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Nach Bericht zu Anis Amri
"Das ist wirklich eine bittere Erkenntnis"

Sie stelle immer wieder fest, dass die Sicherheitsbehörden nicht ausreichend zusammenarbeiteten, wenn Attentäter die Landesgrenzen überschritten, sagte die SPD-Innenexpertin Eva Högl im Dlf. Der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz Anis Amri hätte abgeschoben werden müssen und auch können. Es brauche mehr Personal.

Eva Högl im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Eva Högl.
    Die SPD-Innenexpertin Eva Högl zu den Konsequenzen aus dem Fall Anis Amri: "Zentralisierung und Bundeskompetenz ist natürlich kein Allheilmittel." (imago - Metodi Popow)
    Jasper Barenberg: Harsch fällt es aus und deutlich, das Urteil des früheren Bundesanwalts Bruno Jost in seinem Gutachten für den Berliner Senat. Der Polizei, der Justiz und den verantwortlichen Politikern auch wirft er schwere Versäumnisse vor. Der folgenreichste: Es hätte die Möglichkeit gegeben, Anis Amri in Haft zu nehmen. Die Verantwortlichen haben sie verstreichen lassen. Der Grund in den Augen des Gutachters: Untätigkeit, katastrophale Zustände in den Behörden, mangelhafte Aufsicht.
    Mitgehört hat die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl. Sie war in den letzten vier Jahren als stellvertretende Fraktionschefin auch und gerade für Innenpolitik zuständig. Guten Morgen!
    Eva Högl: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Frau Högl, steht für Sie jetzt endgültig fest, Anis Amri hätte vor seinem Attentat verhaftet und abgeschoben werden können und müssen?
    Högl: Ja. Nach dem Bericht von Bruno Jost, den ich gestern auch mit großer Aufmerksamkeit gelesen habe, steht fest, dass im Sachverhalt Anis Amri rund um diesen Attentäter viele Fehler der Behörden gemacht wurden und insbesondere eine Inhaftierung doch möglich gewesen wäre.
    Högl: Kennen ähnliche Fehler, Versäumnisse, Pannen aus dem NSU-Komplex
    Barenberg: Nun sind Polizeibeamte und Verfassungsschützer auch Menschen. Menschen machen Fehler, auch Polizeibeamte und Verfassungsschützer. Warum kann man es in diesem Fall nicht dabei bewenden lassen?
    Högl: Wir kennen ja ähnliche Fehler, Versäumnisse, Pannen schon aus dem ganzen NSU-Komplex. Wir stellen immer wieder fest, dass ist eine bittere Erkenntnis dass die Sicherheitsbehörden nicht ausreichend zusammenarbeiten, wenn Attentäter die Landesgrenzen überschreiten. Damit meine ich jetzt nicht die Grenze von Deutschland in ein anderes Ausland, sondern innerhalb Deutschlands. Das ist wirklich eine bittere Erkenntnis. Und wir stellen auch immer wieder fest, dass die Zusammenarbeit der Behörden zwischen den Bundesländern, aber auch mit dem Bund nicht gut genug ist. Dafür haben wir extra das gemeinsame Terrorabwehrzentrum geschaffen. Dort ist der Sachverhalt Anis Amri ja mehrfach erörtert worden und trotzdem nicht die ausreichenden Schlüsse gezogen worden.
    Barenberg: Aber gerade darauf habe ich mit meiner Frage ein bisschen angespielt, denn in diesem gemeinsamen Terrorabwehrzentrum, da arbeiten doch all die vielen beteiligten Behörden zusammen, und die haben gemeinsam und im Konsens entschieden. Also war es mit tragischem Ausgang, mit einer fürchterlichen Tragik, am Ende doch schlicht eine Fehlentscheidung, eine Fehleinschätzung?
