"Zunächst braucht es klare Zeichen der Solidarität", fordert Matthias Quent, Soziologe und Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Das Ziel der Täter sei es, die Spaltungen innerhalb der Gesellschaft zu vertiefen. Und die Botschaftswirkung einer solchen Tat sei erheblich. "Entscheidend ist das Hinschauen: Wie geht es den Menschen, die nicht nur persönlich zum Opfer geworden sind, sondern die angegriffen wurden, weil sie eine Einwanderungsgeschichte haben?"
Trauer und Wut prägen das Gedenken in Hanau, berichtet Dlf-Landeskorrespondentin Anke Petermann am Tag nach dem Anschlag: Sobald der Bundespräsident am ersten der beiden Tatorte aus der Limousine aussteigt, um Blumen niederzulegen, ertönen Rufe: "Herr Steinmeier, wann wird die rechte Szene als Terrorstufe eingestuft?!" Und: "So hat es gegen Juden angefangen, jetzt gegen Türken." Nicht nur auf Hanaus Straßen ist der Vorwurf omnipräsent, dass der Staat und die Parteien des demokratischen Spektrums sich von den Rechten und Rechtsextremen zu viel bieten lassen. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) erhält sogar Buhrufe für mangelnde Aufklärung der NSU-Verbrechen: "NSU-Akten raus" skandieren junge Leute, "Heuchler" ruft einer. Sollten die Ermittler den Attentäter von Hanau am Ende als Einzeltäter beschreiben - viele würden das nicht glauben.
Ähnlich scharf wurden solche Forderungen auch in Berlin formuliert.
3000 Demonstranten versammelten sich am Donnerstag (20.02.2020) auf dem Hermannplatz in Berlin-Neukölln.
Kurdische, türkische und antifaschistische Organisationen haben dort zur Demonstration aufgerufen. Parallel dazu gab es eine Mahnwache am Brandenburger Tor. 500 Menschen standen dort in einer Kette. Dabei waren auch Politiker von CDU, SPD, Grünen und FDP sowie Vertreter von Kirchen und Gewerkschaften, von den Zentralräten der Muslime und der Juden.
Bundesinnenminister Horst Seehofer bezeichnete den Anschlag bei einer einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Justizministerin Christine Lambrecht als "eindeutig rassistisch motivierten Terroranschlag". Dieser mache deutlich, dass die Gefährdungslage durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus in Deutschland sehr hoch sei, sagte der CSU-Politiker in Berlin.
Was war das Ziel der Tat?
"Bei solchen rechten Attentätern geht es darum, die Gesellschaft zu spalten", sagt Matthias Quent. Die Täter ziehen eine Differenz zwischen einer Gruppe, die sie als "einheimische Gesellschaft" beschreiben und einer Gruppe, die als "nicht dazugehörig" definiert werden – anhand rassistischer, ethnischer Kriterien. "Gesellschaftliche Spaltungslinien, die ja vorhanden sind, werden auf eine vernichtende Art und Weise radikalisiert werden. Und diese Spaltungen sollen vertieft werden", so Matthias Quent.
Was wissen wir über den Täter?
"Es handelt sich um einen Verschwörungstheoretiker, der seine persönlichen Erfahrungen, sein Leiden, das er so wahrnimmt, absolut rassistisch kanalisiert hat: Es ist antisemitisch, es ist rassistisch. Es ist auch die rassistisch motivierte Opferauswahl", sagt der Extremismusforscher Matthias Quent. Auf seiner Homepage veröffentlichte der mutmaßliche Täter krude Verschwörungstheorien, er äußerte sich antisemitisch und frauenfeindlich. Daher gingen Behörden von einem rassistischen Tatmotiv aus.
Einzeltäter oder Terrorgruppe?
Nach dem Anschlag von Hanau überprüfen die Ermittler derzeit das Umfeld des mutmaßlichen Täters. Dabei gehe es um Kontakte im Inland und möglicherweise im Ausland, teilte Generalbundesanwalt Frank in Berlin mit. Bislang gebe es keine Hinweise darauf, dass der Mann mit anderen Personen über seine Pläne gesprochen oder um Unterstützung gebeten habe.
Die Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte am Donnerstag in Berlin, Taten wie in Hanau entstünden nicht aus dem Nichts. Nährboden dafür seien Verschwörungstheorien. Das kürzlich vom Kabinett verabschiedete Gesetz gegen Hasskriminalität ermögliche es, dem nachzugehen.
Es gebe bisher keine Hinweise auf Strukturen, vieles erinnere an den Attentäter von Christchurch, meint Extremismusforscher Quent. "Natürlich muss man nach den Ursachen fragen, muss man gucken: Hatte der Täter irgendein Netzwerk, in dem er sich radikalisiert hat?"
Quent unterscheidet zwei Gruppen:
- Die einzeln agierenden Menschen, die in der Regel nicht mit anderen über ihre Pläne sprechen, die aber über über Internet-Communities eingebunden sind in ideologische Gemeinschaften. "Solche politischen Deutungsrahmen fallen ja nicht vom Himmel. Die ergeben sich aus Subkulturen, aus ideologischen Gemeinschaften", beschreibt Quent.
- Die Kollektive, die sich organisieren und beispielsweise Waffen beschaffen. Die seien auch für Sicherheitskräfte leichter zu entdecken.
Natürlich könne das Vorgehen als Einzeltäter auch Teil einer Strategie sein. Der norwegische Massenmörder Anders Breivik arbeitete absichtlich nicht in einer Gruppe, um nicht entdeckt zu werden.
Kann man von Terrorismus sprechen?
Bundesinnenminister Seehofer bezeichnete den Anschlag als "eindeutig rassistisch motivierten Terroranschlag".
"Auf der Ebene von Sicherheitsbehörden und Politik, zumindest auf Bundesebene, hat man Rechtsterrorismus verstanden. Aber man muss auch sagen: Das hat auch sehr lange gedauert", beschreibt Quent. "Man hätte dieses Problem sehr viel eher erkennen und ernst nehmen müssen."