Am vergangenen Freitag (28. Juni) hatte ein Selbstmordattentäter nordöstlich der malischen Stadt Gao eine stehende Patrouille mit einer Autobombe angegriffen. Dabei wurden 13 UN-Soldaten verletzt, darunter zwölf Deutsche, drei von ihnen sind schwerverletzt. Die Soldaten hatten nach Angaben der UN einen Konvoi eines malischen Bataillons gesichert. Am Vortag war es bereits zu einer Explosion eines Sprengsatzes gekommen - bei der es aber nur Sachschaden an einem Fahrzeug gegeben habe.
An der UN-Stabilisierungsmission MINUSMA und an der EU-Ausbildungsmission EUTM, die malische Sicherheitskräfte ausbildet, beteiligen sich auch etwa 1.100 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Der Einsatz, der erst im Mai 2021 um ein Jahr verlängert wurde, soll den Friedensprozess in Mali unterstützen.
Instabile Lage in der gesamten Region
Die politische Situation in Mali ist seit 2012 von zunehmender Instabilität geprägt. Innerhalb eines Jahres wurde in dem Land zwei Mal geputscht. Dazu kommt: In Mali sind mehrere islamistische Terrorgruppen aktiv. Die meist islamistisch motivierte Gewalt hat in den vergangenen Jahren auch die benachbarten Länder in der Sahel-Zone erreicht. Tausende Soldaten und Zivilisten wurden in der Krisenregion getötet, Hunderttausende mussten aus ihrer Heimat fliehen.
Mittlerweile sind alle zwölf bei dem Anschlag verletzten deutschen Blauhelmsoldaten zurück in Deutschland. "Die gute Nachricht ist, dass alle Zuhause sind und alle stabil", sagte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) im Dlf. Auch die drei Schwerverletzen seien in einem stabilen Zustand. Noch sei nicht bekannt, wer hinter dem Anschlag stecke. "In dem Raum, in dem wir operiert haben, gibt es aber zwei große Terrorgruppen", sagte die Verteidigungsministerin. Das eine sei der IS der Sahara und die andere sei eine Gruppe, die an Al-Kaida angelehnt ist.
"Die Vermutung liegen natürlich auf der Hand, dass es eine dieser beiden Gruppen waren. Es gibt aber bisher kein Bekennerschreiben", so die Bundesverteidigungsministerin. Derzeit stünde die Aufarbeitung des Anschlags im Vordergrund. "Diese Aufklärung dient am Ende unserem eigenen Schutz und dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten der anderen Nationen, die mit uns im Einsatz sind."
"Die Rettungskette hat gestanden"
Den vom Veteranen-Verband erhobenen Vorwurf, dass die Soldaten in Mali nur unzureichend geschützt seien, wies sie zurück. "Die Rettungskette mit den beiden zivilen Hubschraubern hat gestanden. An der Rettungskette ist nichts auszusetzen." Ziel es sei immer gewesen, vor Ort auch mit eigenen Hubschraubern im Einsatz sein. Das könne man nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan im Herbst auch wieder sicherstellen.
Die gesamte Region in der Sahel-Zone sei "von der Staatlichkeit schwächer geworden", hält Annegret Kramp-Karrenbauer fest. "Die Terroristen agieren aggressiver", sagte sie. "Ich dränge darauf, dass wir auch in der Bilanzierung des Einsatzes unsere Erfahrungen in Afghanistan und die Lage in Mali wirklich sehr nüchtern auch anschauen und uns genau überlegen, was können wir dort erreichen, was wollen wir dort erreichen."
Realistische Ziele in Mali stecken
Alle Vertreter des Auswärtigen Amtes hätten deutlich gemacht, wie wichtig die Präsenz für den Versöhnungsprozess sei. "Wozu ich nur rate, ist, dass man wirklich realistische politische Ziele für diese Region formuliert", mahnte sie. "Ich glaube, eine der Fragen, die wir in Afghanistan beantworten müssen, ist, ob wir die politischen Ziele, nicht zu unrealistisch und zu hoch und eigentlich unerreichbar angesetzt haben." Mit Blick auf Afghanistan sei es unrealistisch gewesen, das Land innerhalb kurzer Zeit in einen Staat europäischer Prägung transformieren zu können. In Mali und in der gesamten Region könne man nur in begrenzten Räumen aufklären.
