Ralf Krauter: Warum hat die Erde dort gebebt?
Dagmar Röhrlich: Wenn man so will, zerrt und drückt und reißt die Plattentektonik aus allen Richtungen an Italien. Geologisch und tektonisch ist das Land so kompliziert, wie man es sich nur denken kann. Das Beben der vergangenen Nacht ereignete sich im Apennin, wo unterschiedliche Kräfte zusammentreffen:
Da ist zum einen die Kollision zwischen der Afrikanischen und der Eurasischen Platte: Von Süden drängt die Afrikanische Platte nach Norden - und das Ergebnis sind weiter im Norden die Alpen.
Der Apennin selbst verdankt seine Existenz einer anderen plattentektonischen Kollision: Und zwar wird die Adriatische Mikro-Platte unter Italien subduziert - sprich: das Adriatische Meer im Westen wird kleiner, während sich das Tyrrhenische Meer im Osten öffnet.
Diese verschiedenen Kräfte sorgen am Epizentrum des Bebens dafür, dass sich die Eurasische Platte im Verhältnis zur Afrikanischen Platte um rund 24 Milimeter pro Jahr nach Nordosten bewegt. Weil sich derzeit das Tyrrhenische Meer schneller öffnet, als Afrika nach Norden drückt, dehnt sich im Zentral-Apennin die Erdkruste. Und das Erdbeben von Accumoli in der vergangenen Nacht war Ergebnis dieser Dehnung.
Krauter: Wie häufig passieren dort Beben so wie das der vergangenen Nacht?
Röhrlich: 1703 erreichte ein Beben ziemlich genau am gleichen Ort eine Magnitude von etwa 6,9. Es war eines von drei Beben, die innerhalb weniger Monate die Region erschütterten. 1915 starben bei einem Erdbeben mit der Magnitude von 6,7 32.000 Menschen.
Wenn wir in der jüngeren Vergangenheit bleiben: 1997 erschütterte eine Serie von acht Beben stärker als Magnitude 5 innerhalb von zwei Monaten den Zentralapennin. Elf Menschen starben, 80.000 wurden obdachlos. Bei einem dieser Beben wurde die Basilika das Franz von Assisi schwer in Mitleidenschaft gezogen.
Dann ist da das L'Aquila-Beben von 2009, bei dem mehr als 300 Menschen starben und 55.000 Menschen obdachlos wurden. Der Wiederaufbau verlief und verläuft anscheinend eher schleppend.
Das Erdbeben von heute soll sich dem USGS zufolge nach der vorläufigen Lokalisierung in einer seismischen Lücke zwischen den Beben von 1997 und 2009 ereignet haben.
Krauter: Warum sind die Beben dort immer so zerstörerisch?
Röhrlich: Die Bebenherde in dieser Zone sind flach und damit auch besonders zerstörerisch: Flache Bebenherde erzeugen hohe Bodenbeschleunigungen, und die ist entscheidend, wenn es um die möglichen Schäden an Gebäuden geht. Außerdem kann die Oberfläche bei geringer Herdtiefe aufreißen, und es kommt leicht zu Erdrutschen, was weitere Schäden verursacht.
Doch diese tektonische Besonderheit ist nur ein Teil des Problems - das zeigt der Vergleich mit ähnlichen Beben in anderen Teilen der Welt wie etwa Japan. Das Hauptproblem liegt in der schlechten Bausubstanz. Wenn man sich die Bilder anschaut, scheinen einerseits alte, aus Natursteinen gebaute Häuser betroffen zu sein - aber auch moderne und moderne Gebäude aus Beton, die einfach schlecht gebaut worden sind.
Schwierig wird es in Erdbebengebieten auch immer, wenn in den Häusern Wände herausgenommen werden, etwa für Ladenlokale oder größere Zimmer. Das mag statisch halten, aber die Beschleunigungskräfte, die bei einem Beben auftreten, fängt ein solches Gebäude nicht mehr unbedingt ab.
Krauter: Gibt es in Italien keine Vorschriften für erdbebensicheres Bauen?
Röhrlich: Die gibt es, und die ersten stammen aus dem Jahr 1974. Die Vorschriften wurden nach dem Molise-Beben 2002 verschärft, als bei einem 5,7er-Beben eine Schule zusammenbrach und mehr als 20 Kinder erschlug. Doch auch die besten Vorschriften nützen nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden. Außerdem müssten bestehende Gebäude und Brücken verstärkt werden - eine gigantische aber sehr wichtige Aufgabe, wenn es nicht immer zu solch verheerenden Bildern kommen soll.