9 Uhr morgens bei Ingeborg Kinast. Die Rentnerin wohnt am Stadtrand von Gera im Osten Thüringens in einem Einfamilienhaus. Bei Regen beobachtet sie die Vögel in ihrem Garten vom Fenster aus. Fernglas und Spektiv stehen bereit. Aber bei Wind und Regen zeigen sich erst einmal keine Vögel.
"Ja! Kann man schon sagen, denn die werden nass, und es ist ungemütlich, und die müssen sich eine Unterkunft suchen. Aber die haben auch Hunger! Und demzufolge suchen sie auch die Stellen, wo es was gibt."
Und das ist bei Ingeborg Kinast. Mehrere Vogelhäuschen schaukeln vor dem Fenster im Wind.
"Hier in der Siedlung gibt es natürlich viele Möglichkeiten. Dadurch, dass das Rentnerproblem hier auch eine Rolle spielt ..., und die füttern! Da gibt es dann die Probleme, dass die Leute der Meinung sind, es sind gar keine da. Aber die haben viele Möglichkeiten, sich was rauszusuchen. Das ist so."
Genaues Beobachten angesagt
Und das Beste gibt es wiederum bei Ingeborg Kinast.
"Bei mir lieben die besonders Walnuss! Damit ich auch hier Vögel habe; das ist wirklich so."
Sie kennt sich aus, beliest sich, besucht Treffen mit anderen Ornithologen. Und da tauchen endlich auch die ersten Vögel auf.
"Das sind Blaumeisen und Kohlmeißen. Und die sind auch vorrangig hier an dem Futterhaus. Aber die lieben natürlich auch die Walnusskerne! Das ist besonders schön!"
Inzwischen hat der Regen aufgehört. "Ja, wir können gerne mal rausgehen." Ingeborg Kinast hängt sich das Fernglas um den Hals und stapft voran. Man sieht es an Gang und Kleidung, dass sie oft und gern draußen unterwegs ist.
"Ja, hier, durch diesen großen Bäume ist das schon schön. Alles Meisen."
Sie setzt das Fernglas gar nicht mehr ab.
"Ja, was ich jetzt hier … Das sind alles Meisen."
Anzahl der Vögel geht offenbar zurück
Sie ist ein wenig enttäuscht, dass so wenig kommen. Aber die Tage sind so unberechenbar wie die Jahre.
"Das da drüben ist auch eine Blaumeise. Kein Stieglitz! Kein Stieglitz! Und die Fichtenkreuzschnäbel, die erkennt man auch. Die haben so einen metallischen Klang, wenn die sich verständigen. Die saßen zum Beispiel in großer Anzahl dieses Jahr auf diesen Blaufichten und haben diese Zapfen bearbeitet. Das war voriges Jahr überhaupt nicht der Fall."
Aber ein Trend sei schon deutlich zu erkennen, meint sie.
"Also, es ist im Allgemeinen so, dass die Anzahl der Bruten abnimmt und auch die Anzahl der Vögel. Aber das liegt auch wirklich an unserer Landwirtschaft, die diese riesigen Flächen geschaffen hat. Und die Grundlage für die Vögel, diese bunten Wiesen und die Ränder, die verschwinden. Und damit die Insekten und die Nahrung für die Vögel. Das ist schon sehr dramatisch. Und hier in unseren Siedlungsbereichen, in den Vorgärten, da haben wir ja auch nicht so die Blütenfülle, weil da der Rasen kurz gehalten wird. Und wehe, wenn da ein Gänseblümchen oder ein Löwenzahn blüht: Da stürzen sie sich drauf und es wird vernichtet! Mit einer Akribie, wo man nur mit dem Kopf schütteln kann, ne!"
Die frühere Biologielehrerin braucht keine Vorlage und kein Bestimmungsbuch. Und natürlich hofft sie immer auf Exoten. Da kommen Möwen vorbei. Mitten hier im Flachland. 30. 50. 70. Und gleich darauf: Gänse:
"Ah, jetzt kommen Gänse. Na also, was wollen wir uns beschweren!? Das sind wieviel? 16, 17, 18, 19, 20. 20!"
Hoffen auf langfristige Erkenntnisse
Am Ende geht es wieder rein, Buch führen. Der NABU verteilt ein Faltblatt mit den zwölf häufigsten Wintervögeln in Deutschland. Eine Amsel, vier Blaumeisen, fünf Kohlmeisen, ein Eichelhäher, neun Fichtenkreuzschnäbel, eine Rabenkrähe, zwei Stieglitze, 25 Graugänse, 80 Großmöwen. Neun Arten hat Ingeborg Kinast in einer Stunde gesehen. Doch die Exoten sind weniger das, was die Ornithologen vom BUND interessiert. Es geht im Kern der seit acht Jahren durchgeführten Zählung darum, langfristige Veränderungen der Populationen zu beobachten, erklärt Klaus Lieder, Vogelexperte des BUND Thüringen, später in seinem Garten, vor seinen Vogelhäuschen.
"Das hat natürlich nur die Wirkung, wenn es über viele Jahre geht. Sagen wir: In zehn Jahren kann man vielleicht eine Tendenz erkennen. Also, jetzt ist das noch zu knapp, weil das zu viele Zufälle sind bei wenig Wintern. Ein Winter ist sehr kalt, der andere ist schneereich, der andere ist sehr mild. Und das sind natürlich große Unterschiede. Aber wenn man das über 30 Jahre so macht, hat man gute Ergebnisse."