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Jasper Barenberg: Alle zwölf verletzten Bundeswehrsoldaten sind ja inzwischen zurück in Deutschland und in medizinischer Behandlung. Was können Sie uns darüber sagen, wie es ihnen geht?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Die gute Nachricht ist, dass alle zu Hause sind und alle sind stabil, insbesondere auch die drei schwer verletzten Soldaten, und das ist die wichtigste Nachricht für uns.
Barenberg: Haben Sie schon Informationen darüber, wer für diesen Anschlag verantwortlich ist, wer ihn verübt hat?
Kramp-Karrenbauer: Wir haben noch keine genauen Informationen vorliegen. Ich habe gestern Nachmittag mit dem Kontingentführer vor Ort telefoniert. Im Moment, nachdem alle verlagert sind, alle Verletzten nach Deutschland, alle Soldaten wieder sicher im Lager in Gao sind, beginnen wir jetzt natürlich mit der Aufklärungsarbeit. In dem Raum, in dem wir operiert haben, gibt es aber zwei große Terrorgruppen: Das eine ist der IS der Sahara, das andere ist die Gruppe, die eher Al-Kaida angelehnt ist, und die Vermutungen liegen natürlich auf der Hand, dass es eine dieser beiden Gruppen waren. Es gibt aber bisher noch kein Bekennerschreiben oder ein Bekenntnis dazu und auch noch keine hundertprozentige Sicherheit.
"Wieder in die Routine hineinkommen"
Barenberg: Dieser Anschlag ist eine Zäsur für den Einsatz der Bundeswehr in Mali. Hat das unmittelbare Folgen für die Bundeswehrsoldaten vor Ort? Werden Sie zum Beispiel die Regeln ändern, um die Sicherheit für die Soldatinnen und Soldaten vor Ort zu erhöhen?
Kramp-Karrenbauer: Auch das hab ich gestern mit dem Kontingentführer besprochen. Wie gesagt, zuerst gilt es jetzt, den Anschlag aufzuarbeiten, genau zu wissen, was passiert ist. Das ist nicht so einfach, weil ein Teil der Augenzeugen in Deutschland im Krankenhaus ist, der andere vor Ort und sicherlich im Moment noch auch in einer nicht ganz einfachen psychischen Verfassung. Aber daran wird hart gearbeitet. Der Kontingentführer hat noch mal deutlich gemacht, dass wir aber auch versuchen, schnellstmöglich wieder in die Routine hineinzukommen, die Aufklärung aufzunehmen, denn diese Aufklärung dient am Ende unserem eigenen Schutz und dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten der anderen Nationen, die mit uns im Einsatz sind.
Barenberg: Frau Kramp-Karrenbauer, es gibt heute Morgen Einlassungen, beispielsweise vom Vorsitzendes des Bundes Deutscher EinsatzVeteranen, der den Vorwurf erhebt, dass die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in Mali nicht den optimalen Schutz bekommen, den sie eigentlich brauchen. Verwiesen wird etwa auf den Mangel an Transporthubschraubern. Gibt es da Grund für Sie, selbstkritisch sich das anzuschauen?
Kramp-Karrenbauer: Punkt ein, wir haben immer gesagt, unser Ziel ist es, mit eigenen Hubschraubern auch vor Ort im Einsatz zu sein, das werden wir nach dem Abzug aus Afghanistan ab dem Herbst auch wieder sicherstellen können. Aber – auch das hab ich gestern nachgefragt – die Rettungskette hat gestanden, auch mit den beiden zivilen Hubschraubern. Nach Auskunft des Kontingentführers waren diese beiden zivilen Hubschrauber die ersten in der Luft, die ersten vor Ort, und das unterhalb der Zeit, die wir eigentlich vorgeben. Also an der Rettungskette ist nichts auszusetzen.