    Högl: So was wird man auch nicht verhindern können. Natürlich entscheiden Menschen und im GTAZ ist besprochen worden, wie gefährlich Anis Amri ist und was zu tun ist, und man kam letztendlich zu der Einschätzung, dass er nicht gefährlich genug ist, um noch weitere Maßnahmen zu ergreifen. Man muss jetzt aber feststellen, dass dort auch nicht alle Informationen vorlagen, und das Problem beim GTAZ ist, da werden Informationen ausgetauscht, aber letztendlich gibt es nicht genügend Kompetenzen, dann auch tätig zu werden. Das muss man tatsächlich jetzt nach dem Sachverhalt Anis Amri und dem wichtigen Bericht von Bruno Jost noch mal verbessern. Ich bin dafür, dass man bei dem Umgang mit Gefährdern zu gemeinsamen Standards der Bundesländer kommt und vielleicht auch darüber nachdenkt, ob nicht bei Gefährdern der Bund die Zuständigkeit bekommt.
    "Anis Amri hätte ja abgeschoben werden müssen"
    Barenberg: Dann verstehe ich das jedenfalls als großes Lob für Bundesinnenminister Thomas de Maizière, denn er hat ja gerade in der letzten Konferenz der Innenminister dafür gesorgt, dass sich alle Kolleginnen und Kollegen in den Innenministerien auf einheitliche Sicherheitsstandards einigen werden, und er hat auch dafür gesorgt, dass im Umgang mit islamistischen Gefährdern die Federführung möglichst künftig beim Bundeskriminalamt liegt und nicht mehr bei den Kriminalämtern der Länder.
    Högl: Das sind richtige Ideen und Vorschläge und die unterstütze ich auch und die haben wir auch gemeinsam entwickelt, denn wir haben uns ja nach dem schrecklichen Anschlag auf dem Breitscheidplatz sofort zusammengesetzt in der Koalition und haben Anfang des Jahres auch Konsequenzen gezogen und auch die Gesetze geändert, zum Beispiel, dass Gefährder leichter inhaftiert werden können, dass es auch Möglichkeiten der Abschiebehaft gibt, denn Anis Amri hätte ja abgeschoben werden müssen und auch können, und dass die Polizei auch die Möglichkeit bekommt, solche Gefährder länger in Haft zu halten. Wir haben gemeinsam in der Koalition die Konsequenzen gezogen.
    Was ich jetzt aber von Bundesinnenminister de Maizière erwarte – und das ist er bisher noch schuldig geblieben – ist, dass wir auch stärker aufklären (das hat Bruno Jost nicht gemacht in seinem Bericht, weil er dafür nicht zuständig ist), was das Versagen der Bundesbehörden angeht. Ich bin schon sehr in Sorge, wenn ich höre, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und auch der BND, dass die nahezu überhaupt keine Erkenntnisse über Anis Amri hatten, und da sehe ich jetzt auch den Auftrag des Bundesinnenministers, noch mal lückenlos und schnell aufzuklären und auch Ergebnisse vorzulegen.
    Barenberg: Wie kann man bei all dem denn Schlamperei unterscheiden von so etwas wie strukturellem Versagen, weil es immer um die Zusammenarbeit der Behörden geht?
    Högl: Das ist genau die wichtige Untersuchung, die man machen muss, und dann auch die wichtige Unterscheidung. Chaos kann man nicht immer vermeiden. Es gibt auch immer menschliches Versagen. Darüber sprachen wir ja schon, über diese Einschätzung. Aber wir haben hier im Sachverhalt Anis Amri genauso wie bei NSU schon tatsächlich Anhaltspunkte für strukturelles Versagen der Sicherheitsbehörden in der Zusammenarbeit, im Austausch von Informationen, und daran muss man dann arbeiten, dass das in Zukunft vermieden wird und nicht mehr vorkommt.
    "Wir haben gemeinsam eine Verantwortung"
    Barenberg: Übernehmen Sie als Teil der Regierung in den vergangenen Jahren als SPD dafür auch die Verantwortung?
    Högl: Die Verantwortung ist eine gemeinsame. Die Bundesländer haben Verantwortung, die mit dem Sachverhalt Anis Amri befasst waren. Zum Beispiel war ich sehr überrascht, als im Bericht von Bruno Jost jetzt zu lesen war, dass Baden-Württemberg für Anis Amri eigentlich zuständig war. Bisher hieß es immer, Nordrhein-Westfalen. Das muss auch noch aufgearbeitet werden. Und wir haben gemeinsam eine Verantwortung. Da hilft es auch gar nicht, dem einen oder der anderen die Schuld zuzuschieben. Die Sicherheitsbehörden gut aufzustellen, diesen Sachverhalt gut aufzuklären und die nötigen Konsequenzen im Bund und in den Ländern daraus zu ziehen.
