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Nach Brand in Flüchtlingsunterkunft
Ex-Bürgermeister von Tröglitz rechnet ab

Im April 2015 brannte in Tröglitz in Sachsen-Anhalt eine geplante Flüchtlingsunterkunft. Schon kurz zuvor war der ehemalige Bürgermeister, Markus Nierth, nach zahlreichen Demonstrationen und Anfeindungen von Rechtsextremen zurückgetreten. In einem Buch versucht Nierth nun, das Vergangene aufzuarbeiten - und räumt auch eigene Fehler ein.

Von Christoph D. Richter |
    Der zurückgetretene Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, spricht vor einer Bürgerversammlung am 31.03.2015 mit Journalisten in einem Veranstaltungszentrum in Alttröglitz (Sachsen-Anhalt)
    Der ehemalige Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, fühlt sich isoliert. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    In Tröglitz herrscht Kaiserwetter. Die Sonne scheint, strahlend blauer Himmel. Wenig erinnert noch an die aufgeheizte Stimmung im Frühjahr 2015, aber die zerstörte Flüchtlingsunterkunft in der Ernst-Thälmann-Straße steht wie eine offene Wunde mitten im Ort. Die angekohlten Dachbalken sind immer noch mit einer grauen Plane abgedeckt. Damals versprach Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff schnelle Aufklärung:
    "Alle zur Verfügung stehenden Ressourcen werden eingesetzt, um dieses gemeine Verbrechen aufzuklären. Das kann ich an dieser Stelle nur noch mal betonen, weil es ein Thema ist, was nicht nur Verbrechensbekämpfung heißt, sondern hier geht es um die Demokratie."
    "Das ist emotionaler Selbstmord"
    Kurz nach dem Brandanschlag wurde die Sonderkommission "Kanister" mit 22 Beamten eingerichtet, doch die stellte vor zwei Monaten ihre Ermittlungen ein, die Täter wurden nie gefunden. Ex-Bürgermeister Markus Nierth schaut zerknirscht. Er wohnt im alten Dorfkern Burtschütz, einem Ortsteil von Tröglitz. Wir treffen uns in seinem Wohnzimmer. Eigentlich wollten wir mit ihm gemeinsam durch den Ort gehen, doch das traut sich Nierth nicht:
    "Gar nicht. Geht nicht. Das ist emotionaler Selbstmord."
    Zu oft musste er schon - wenn er Reportern den Ort zeigen wollte - Beleidigungen erleben, erzählt der 47-Jährige. Die ständigen Vorwürfe, er sei mediengeil, er habe das Dorf um die Ruhe gebracht: Er kann und will es nicht mehr hören:
    "Mir persönlich geht es eigentlich nicht so gut. Es ist so ein starkes Ringen, wo ich merke, dass die alten Sachen immer wieder hochkommen. Ich bin in so einem Trauerprozess. Und ich merke, vieles, was ich an einem Heimatgefühl entwickelt habe, ist vieles weg. Für mich ist es ein Ringen darum, wo ist mein Platz. Wie geht es weiter, wie groß ist die Gefahr, die wirklich da ist."
    Den Schmerz von der Seele geschrieben
    Ex-Bürgermeister Nierth fühlt sich isoliert, er werde von den Menschen im Ort gemieden, sagt er. Jetzt hat er sich seinen ganzen Schmerz auf 215 Seiten von der Seele geschrieben. "Brandgefährlich: Wie das Schweigen der Mitte die Rechten stark macht", so der Titel des Buches, das jetzt auf den Markt kommt.
    Der Brandanschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft, der grölende Mob vor seinem Privathaus, der fehlende Rückhalt in den eigenen Reihen: Alle diese Ereignisse seien nicht aufgearbeitet worden, beklagt er darin:
    "Denn eine Wunde, die da ist, die muss erst mal gesäubert werden. Denn der Schmutz muss raus. Man kann nicht, wie es sich viele im Ort vielleicht wünschen, einfach schweigen und so lassen. Es muss gesäubert werden, das mag für beide Seiten noch mal wehtun. Aber es muss benannt werden, was war. Damit es richtig heil werden kann, damit kein fauler, sondern echter Friede entsteht im Ort."
