"The ayes to the right, 202, the noes to the left, 432."[*] Als der Speaker das Abstimmungsergebnis über den Brexit-Deal im Unterhaus verkündet, kennt der Jubel draußen, auf dem Westminster Square unmittelbar vor dem Parlament, keine Grenzen mehr. Ein paar hundert Remainers haben sich eingefunden, EU-Freunde und Anhänger eines zweiten Referendums über den Brexit, eines "peoples vote".
Remainers fordern zweites Referendum
"What are we here for? Peoples vote. What? I cannot hear you! Peoples vote. When do we want it? Now…" Am Tag der vorläufigen Brexit-Entscheidung im Unterhaus sind die Remainer klar in der Überzahl. Viele haben die blaue EU-Fahne mit den gelben Sternen dabei, gleich einem Heerlager haben sich die Demonstranten gegenüber Westminster formiert.
"Wir sind gemeinsam viel stärker, wir haben alle diese Abkommen beim Handel und in der Politik. Wenn wir jetzt gehen, haben wir nichts und bis was Neues kommt, wird es ewig dauern", sagt Rosie, eine rüstige Rentnerin, die einen Hut mit lauter gelben EU-Sternen trägt. Die Sorge vor der Zukunft treibt sie um. Einen Brexit würden die Remainer natürlich akzeptieren, aber alles sei so traurig – für sie selbst, die Enkel, das ganze Land: "Ok, we won’t brake any window, we are going to be violent. But it will be so sad. For us, for our grandchildren, for the whole country".
Und während drinnen im Parlament noch über den Brexit-Deal heftig gerungen wird, steht zumindest für die große Mehrheit der Demonstranten draußen die Lösung längst fest. Die Politik gelähmt, deshalb sei jetzt das Volk gefragt, bei einem zweiten Referendum, bekräftigt Peter, ein schon ergrauter Mittvierziger: "What they are doing now? They can’t make a decision. There are too many people in there who are lot. Which brings us back to – ok, the people should decide on the implementation".
Brexiteers beharren auf EU-Austritt: "Kein Deal, kein Problem."
"Brexit now, Brexit know, Brexit now." Auch die Brexit-Befürworter zeigen an diesem historischen Tag natürlich Flagge, und das im Wortsinn. Den Union Jack in der einen Hand, das Schild "Leave means leave" in der anderen, kann die Kanadierin Nancy, die seit über 30 Jahren auf der Insel wohnt, mit den Pro-EU-Argumenten der Remainer wenig anfangen: "Es ist ein gescheitertes Projekt. Es ist undemokratisch, es beschneidet unsere Souveränität. Wir wollen keine europäische Armee, sondern unsere eigenen Regeln machen. Kein Deal, kein Problem."
Das sieht auch Lucie so, vielleicht gerade einmal Anfang 20, lange Haare, übergroßer Pulli. Das Volk habe sich für einen harten Brexit entschieden und dagegen, weiter eine Art Kolonie der EU zu bleiben. Ohnehin sei die Zukunft für Großbritannien blendend, meint Lucie – mit den besten Universitäten der Welt und einer stabilen Wirtschaft, aber eben unbedingt außerhalb der EU: "I think, a hard brexit is a good thing. That’s what we voted in the first place. We did not vote to be some kind of a colony of the EU, so still be subject to its rules but don’t have a say in them. I think the future is brighter. We have the best universities in the world. We get a strong economy. I think the future might be very bright outside the EU."
Kein Kompromiss in Sicht
Und so wird an diesem denkwürdigen Tag in und vor Westminister eines mehr als deutlich: Nicht nur die Politik, auch das Volk ist tief gespalten über diesen Brexit. Und, jeder beharrt auf seinen Argumenten. Nur ganz selten sind auf dem Westminister Square auch nachdenkliche Töne zu hören.
Wo das alles enden soll – bei dieser Frage muss auch der überzeugte "Remainer" Eaten letztlich passen: "Das weiß ich wirklich nicht. Ich weiß, was ich will. Dass der Brexit gestoppt wird. Aber ich wage keine Vorhersage, was passieren wird. So etwas gab es vorher noch nicht. Deshalb fehlt mir auch der politische Kompass, wie das alles enden wird."
[*] Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Fassung war an dieser Stelle irrtümlich vom "The eyes to the right, 202, the nose to the left, 432" die Rede. Wir haben den Text des Beitrags korrigiert.