2010 in ihrer globalen Biodiversitätsstrategie vorgenommen. Diese Zeit ist fast abgelaufen und die UN-Konvention für Biodiversität ist wieder zu einer Tagung zusammengekommen, dieses Mal in Sharm el Sheikh in Ägypten. Eine gute Gelegenheit für eine Zwischenbilanz, und die ziehe ich jetzt zusammen mit Konstantin Kreiser. Er fliegt bald zu dieser Konferenz und er ist beim Naturschutzbund NABU für internationale Naturschutzpolitik zuständig. Guten Tag, Herr Kreiser.
Konstantin Kreiser: Guten Tag, Herr Ehring.
Ehring: Herr Kreiser, was ist aus diesem Beschluss aus dem Jahr 2010 geworden? Der ist ja auch unter dem Namen Aichi-Biodiversitätsziele benannt – nach dem Ort, wo der Beschluss damals gefallen ist.
Kreiser: Leider muss man sagen, dass die Welt vom Stopp des Artensterbens mindestens so weit entfernt ist wie von den Klimazielen, obwohl beides ja essentiell ist für unser Überleben. Die Krise ist gigantisch, aber schleichend und unsichtbar, deswegen so tückisch und schwierig. Viele Arten haben ja wichtige Funktionen für das Funktionieren der Natur. Wir wissen aber nicht genau welche und zerstören immer mehr von ihnen. Auf der anderen Seite kann man sagen, dass wir immerhin seit 2010 ein ganzes Set von Einzelzielen und Indikatoren haben, so dass es jetzt möglich ist zu sehen, in welchen Teilbereichen es doch Fortschritte gegeben hat - und wo wir uns im Rückwärtsgang bewegen. Das ist schonmal ein Fortschritt, dass wir etwas näher analysieren können, was falsch läuft und wo wir doch Fortschritte haben. Sie haben ja die Berggorillas und andere Arten schon erwähnt.
Ein Drittel aller Arten bedroht
Ehring: Wo sind denn die Rückstände vor allem? Die Berggorillas sind ja ein Positivbeispiel, aber insgesamt überwiegen ja doch die negativen Tendenzen.
Kreiser: Ja. Einmal sind, wie die Weltnaturschutzunion ja festgestellt hat, fast ein Drittel aller bekannten Tier- und Pflanzenarten bedroht. Das geht vom Flussdelfin im Amazonas bis zur Turteltaube in Europa. Bei uns in Deutschland haben wir in den letzten zwölf Jahren über zwölf Millionen Vogel-Brutpaare verloren, auch von einstmals häufigen Arten wie Star oder Feldlerche. Ein ganz, ganz großes Problem gerade auch bei uns, aber weltweit ist die nicht naturverträgliche Landnutzung. Ich spreche hier von Landwirtschaft, aber auch von Fischerei und Übernutzung der natürlichen Ressourcen insgesamt. Gleichzeitig hat aber auch der Klimawandel einen Einfluss, einen negativen meist auf die Artenvielfalt, und es gibt invasive Arten, die die Biodiversität in den angestammten Regionen bedrohen.
Ehring: In Einzelfällen klappt es dann aber doch, beispielsweise beim Berggorilla. Was läuft denn da richtig?
Kreiser: Ja. Es ist bei einzelnen Arten wie auch bei uns zum Beispiel beim Seeadler, beim Kranich so: Das sind oft charismatische Arten, für die Schutzgebiete ausgewiesen werden, die auch streng geschützt werden gegen Jagd. Dafür kann man auch ganz gut Geld sammeln von den reichen Staaten, wenn man in Afrika Berggorillas schützt. Hier funktioniert der Naturschutz und gerade das Thema Schutzgebiete ist eigentlich eine Erfolgsstory in vielen Fällen. Aber es reicht nicht aus. Die Schutzgebiete sind oft zu klein, sie sind nicht gut vernetzt oder nicht ausreichend finanziert. Dann gibt es auch Faktoren wie der Klimawandel, die Überdüngung oder Pestizide aus der Landwirtschaft, die an Schutzgebietsgrenzen dann nicht Halt machen.
Artenschutzkonferenz in Ägypten
Ehring: Es gibt ja diese bekannte Studie über das Insektensterben, den Rückgang der Insekten, dass die Insektenzahl um drei Viertel gesunken ist, und diese Zahlen stammen ja aus Schutzgebieten. So toll scheinen die dann doch nicht zu schützen.
Kreiser: Das wird noch näher untersucht, wie die Rolle innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten ist. Aber das Problem in Deutschland ist gerade auch in den untersuchten Gebieten, dass die Schutzgebiete so klein und so fragmentiert sind, dass Gegenden mit intensiver Landwirtschaft, wo Pestizide angewendet werden, oft sehr, sehr nah sind. Der Eintrag ist wirklich auch über die Grenzen von Schutzgebieten hinweg und es ist schwierig, in Deutschland riesige Schutzgebiete auszuweisen, wo keine Landnutzung möglich wäre. Deswegen plädieren wir für eine naturverträgliche Landnutzung in der ganzen Landschaft und spezielle Maßnahmen in Schutzgebieten.
Ehring: Sie fliegen jetzt zu der Artenschutzkonferenz nach Ägypten. Was sind denn da Ihre Erwartungen?
Kreiser: Ja, es wird eine Arbeitskonferenz werden, denn die große, die steht eigentlich in zwei Jahren an, die wird in Peking sein. Da wird Bilanz gezogen und es wird ein neues Abkommen für die Artenvielfalt erwartet. Viele reden davon, das Paris-Abkommen für die Artenvielfalt soll das werden. Jetzt in Ägypten soll der Prozess dahin verhandelt werden. Wir erwarten und wir hoffen, dass es ein offener Prozess ist, der die Zivilgesellschaft, der die Umweltverbände auch einbezieht, der fair ist gegenüber Entwicklungsländern und der vor allem auf ein ambitioniertes Abkommen hinausläuft, was dann auch die Staaten mehr zur Rechenschaft ziehen wird. Denn gerade Deutschland hat hier auch einige Hausaufgaben zu machen, wenn wir nur an die Agrarpolitik denken.
"Agrarpolitik entscheidend für Artenvielfalt"
Ehring: Noch ein kurzer Blick auf Deutschland zum Schluss. Was läuft in Deutschland vor allem richtig und was läuft falsch?
Kreiser: Deutschland rühmt sich auch sicher in Sharm el Sheikh wieder mit der Finanzierung von Projekten in aller Welt und dafür loben wir die Bundesregierung auch. Es wird viel finanziert, da ist Deutschland ganz vorne. Aber Deutschland und die ganze EU haben ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Die Entwicklungsländer wissen genau, dass es bei uns zuhause lange nicht so rosig aussieht. Gerade heute Nachmittag verhandelt unsere Landwirtschaftsministerin, Frau Klöckner, in Brüssel die neue Agrarpolitik, und die wird unsere Artenvielfalt bis 2030 entscheidend beeinflussen. Bisher tut sie nichts, um die verheerende Bilanz dieser Agrarpolitik zu verbessern. Damit untergräbt sie jeden Erfolg von Deutschland im Verhandlungsprozess in Ägypten und später in Peking.
Ehring: Konstantin Kreiser vom Naturschutzbund NABU war das über internationalen Naturschutz. Herzlichen Dank.
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