"Die USA sind milde gesagt eine Freizone für Waffen", so der ehemalige US-Botschafter in Deutschland. Es sei bedauerlich, wie schwach die Waffengesetze der USA seien. Zwar könnten durch schärfere Gesetze auch nicht alle Attentate verhindert werden, die Behörden hätten aber nach Kornblums Einschätzung dadurch einen besseren Überblick über Waffenbesitzer.
Grundsätzlich sei es nicht angebracht, mit Mitteln der Terroristen auf Anschläge zu reagieren - wie etwa Freiheiten zu beschneiden oder Verbote auszusprechen, wie sie der republikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump fordert. Man müsse die demokratische Gesellschaft stärken. Demokratie sei zwar manchmal langsam und schmerzhaft aber besser als Lösungen wie Trump sie anbiete, so Kornblum. Trumps Konkurrentin von den Demokraten, Hillary Clinton, könne eine kontinulierliche und glaubwürdige Linie erarbeiten, um sich gegen den Republikaner zu stellen.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Ein Attentat in den USA wird zum Wahlkampfthema. In Orlando wird noch um die Opfer des Anschlags getrauert, da bestimmt das Thema schon die politische Diskussion. Der Attentäter von Orlando hat sich zum sogenannten Islamischen Staat bekannt. Offenbar hat er aber auf eigene Faust gehandelt und sich im Internet radikalisiert.
Am Telefon ist jetzt John Kornblum, ehemaliger amerikanischer Botschafter in Berlin. Guten Morgen, Herr Kornblum.
John Kornblum: Guten Morgen.
Kaess: Instrumentalisiert Trump das Attentat in Orlando für seinen Wahlkampf?
Kornblum: Ja, offensichtlich. Ich meine, das ist sowieso seine Linie gewesen: Einwanderer sind gefährlich, vor allem muslimische Einwanderer. Das ist für ihn natürlich jetzt eine Gelegenheit, diesen Punkt noch stärker zu machen.
"Verbote und Unterdrückung sind kein gutes Mittel"
Kaess: Man könnte auch sagen, Herr Kornblum, Trump spricht eine Wahrheit an, nämlich dass es in den USA ein Problem mit radikalisierten Muslimen gibt.
Kornblum: Ja, natürlich ist das ein Problem, genauso wie in Europa und wie in anderen Erdteilen. Die Frage ist - und das wird natürlich eins der Hauptthemen des Wahlkampfes sein -, wenn man ein innenpolitisches Problem hat wie einige junge Muslime oder andere, wie geht man das an. Durch Verbote und Unterdrückung in der westlichen Gesellschaft ist das kein gutes Mittel.
Kaess: Allerdings in dieser emotional aufgeladenen Stimmung scheint das auch zu ziehen. Und auf der anderen Seite die Botschaft von Hillary Clinton; die wirkt da etwas schwach, wenn sie sagt, es ist falsch, kontraproduktiv und gefährlich, sich jetzt gegen alle Muslime zu wenden, denn sie bietet ja keine Lösung an.
Kornblum: Ja, das stimmt, und das ist immer das Problem in einer Demokratie, dass dramatische Lösungen, dramatische Empfehlungen zuerst immer das Publikum anziehen, bringen aber im Endeffekt nichts. Ich glaube, niemand würde es Frau Clinton empfehlen, jetzt mehr auf die Trump-Linie zu gehen. Die Frage wird jetzt sein, erstens natürlich was passiert in den nächsten drei Monaten - das ist sehr wichtig -, aber zweitens auch, kann Frau Clinton eine ziemlich kontinuierliche glaubwürdige Linie entwickeln, wie man gegen solche Probleme angeht.
Kaess: Aber es bringt auch nichts, keine Lösung zu bieten, was die Demokraten bisher tun. Was sollte da geschehen?
Kornblum: Na ja. Ich weiß nicht, was Sie damit meinen, keine Lösung. Das Problem gibt es seit mindestens 15 Jahren, seit 9/11, und es gibt mehrere Lösungen, es gibt mehrere Verstärkungen der Sicherheitsmaßnahmen etc. jetzt auf einmal zu sagen, jetzt habe ich eine Lösung, ist natürlich sowieso nicht zu erwarten.
"Die Demokratie ist manchmal langsam und manchmal schmerzlich"
Kaess: Aber Herr Kornblum, Trump zum Beispiel spricht ja ganz konkrete Details an. Er beschuldigt zum Beispiel die muslimische Gemeinschaft, wo der Täter bekannt war, dass niemand ihn den Behörden gemeldet hat. Da spricht er einfach Klartext?
Kornblum: Nein, nein. Erstens: Das FBI hatte mit diesem Mann mehrmals gesprochen.
Kaess: Ohne Konsequenzen!
Kornblum: Ohne Konsequenzen, weil wir in einem Rechtsstaat leben. Ich finde es sehr interessant, dass Sie versuchen, mich in die Ecke von Trump zu drängen.
Kaess: Nein, überhaupt nicht! Ich versuche, Ihre Gegenargumente zu hören.