"Die gesamte Region ist schwächer geworden"
Barenberg: Wenn ich da noch mal was nachfügend darf: Jetzt sagt der Bund der deutschen Einsatzveteranen, dass dieser Hubschrauber 50 Kilometer vom Anschlagsort landen musste, weil es eben ein ziviler Hubschrauber unter anderem war, und das heißt natürlich ein Transport 50 Kilometer über Land, und das heißt natürlich, sagt Bernhard Drescher, ein Risiko auf dieser Strecke, eine große Gefahr für die Menschen.
Kramp-Karrenbauer: Ich weiß nicht, woher diese Information stammt, ich kann nur noch einmal sagen, von meinem Telefonat gestern und das, was uns an Informationen zur Verfügung steht, war davon nicht die Rede.
Barenberg: Islamistische Dschihadisten und regionale Milizen greifen die malischen Sicherheitskräfte an, sie terrorisieren die Zivilbevölkerung in letzter Zeit, immer öfter auch gibt es Anschläge, Angriffe auf die internationalen Truppen dort. Nach acht Jahren Bundeswehr in Mali, Frau Kramp-Karrenbauer, ist es da Zeit, nüchtern festzuhalten, es ist viel schlechter geworden und wenig besser oder gar nichts möglicherweise?
Kramp-Karrenbauer: Was wir sehen, ist, dass Mali von der Staatlichkeit, dass die gesamte Region in der Sahelzone auch in anderen Ländern von der Staatlichkeit schwächer geworden ist, auch durch die innenpolitischen Entwicklungen, etwa jetzt zuletzt durch den Putsch in Mali, und dass die Terroristen in der Tat auch aggressiver agieren. Das ist die Sicherheitslage, die wir auch im Mai bei der Verlängerung des Mandates diskutiert haben, und deswegen dränge ich auch darauf, dass wir auch in der Bilanzierung des Einsatzes unsere Erfahrungen in Afghanistan und die Lage in Mali wirklich sehr nüchtern auch anschauen und uns genau überlegen, was können wir dort erreichen, was wollen wir dort erreichen. Das ist aus meiner Sicht eine notwendige Debatte, die wir auch bei einer möglichen Fortführung des Mandates führen müssen, und das ist auch eine der Fragen, die ich am Dienstag in New York mit dem UN-Generalsekretär erläutern werde.
"Wir können nur in begrenzten Räumen aufklären"
Barenberg: Ich verstehe das so, Frau Kramp-Karrenbauer, dass es jetzt unter anderem darum geht, auch angesichts der ganzen Entwicklungen der vergangenen Jahre, diesen Einsatz grundsätzlich noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.
Kramp-Karrenbauer: Nein, wir sind vor Ort, und alle unsere Soldaten, aber auch die Vertreter des Auswärtigen Amtes sagen noch einmal ganz deutlich, unsere Präsenz, unsere Arbeit dort ist wichtig für diesen Versöhnungsprozess, der läuft auch weiter. Aber wir haben auch deutlich gesagt, wir schauen uns die innenpolitische Situation in Mali an, insbesondere der Transitionsprozess hin zu einer demokratisch gewählten Regierung. Das muss man mit im Auge behalten. Wozu ich nur rate, ist, dass man wirklich realistische politische Ziele für diese Region formuliert, weil ich glaube, dass eine der Fragen, die wir in Afghanistan beantworten müssen, die Frage ist, ob wir die politischen Ziele nicht zu unrealistisch und zu hoch und eigentlich unerreichbar angesetzt haben.
Barenberg: Welche Ziele sind denn aus Ihrer Sicht unrealistisch gewesen?
Kramp-Karrenbauer: Mit Blick auf Afghanistan ganz sicherlich die Vorstellung, dieses Land innerhalb kurzer Zeit in einen Staat europäischer Prägung transformieren zu können. Wenn man sich die Größe der Region und des Landes in Mali anschaut, dann geht es für uns darum, dass wir über wirklich begrenzte Räume aufklären können, unseren Beitrag leisten können, dass dort einigermaßen stabile Verhältnisse sind, damit etwas wie ziviles Leben wieder Raum greifen kann, damit wir Raum schaffen für Entwicklungen. Und das muss man im Auge haben, das ist auch unser Auftrag, daran arbeiten auch unsere Soldatinnen und Soldaten.
