Der neue US-Präsident Joe Biden hat am Mittwoch (20.01.2021) seinen Amtssitz im Weißen Haus bezogen. Dort nahm er umgehend seine Amtsgeschäfte auf, setze gleich eine Reihe von Dekreten in Kraft, mit denen er erste Wahlversprechen einlöste. Damit leitete er zugleich eine Abkehr von zentralen politischen Projekten seines Vorgängers Donald Trump ein.
Dirk Müller: Herr Denison, Sie leben meistens in Deutschland. Sie sind bekennender Anhänger der Demokraten. Geht es Ihnen jetzt besser?
Andrew Denison: Es geht mir wirklich viel besser. Es war ein historischer Tag, aber für mich ein euphorischer Tag, schon zu sehen, wie Trump abgeflogen ist vom Weißen Haus. Viele haben sich lange nach diesem Tag gesehnt, ich auch. Also es geht mir viel besser, danke schön!
Müller: Sind Präsidentenwechsel immer historisch, oder ist das besonders historisch?
Denison: Ich würde sagen, ja. Jeder Präsidentschaftswechsel ist historisch. Amerika hat so Wellen, hin und her, Aktion und Reaktion, und mal kommen eigene Ideen zum Tragen, die auch Trump vertreten hat, und mal kommen andere Ideen zum Tragen, wie wir gestern bei dieser Einweihung gesehen haben. Natürlich die Zeit selbst macht es zum historischen Moment, denn die Vielfalt der Krisen, das ist selten für einen neuen Präsidenten so auf der Tagesordnung.
"Biden hat mehr Spielraum"
Müller: Er hat ja direkt executive orders beschlossen, präsidentielle Verordnungen, die dann gleich zunächst einmal gelten. Klimaschutz-Politik haben wir eben ja noch mal gehört, Corona-Politik, auch Einwanderungspolitik. Kann sich das Joe Biden leisten, so radikal, so schnell alles zu verändern?
Denison: Er hat große Mehrheiten hinter sich und die Erwartungen sind groß. Es ist auch die Zeit, die Zeit der Krisen, der Vielfalt der Krisen, Covid-Pandemie, Unruhen, Rassenungerechtigkeit und jetzt auch dieser Ansturm auf das Kapitol. Das heißt, er hat auch im gewissen Sinn mehr Spielraum, ich würde auch denken, mehr Möglichkeit, überparteilichen Konsens zu finden bei bestimmten Sachen. Aber kühner Anfang, kühner Anstoß auf jeden Fall.
Müller: Jetzt könnten einige sagen, er macht ja doch dann nur Politik für die Hälfte der Amerikaner, zumindest der registrierten, derjenigen, die gewählt haben. Ist da was dran?
Denison: Ja, das kann man schon sagen, und sicher sind seine Ziele nicht von allen geteilt. Aber man muss auch erkennen diese wellenartige Bewegung der amerikanischen Geschichte. Manchmal geht es um mehr Vielfalt, jeder für sich und Nullsummenspiel, auch mehr Politik durch Konflikte. Einen Streit anzufangen, das mobilisiert wirklich. Aber dann haben die Amerikaner genug davon und die neigen wieder zusammenzukommen und können dann auch erstaunliche Dinge machen.
Natürlich Krisen wie 9/11 oder der Erste und Zweite Weltkrieg, diese Zeiten kommen, auch bei Obama nach George Bush. Da, denke ich, hat Biden an die Seele nicht nur der Demokraten, sondern auch vieler anderen in Amerika gesprochen, als er von dieser Kraft in der Einheit gesprochen hat, pluribus unem.
"Es ist eine furchtbare Tragödie, dass Amerika so weit hinterherhinkt"
Müller: Herr Denison, reden wir mal über Corona-Politik. Sie kennen die deutsche Diskussion, die europäische. Sie sind ja jetzt im Moment auch in Deutschland, haben das gestern aber alles verfolgt. Jetzt macht Joe Biden neue Corona-Politik. Das ist auch eine Forderung gewesen. Das ist eine ganz große Krise in den Vereinigten Staaten. Was er jetzt angekündigt hat, war Maskenpflicht in allen Behörden. Ist das Corona-Politik?
Denison: Es ist ein Anfang. Natürlich für Amerika gilt es erst mal, die Fehler von der Trump-Regierung wieder gut zu machen, und bei einigen von diesen, denke ich, wenn man von Washington handelt, Einheit in der Regierung und Zusammenarbeit mit den Bundesstaaten, kann man ziemlich schnell vorankommen. Es ist natürlich eine furchtbare Tragödie, dass Amerika so weit hinterherhinkt.
Die Frage, ob die Rolle von Gesundheitszugang und auch von wissenschaftlicher Expertise und auch staatlicher Maßnahmen jetzt anders gesehen wird, ich glaube, ist ohne Zweifel. Ja, es ist wieder salonfähig, davon zu sprechen, dass man den Mindestlohn hat, dass die, die wirklich gelitten haben unter dieser Pandemie, ganz besondere Behandlungen bekommen und auch viel mehr Geld bekommen. Riesige Ansätze sind meiner Meinung nach jetzt auch nach der Erfahrung mit Trump konsensfähig.
"Die Rede, die Biden gesprochen hat, war fantastisch"
Müller: Ich muss Sie da noch was fragen. Sie haben ja auch die Fernsehbilder, die Übertragung live verfolgt. Da ist vielen von uns aufgefallen, dass nachher, als der neue eingeschworene Präsident weg war, auf dem Weg ins Weiße Haus war, aber viele Gäste noch zusammen waren, unter anderem auch Barack Obama. Der hat eine Maske getragen, aber er hat zu vielen Gästen keinen Abstand gehalten. Er hat umarmt, er hat sogar Küsse verteilt. Wusste Barack Obama nicht, dass das kontraproduktiv ist, um die Krise in den Griff zu bekommen?
Denison: Ich kann Barack Obama jetzt nicht so beurteilen, ob das sinnvoll war oder nicht. Er macht Bilder wie diese. Es gilt, die dann auch zu kritisieren. Die Hoffnung bleibt, dass eine Regierung, die Covid-19 ernst nimmt, Erfolg haben kann – nicht nur für Amerika, sondern es steht natürlich auch die Frage, wann wird Amerika in der ganzen Welt sich engagieren, um einer globalen Herausforderung gewachsen zu sein. Da, denke ich, läuft er auch in offene Arme rein in Europa, Joe Biden, wenn er atlantische Ansätze weiter pflegen kann.
Diese Pfizer-BioNTech-Zusammenarbeit ist auf einer Seite natürlich symbolhaft für die enge deutsch-amerikanische Beziehung, aber es zeigt auch, wie der eine den anderen manchmal ausnutzt, die Sensibilitäten des anderen verletzt.
Müller: Die Amerikaner ticken da offenbar auch ganz anders, nicht nur Donald Trump, sondern viele andere auch, Barack Obama war ja einer unter vielen. Das heißt, mit den Abstandsregeln, mit den konsequenten Kontaktvermeidungen sind die Amerikaner nicht so weit im Bewusstsein wie die Europäer?
Denison: Ja, das würde ich auch sagen. Was auch immer für Maßnahmen für Sicherheit die genommen haben, es war ein schlechtes Bild, soll aber nicht ablenken von einem historischen Tag, von dem Abflug von Trump. Die Rede, die Biden gesprochen hat, war fantastisch. Alle haben das sehr gut beurteilt. Es ist ein Zeichen der Zeit, aber es ist diese Zeit gewachsen, denke ich, und das war ein guter Tag für Amerika, ich denke auch ein guter Tag für die Welt.
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