Kornblum: Meine Gegenargumente sind die Demokratie. Die Demokratie ist manchmal langsam und manchmal schmerzlich, aber sie ist viel besser, als wenn jemand wie Trump (oder man könnte auch andere Namen nennen) sagt, ich habe einfache Lösungen und diese einfachen Lösungen sind, dass wir gewisse Minoritäten, gewisse Gruppen unterdrücken. Und das ist eigentlich das, was er sagt. Es gibt im Lande Angst und auch Ablehnung von diesem Terrorismus, ohne Frage, genauso wie es sie in Europa gibt. Aber genauso wie europäische Politiker sagen, die Lösung ist nicht, dass man jetzt auch sich der Methoden von den Terroristen bedient und die Freiheit unterdrückt, sondern dass man die demokratische Gesellschaft noch stärker einbringt, um hoffentlich die Ursachen von diesen Problemen anzugehen.
"Der Islam ist in den den Vereinigten Staaten kaum vorhanden"
Kaess: Herr Kornblum, wir sehen, dass ein Anti-Islam-Kurs in Europa von Rechtspopulisten durchaus erfolgreich ist. Kann ein Anti-Islam-Kurs in den USA auch Erfolg haben?
Kornblum: Kann sein. Ich persönlich glaube es nicht, weil der Islam ist in den Vereinigten Staaten mit Ausnahme von diesen dramatischen Akten etc. kaum vorhanden. Interessanterweise darf ich Ihnen sagen, ich bin in der Stadt aufgewachsen, die den höchsten Prozentsatz von Muslimen im ganzen Lande hat. Detroit in Michigan. Und wenn Sie die Zeitungen aus meiner Heimatstadt lesen, dann lesen Sie von Gemeinschaft, von Solidaritätsbekundungen, von Versuchen, sich besser zu verstehen. Man hat zusammen in dieser Stadt seit über 50 oder 60 jetzt Jahren gelebt. Es ist nicht so, als ob das auf einmal ein Problem ist. Erstens das. Und zweitens: Es ist nicht so, als ob man nichts getan hat. Man hat sehr viel getan. Das Problem jetzt oder die Aufgabe jetzt ist, nicht zurück in einfache Lösungen zu fallen, sondern dass Frau Clinton vor allem, aber auch Präsident Obama, der noch neun Monate Präsident ist, dass Obama und Clinton auch klare Linien zeigen, sodass die Bevölkerung das Gefühl hat, dass nicht nur geredet wird, dass auch was unternommen wird.
"Bedauerlich, wie schwach unsere Waffengesetze sind"
Kaess: Welche klaren Linien sollten das konkret sein?
Kornblum: Zum Beispiel man sollte überlegen, wie mutmaßliche Terroristen oder mögliche Terroristen identifiziert sind. Heute Morgen habe ich in zwei Zeitungen lange Artikel darüber gelesen, wie schwierig es ist, einen Einzelgänger, einen Einzeltäter überhaupt zu identifizieren. Das war der Fall hier auch. Aber dann kann man sagen, jetzt haben wir ein Problem mit Einzeltätern, dann muss man da mehr dran tun. Zweitens natürlich die Waffengesetze. Die Vereinigten Staaten sind, milde gesagt, fast eine Freizone für Waffen. Es ist wirklich bedauerlich, wie schwach unsere Waffengesetze sind. Die Waffengesetze haben die Attentate in Brüssel und Paris nicht verhindert, aber bessere Waffengesetze bringen auch eine bessere Übersicht von den Menschen, die sich den Waffen bedienen.
Kornblum: Trumps Gefolgschaft ist eine "Minorität"
Kaess: Aber würde nicht genau diese Haltung für Hillary Clinton im Wahlkampf kontraproduktiv sein, die schärferen Waffengesetze, wenn sie das anspricht?
Kornblum: Nein, glaube ich nicht. Ich glaube, man soll jetzt hier nicht zwei Sachen vertauschen. Auf der einen Seite hat Trump eine Gefolgschaft, ohne Frage. Aber diese Gefolgschaft ist immerhin eine Minorität im Vergleich zu der großen Zahl von Amerikanern, Weiße, aber auch Einwanderer aus verschiedenen Ländern, die ein ganz anderes Amerika haben wollen. Das Problem - das haben die amerikanischen Zeitungen auch zugegeben - ist, dass Trump, weil er so laut und stark ist, die Schlagzeilen mehr dominiert hatte als die anderen Politiker. Aber seine Wähler sind auch mehr präsent als die überwiegende Mehrzahl der Amerikaner, die nicht seine Wähler sind. Wir sollen jetzt nicht handeln, als ob Trump die Oberhand hat und dass er die meisten Stimmen im Lande hat. Er hat bis weithin nicht die meisten Stimmen.
Kaess: Wir werden sehen, wie es ausgeht - John Kornblum war das, ehemals amerikanischer Botschafter in Berlin. Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch heute Morgen, Herr Kornblum.
Kornblum: Ich bedanke mich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.