"Dieser Einsatz macht nach wie vor Sinn"
Barenberg: Aber wenn es so ist im Moment, dass die Angriffe islamistischer Terrorgruppen zunehmen, dass die Unsicherheit in großen Teilen des Landes wächst, dass es auch Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen an die Adresse der malischen Sicherheitskräfte gibt, was spricht dann gegen die These der Linkspartei? Bei der Mandatsverlängerung hat die Linkspartei gesagt, wir müssen abziehen. Was spricht aus Ihrer Sicht dafür, zu bleiben?
Kramp-Karrenbauer: Das ist das alte Dilemma, vor dem wir stehen, dass die Ziele, die wir uns gesetzt haben, die das Mandat hergibt, eben Ziele sind, die nur schwer zu erreichen sind, dass die Umstände schwierig sind. Man muss immer die Gegenfrage beantworten: Wenn wir aus Mali abziehen, sowohl in der Bekleidung des Friedensprozesses als auch in den Ertüchtigungsmissionen, was dann überhaupt an Stabilität in der Region noch bleibt. Es kann nicht im europäischen, auch nicht im deutschen Interesse sein, dass wir in der Sahelzone eine Region haben, die komplett instabil wird und die komplett Terroristen und kriminellen Gruppen anheimfällt. Deswegen bleibe ich dabei, und das war auch die Einschätzung des Auswärtigen Amtes gestern, dass dieser Einsatz nach wie vor Sinn macht. Aber es ist auch ganz klar, dieser Einsatz ist gefährlich, und das haben wir leider am Freitag gesehen.
Barenberg: Und Sie bleiben auch dabei, dass die Ausbildungsmission, die europäische, weiter stattfinden wird. Können Sie es denn vertreten, Bundeswehrsoldaten in einen solch gefährlichen Einsatz zu schicken, wenn Sie, wie Sie selbst sagen, es mit einem Partner zu tun haben, der nicht vertrauenswürdig ist, einer instabilen Regierung?
Kramp-Karrenbauer: Wir haben mit den europäischen Partnern gemeinsam gesagt, wir bleiben vom Grundsatz her bei der Ausbildungsmission. Wir wollen ja ein europäisches Ausbildungszentrum auch aufbauen. Wir haben allerdings gesagt, diese Schritte verlangsamen wir im Moment, bis wir sehen, ob die Zusage, die der jetzige malische Präsident gegeben hat mit Blick auf die Transformation und mit Blick auf demokratische Wahlen zu Beginn des nächsten Jahres, auch wirklich eingehalten wird. Und wir haben immer deutlich gemacht, ob wir dauerhaft in der Ertüchtigung bleiben können, hängt vor allen Dingen von dieser innenpolitischen Entwicklung in Mali ab, und das muss man in den nächsten Monaten sehen, das ist heute noch nicht abschließend zu beurteilen.
Barenberg: Zum Schluss noch ein Blick auf die Rolle Frankreichs, eine zentrale Rolle bei der gesamten Mission dort: Der Präsident hat ja angekündigt, dass der Antiterroreinsatz Frankreichs beendet werden soll und der Militäreinsatz insgesamt grundlegend überdacht. Welche Folgen hat das für Deutschland?
Kramp-Karrenbauer: Das ist nach meiner Kenntnis so nicht ganz korrekt, denn es wird beim Antiterroreinsatz von der Takuba bleiben. Das ist der, in dem Frankreich zusammen mit internationalen Partnern auch agiert. Der rein französische "Barkhane" wird umgewandelt stärker in eine Ausbildungs- und Unterstützungsmission, sodass die Präsenz der französischen Seite vor Ort und im Raum weiter gegeben ist. Trotzdem wird es eine der Fragen sein, die wir auch in der Zukunft beantworten müssen, wie die unterschiedlichen Missionen von Minusma über EUTM Mali bis Takuba zusammen agieren, ob sie zusammen agieren, wie die Absprachen sind. Auch das ist ein Punkt, über den ich New York ganz sicherlich mit den UN-Spitzen reden werde.
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