    Barenberg: Ich frage auch deshalb danach, Frau Högl, weil Sie in Ihrer öffentlichen Äußerung oder in Ihrer Stellungnahme nach dem Bericht von Jost ja ausschließlich mit dem Finger auf den Bundesinnenminister zeigen und gar nicht beispielsweise auf die Behörden in Nordrhein-Westfalen, die ja einen Teil der Verantwortung tragen, oder die Innenbehörde in Berlin.
    Högl: Alle haben Verantwortung. Ich bin Bundespolitikerin und deswegen gucke ich natürlich erst mal, was wir im Bund machen müssen. Und da sehe ich jetzt die Aufgabe, das Versagen oder die Fehler der Bundesbehörden weiter aufzuklären. Da gibt der Bericht von Bruno Jost noch weitere Anhaltspunkte. Und dann die richtigen Konsequenzen zu ziehen, und das ist jetzt eine Aufgabe in den Bundesländern. Aber ich bin zuständig im Bund und deswegen habe ich mich dazu erst mal geäußert.
    Barenberg: Da sagt Stephan Harbarth heute Morgen, der Unions-Fraktionsvize, dass es noch mehr Zentralisierung geben muss, weil der Föderalismus gerade bei so gravierenden Dingen schnell an seine Grenzen stößt. Unterstützen Sie das?
    Högl: Das unterstütze ich. Zentralisierung und Bundeskompetenz ist natürlich kein Allheilmittel und nicht die Lösung für alle Probleme. Wir müssen vor allen Dingen eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden organisieren und dafür auch die Grundlagen legen in den entsprechenden Gesetzen. Aber es kann sinnvoll sein, Gefährder, die bundesweit aktiv sind, die in verschiedenen Bundesländern auftauchen, die zentral auch vom Bundeskriminalamt oder vom Bundesamt für Verfassungsschutz im Blick zu behalten. Das unterstütze ich ausdrücklich und ich glaube, in diese Richtung werden die weiteren Überlegungen auch gehen.
    "Wir brauchen mehr Personal in der Landespolizei"
    Barenberg: Aber wenn wir jetzt gehört haben, wenn es um Anis Amri beispielsweise ging, dass da nur von Montag bis Freitag quasi observiert wurde, am Wochenende nicht, dann erscheint das ja auch ein eklatanter Personalmangel zu sein. Brauchen wir auch schlicht mehr Personal?
    Högl: Ja! Ja mit 28 Ausrufezeichen. Wir brauchen mehr Personal in der Landespolizei, also in den Bundesländern. Die SPD fordert 15.000 weitere Stellen für die Polizei. Und auch auf der Bundesebene. Wir haben die Bundespolizei schon aufgestockt in dieser Legislaturperiode, aber wir müssen auch das Bundeskriminalamt und auch die Nachrichtendienste weiter personell aufstocken, um Gefährder wie Anis Amri und andere gut im Blick zu behalten.
    Barenberg: Wir haben darüber gesprochen: Es hat erste Schritte gegeben, um die Vernetzung, die Zusammenarbeit der Bundes- und Landesbehörden schon zu verbessern. Sie regen weitere an. Es gibt so etwas wie eine politische Lernkurve. Ist die schnell genug, damit Sie heute schon sagen können, ein Fall wie Anis Amri, das wäre heute schon nicht mehr möglich?
    Högl: Das kann man nie sagen. Das wäre vermessen, wenn wir das jetzt sagen würden. Aber wir haben aus dem Sachverhalt Anis Amri schon viel gelernt und die Gesetze entsprechend überarbeitet, dass Inhaftierung auch leichter möglich ist, dass auch eine Abschiebung leichter möglich ist. Jeder schreckliche Anschlag oder jeder Terrorfall ist natürlich auch immer, wie Sie sagen, eine Lernkurve für politisch Verantwortliche. Ich gehe nicht so weit zu sagen, so ein Sachverhalt wäre nicht mehr möglich. Aber wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass es jedenfalls so einen Fall wie Anis Amri in nächster Zeit nicht mehr geben kann.
    Barenberg: … sagt die Abgeordnete von der SPD, Eva Högl. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Högl: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.