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Nach allen Regeln des Genres

Nicht nur als Jurypräsident bei der Berlinale machte Werner Herzog eine gute Figur. Nun ist der deutsche Autorenfilmer wieder zurück mit großem Kino, das er nach allen Regeln eines Genrefilms gedreht hat. Dennoch ist Herzogs Handschrift unverkennbar in "Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen".

Von Josef Schnelle |
    Lieutenant Terence McDonagh ist ein Cop der durchgeknallten Sorte und das mitten in den Nachwehen des Wirbelsturms Katrina in New Orleans. Zwar fürchtet er um seine Schweizer Wollunterwäsche. Aber er befreit trotzdem einen jungen Mann aus dem Gefängnis, dem das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht und der sonst wohl ertrunken wäre. Seinen beherzten Sprung ins kalte Wasser wird er aber noch bereuen, denn er schätzt die Wassertiefe falsch ein und schlägt hart auf. Fortan hat er mit heftigen Rückenschmerzen zu kämpfen, die er nur noch mit starken Schmerzmitteln im Zaum halten kann.

    Ohnehin schluckt McDonagh alles, was die Asservatenkammer der Polizei zu bieten hat. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist er der beste und effektivste Ermittler der Stadt. Natürlich lässt er - umgeben von Drogendealern, Prostitution, Spielklubs und organisiertem Verbrechen - keine Gelegenheit aus, seinen Vorteil zu suchen. Sex, Drogen, Geld - alles schaufelt er nur so in sich hinein, um dann doch noch die mächtigen Bosse hinter einer Mordserie zur Strecke zu bringen.

    Moralische Skrupel kennt er nicht und ist in seinem ständigen Rausch zwischen Schmerzensqual und Koks-Größenwahn ein gefährliches Raubtier auf der Jagd nach den wirklich bösen Junges mit denen er sich aber auch schon einmal verbündet, wenn die Wettschulden überhand nehmen. Mehr und mehr scheinen die Dinge aus dem Ruder zu geraten. Irritiert beobachten seine Untergebenen, wie er mehr und mehr auseinanderfällt und auch schon einmal verrückte Anordnungen mit noch verrückteren Begründungen gibt.

    "Bad Lieutenant - mit dem völlig unangebrachten deutschen Titelzusatz "Cop ohne Gewissen" galt lange als Remake eines Films gleichen Titels - ohne Zusatz - aus dem Jahr 1992 von Abel Ferrara mit Harvey Keitel in der Hauptrolle. Nun zeigt sich: Viel mehr als die Grundkonstruktion eines korrupten, drogenabhängigen Polizisten, der alle Grenzen überschreitet, haben die beiden Filme nämlich nicht gemeinsam.

    Abel Ferrara erzählt in seinem quälenden Kultfilm von Schuld und Sühne und existenzieller Verzweiflung. Herzog spielt hingegen in seinem Film nach einem Drehbuch des Hollywood-Routiniers William M. Finkelstein sichtlich vergnügt und hemmungslos mit dem Genre- und Erzählkonventionen des Polizeifilms. Hauptdarsteller Nicholas Cage tanzt durch diesen Film, als gäbe es kein Morgen.

    Er ist ein lockerer Desperado, dem man nicht nur ein paar Glücksmomente mit seiner Filmpartnerin Eva Mendez, sondern sogar ein echtes Happy End wünscht, das Herzog augenzwinkernd dann auch liefert. Leguane lauern übrigens langsam und gelangweilt an allen Orten herum und verordnen, von Werner Herzog selbst mit der Kamera aufgenommen, dem filmischen Parforceritt ein paar denkwürdige Ruhepausen.

    Verblüffend ist an diesem kleinen Genreschmuckstück die Leichtigkeit, die nun wirklich nicht das Markenzeichen des deutschen Kinomystikers Werner Herzog mit Meisterstücken wie "Aguirre - der Zorn Gottes" und "Fitzcaraldo" ist. In den letzten Jahren hatte er sich auf seltsame Dokumentarfilmprojekte verlegt wie "Grizzly-Man", der in Deutschland nicht einmal mehr ins Kino kam. In Kalifornien - fernab des deutschen Autorenkinos - hat er offenbar neue Kraft gesammelt und sich für neue ästhetische Herausforderungen geöffnet.

    Sein "Bad Lieutenant" strotzt vor Kinomagie, Tempo und Darstellungskraft und in Nicholas Cage scheint Herzog seinen neuen Klaus Kinski, seinen kongenialen Partner auf der Darstellerseite wiedergefunden zu haben. In den Regelwerken des Genrekinos fühlt sich Herzog offenbar besonders befreit von allzu deutscher Gedankenschwere. Trotzdem erzählt er wieder eine echte Herzog-Geschichte von einem, dessen Verrücktheit die Welt nicht zu fassen vermag.

    Ein fernes Echo von Woyzeck und Fitzcaraldo ist zu spüren, trotz aller Abfederung durch Ironie. Als "Altersmilde" könnte man Herzogs neuen Film einordnen, wenn man nicht wüsste, dass der fast Siebzigjährige sich gerade mit sieben Projekten in der Vorbereitung in eine neue Schaffensphase stürzt.