Immerhin, der Rückruf manipulierter Dieselautos kommt voran. Mit dem VW-Passat und dem Audi A4 sollen womöglich noch in dieser Woche die ersten Volumenmarken in die Werkstätten rollen. Rückkaufangebote oder Gutscheine über 1.000 Dollar pro Fahrzeug, wie sie für Amerikaner im Gespräch sind, soll es hierzulande nicht geben. Diese zufällig an einer Tankstelle in Hannover befragten VW-Kunden scheinen sich damit abzufinden:
- "Das, was die gemacht haben, finde ich nicht gut - aber es berührt mich jetzt persönlich nicht im Besonderen. Ich warte jetzt ab, bis mich jemand anschreibt - und dann mache ich das, was ich machen muss. Und dann ist es gut…"
- "Da würde ich mich beschweren. Aber, ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass die sich da quer stellen würden - kann ich mir nicht vorstellen!"
- "Wenn er ein bisschen weniger zieht oder so, dann würde ich das wohl in Kauf nehmen. Also, ich bin mit dem Auto total zufrieden - und würde es weiterfahren!"
Nicht alle deutschen Opfer der Diesel-Manipulation bleiben so gelassen. Vor dem Landgericht in Bochum will ein Kläger heute erstmals vertragliche Ansprüche auf Schadensersatz gegen seinen Händler geltend machen. Der Kunde behauptet, dass die Emissionswerte seines VW-Tiguan deutlich höher sind als von VW angegeben. Kampfbereit gibt sich auch die Düsseldorfer Kanzlei um den früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum. Die Anwälte haben das Modell einer gemeinnützigen Stiftung ersonnen, die mit VW einen außergerichtlichen Vergleich erzielen soll. Bereits 70.000 Mitglieder europaweit hat man nach eigenen Angaben bereits für das Projekt geworben.
Kartellrechtsexperte: "Unser Rechtssystem ist verstaubt"
Auch Christopher Rother leuchtet nicht ein, dass Volkswagen zwar den 500.000 Haltern manipulierter Dieselautos in den USA eine Entschädigung zahlen will, sich die zweieinhalb Millionen heimischen Kunden hingegen mit einer schlichten Nachrüstung begnügen sollen:
"Bei Volkswagen war die spezielle Motivation für uns, dass wir es nicht für hinnehmbar gehalten haben, dass US-amerikanische Kunden hier besser behandelt werden sollen als deutsche Kunden. Die einzige Rechtfertigung, deutsche Kunden anders zu behandeln, liegt darin, dass unser Rechtssystem einfach verstaubt ist - und keine geeigneten Instrumente bereit hält, wie mit solchen Massenschäden mit Millionen von Geschädigten sinnvollerweise umgangen werden kann. Es kann nicht im Interesse von Volkswagen und der Allgemeinheit sein, wenn hier mehrere Millionen Klagen über Jahre vor deutschen Gerichten anhängig sind!"
Der renommierte Kartellrechtsexperte aus Berlin ist Partner des US-Sammelklägers Michael Hausfeld, der nun ebenfalls auf den hiesigen Markt drängt. Hausfeld ist der bekannteste der 22 Anwälte, die die Interessen der Geschädigten in den USA gegen Volkswagen vertreten sollen. In den USA gibt es Sammelklagen, wo es genügt, wenn ein geschädigter Kunde Klage erhebt. Dann gilt das Ergebnis des Verfahrens automatisch für alle Geschädigten. Im deutschen Recht muss jeder Einzelfall gesondert behandelt werden. Das dürfte das deutsche Rechtswesen auf Jahre lahmlegen, unkt Rother.
VZBV: Kunden haben grundsätzlich Anspruch auf Schadensersatz
Zwar soll der Prozessfinanzierer Burford Capital laut Rother zehn Millionen Euro bereitstellen, doch auf langjährige Streitigkeiten vor deutschen Gerichten zielt das Geschäftsmodell der Amerikaner gar nicht ab: VW-Geschädigte sollen ihre Ansprüche auf einen sogenannten Rechtsdienstleister abtreten. Dieser beauftragt dann seinerseits die auf komplexe Rechtsstreitigkeiten spezialisierte Hausfeld-Kanzlei damit, die gebündelten Ansprüche in Verhandlungen mit Volkswagen durchzusetzen:
"Wir werden - wie alle Anwälte - auf Grundlage von Stundensätzen tätig. In großen und komplexen Verfahren fällt entsprechend viel Arbeit an, abrechenbare Stunden, und die wird dann in diesem Fall von dem externen Anbieter, der die Ansprüche sammelt, gezahlt. Das ist unser finanzieller Anreiz."
Dass hiesige VW-Kunden grundsätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz haben, sagt auch Marion Jungbluth. Wie die Anwälte beruft sich die Expertin vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) auf Studien, die belegen sollen, dass die betroffenen Fahrzeuge nach Bekanntwerden der Abgasmanipulation erheblich an Wiederverkaufswert verloren haben.
VW: Vergleich mit US-Kunden nicht auf Deutschland übertragbar
Sollten sich etwa Leistung und Verbrauch durch die amtlich verordnete Nachrüstung erheblich verschlechtern, könnten Klagen erfolgreich sein. Das Problem: Der Nachweis muss auf dem Prüfstand geführt werden - die realitätsfernen Laborbedingungen dort werden von ADAC, Verbraucherschutz- und Umweltverbänden seit Jahren kritisiert, weil sie zum großen Schummeln der Autobauer geradezu einladen. Marion Jungbluth:
"Diese große Zahl der Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich jetzt an Anwälte oder an die Stiftungen wenden, macht ja mindestens eines deutlich: dass der Unmut und auch das Unverständnis der Verbraucher sehr groß ist, wieso sie eigentlich von VW kein Angebot bekommen. Das Problem ist, dass wir in Deutschland keine Musterfeststellungsklage haben, sodass auch Verbraucherverbände wie wir eine Klage durchführen können, auf die sich dann auch andere Verbraucher nachher berufen können. Es ist eine unbefriedigende Situation, dass die Verbraucher getrieben werden, individuell ihre Rechte durchzusetzen - und dadurch natürlich die Rechtsanwälte und Prüfinstitute reich machen werden!"
Volkswagen teilt in einer schriftlichen Stellungnahme mit, dass es nach aktuellem Kenntnisstand keine Auswirkungen auf die Restwerte der nachgerüsteten Fahrzeuge geben wird. Die Marke Volkswagen habe Umfragen zufolge auch unter Gebrauchtwagenhändlern nicht gelitten. Und der angestrebte Vergleich mit den US-Kunden sei auf den hiesigen Markt nicht übertragbar. Das Vertrauen in die von deutschen Autobauern so beworbene Diesel-Technologie in den USA sei nämlich tief erschüttert.