    Suche nach Antworten
    Während Markus Nierth erzählt, reibt und knetet er unentwegt seine großen Hände. Die grauen Haare wippen wie Antennen, der Kaffee bleibt unangerührt. Nierth ist aufgeregt. Und berichtet, dass er bis heute Hass-Mails und Drohungen bekomme, ihm auf der Straße offen der Stinkefinger gezeigt werde. Man hat – ihm und seiner Frau Susanna – gar Fäkalien zugeschickt.
    Derzeit kursieren Gerüchte, dass die NPD - nach dem bekannt wurde, dass Nierth ein Buch über die Ereignisse in Tröglitz geschrieben hat – wieder mobil machen wolle. Das Landeskriminalamt will es nicht bestätigen, antwortet aber erstaunlich schmallippig auf die Nachfrage. Und in Tröglitz selbst wollen sich die wenigsten zu ihrem ehemaligen Bürgermeister äußern:
    "Die einen denken so, die anderen so, da hat sich das." - "Das war nicht der richtige Mann, weil der alles hochgeputscht hat." - "Wir können das sowieso nicht ändern. Sind froh, dass jetzt Ruhe eingekehrt ist."
    In Tröglitz bekamen bei der Landtagswahl im März die Rechtspopulisten von der AfD 32 Prozent, die NPD 5,5 Prozent der Stimmen, damit haben die Rechten – rechnet Nierth vor – fast 40 Prozent bekommen. Seine Stirn legt sich in Falten. Das habe er vor Jahren nicht für möglich gehalten, sagt er. Eine Abrechnung soll sein am Montag erscheinendes Buch nicht sein, sagt er. Eher die Suche nach Antworten auf Fragen, die ihn seit einem Jahr quälen:
    "Dass wir nicht verstanden haben, warum schweigen die Menschen, als wir persönlich angegriffen wurden, als die Morddrohungen kamen. Dann waren viele der alten Beziehungen still gelegt, die Leute meldeten sich nicht mehr. Vom CDU-Politiker bis hin zum Nachbarn. Keiner fragte nach, wie geht’s dir eigentlich mit den Morddrohungen."
    Nierths Frau will sich durch die Rechten nicht vertreiben lassen
    Das zarte Pflänzchen der Demokratie, so Nierths Resümee, im sachsen-anhaltischen Tröglitz ist es nach 1989 nie zum Blühen gekommen:
    "Also, dass die Kommunalpolitiker mutig als Vorbild vorangehen, die Politik diskutieren und gestalten, das hat gefehlt. Man hat sich auf das Verwalten, auf das Verteilen von Geldern konzentriert."
    Doch Nierth räumt auch eigene Fehler ein. Dass er beispielsweise 2014 im Gemeindeblättchen eher abfällig von – wörtlich – "Asylanten" schrieb:
    "Zum Beispiel einen Satz habe ich geschrieben: Keiner will sie, ich eigentlich auch nicht, aber nun sind sie da."
    Früher wollte er das nie kommentieren, Nachfragen dazu ließ er unbeantwortet. In seinem Buch erklärt sich Nierth nun. Zum ersten Mal. Eine Aussage, die er so nicht noch mal schreiben würde. "Kaltherzig. Ein lieblos hingeschriebener Satz", bekennt Nierth.
    Noch wohnen die Nierths in Tröglitz. Doch wie lange noch, das wissen sie nicht. Ein Drittel der Einkünfte seien seit den Ereignissen 2015 weggefallen, erzählt er: Für ihn als Trauerredner und seine Frau, die eine Tanzschule betreibt. Die Nerven sind aufgebraucht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man schon längst die Koffer gepackt, doch seine Frau Susanna will bleiben. Sich durch die Rechten nicht vertreiben lassen.
    Am Eingang ihres gemeinsamen mittelalterlichen Hofs in Tröglitz hängt ein gerahmter Sinnspruch: "Zuhause ist, wo die Liebe wohnt, wo Erinnerungen geboren werden, wo Freunde immer willkommen sind und jederzeit ein Lächeln auf dich wartet." Ist das noch sein Tröglitz? Der siebenfache Vater weiß keine Antwort.