Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima muss der finanzielle Ausgleich für den beschleunigten Atomausstieg für bestimmte Kraftwerksbetreiber neu geregelt werden - das hat das Bundesverfassungsgericht nach der Klage von Vattenfall nun entschieden - ein Rückschlag für den Bund.
Hintergrund ist die mangelhafte Umsetzung der 16. Atomgesetz-Novelle aus dem Jahr 2018, die noch nicht in Kraft ist. Für die darin geregelten Ausgleichszahlungen war ein kompliziertes Verfahren vorgesehen, das eine Entschädigung von Vattenfall vom 2023 an vorsieht, wenn das letzte Kernkraftwerk vom Netz gegangen ist - für den Bund geht es um Milliarden.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Reinhard Houben, Mitglied im Ausschuss Wirtschaft und Energie, sagte im Dlf: Wenn man sich politisch dazu durchringe, Unternehmen bestimmte Aktivitäten, die ihnen vorher erlaubt waren, zu verbieten, dann müsse man zahlen.
Sandra Schulz: Wie schauen Sie auf das Urteil heute?
Reinhard Houben: Na ja. Es ist frustrierend, dass Karlsruhe der Bundesregierung die rote Karte zeigt. Obwohl die Bundesregierung anderthalb Jahre Zeit hatte, auf das Urteil aus 2016 zu reagieren, ist ein Gesetz beschlossen worden, dem wir als FDP-Bundestagsfraktion außerdem auch nicht zugestimmt haben, was offensichtlich nicht gerichtsfest ist.
"Der Partner CDU/CSU musste das Gesetz damals so schnell durchsetzen"
Schulz: Ist es auch frustrierend, dass Schwarz-Gelb 2011 den Atomausstieg nicht gerichtsfest hinbekommen hat?
Houben: Ich habe mir noch mal schnell ein paar Statements aus dem Jahr 2011 heraussuchen lassen durch mein Büro. Christian Lindner, damals Generalsekretär, hat gesagt, wir sind uns nicht sicher, ob es nicht zu Entschädigungszahlungen kommen wird. Aber der Partner, CDU/CSU, musste das Gesetz damals so schnell durchsetzen, dass man scheinbar nicht sauber gearbeitet hat. Außerdem bin ich an der Stelle entspannt. SPD und Grüne haben damals ja diesem Gesetz auch zugestimmt.
"Thema Atomstrom war im Grunde nicht mehr durchsetzbar"
Schulz: Ja, aber wir wissen beide, dass die Geschichte des Atomausstiegs nicht 2011 angefangen hat, sondern dass es schon einen rot-grünen Atomausstieg gegeben hat, aus dem Schwarz-Gelb dann ausgestiegen ist. Und wir wissen auch, dass dieser rot-grüne Atomausstieg konsensual war. Da hätte es diese ganzen Gerichtsstreitigkeiten nicht gegeben. Sie denken, dass die FDP damals noch mehr Zeit und Geduld zu Verhandlungen gehabt hätte und damals das auch schon in die Hand versprochen hätte?
Houben: Die Aussagen sind ja entsprechend so und es wurde in dem Zusammenhang ja auch die Koalitionsfrage im Grunde gestellt. Sie erinnern sich vielleicht, Frau Schulz: Nach Fukushima war in der Gesellschaft das Thema Atomstrom im Grunde nicht mehr durchsetzbar.
16. Atomgesetz "hat nicht die FDP eingebracht"
Schulz: Ja! Ich erinnere mich aber auch an das Wort von Christian Lindner: Lieber nicht regieren als schlecht regieren. Mitgemacht hat die FDP ja doch.
Houben: Ja! Aber doch 2018 jetzt nicht!
Schulz: Aber es war derselbe Politiker, der diese Haltung hatte.
Houben: Ja, gut! Aber wie gesagt, dieses 16. Atomgesetz, was jetzt durchgefallen ist, hat ja die aktuelle schwarz-rote Koalition eingebracht, nicht die FDP.
"2011 wurde in großem Konsens zugestimmt"
Schulz: Genau, das ist mir schon vollkommen klar. Aber ich wollte jetzt noch mal in 2011 bleiben und bei der Frage: Wenn die FDP diese massiven Zweifel gehabt hätte und wenn es so ein massives Magengrummeln gegeben hätte, dann hätte die FDP ja auch an der Stelle konsequent sein können. Aber wir halten fest: Das war sie nicht.
Houben: Sie hätte damals die Koalition verlassen müssen. Das wäre die politische Option gewesen, obwohl man gleichzeitig wusste, dass dem eingebrachten Gesetz von allen anderen bis auf die Fraktion Die Linke – die hat geschlossen dagegen gestimmt – damals in großem Konsens 2011 zugestimmt wurde.
Schulz: Okay. Das ist jetzt alles neun Jahre her und wir kommen zurück ins Jahr 2020. Wenn wir uns das Urteil aus Karlsruhe heute noch mal genauer anschauen: Wir sehen, dass Karlsruhe sagt, dass es nicht zumutbar war, dass Vattenfall sich hätte bemühen müssen, diese Reststrommengen anderweitig loszuwerden. Ich will Sie jetzt nicht zu Gerichtsschelte veranlassen, aber verstehen Sie, warum das unzumutbar war?
Houben: Die Lösung der Reststrommenge hängt ja auch entsprechend mit dem Kraftwerkspark zusammen, den man hat, und das ist dann für einige Unternehmen und offensichtlich für Vattenfall auch nicht so lösbar gewesen, wie man sich das vom Gesetzgeber her vorgestellt hat.
"Auch beim Kohleausstieg muss die Bundesregierung genau aufpassen"
Schulz: Was denken Sie, wie teuer wird das Urteil von heute?
Houben: Sehr teuer. Damals schon, 2011, als die Debatte geführt wurde, ist ja schon mit Beträgen zwischen 3,6 und 4,8 Milliarden Euro gerechnet worden. Darüber ist ja auch schon 2011 debattiert worden. Deswegen trifft uns das zwar jetzt noch mal mit Zeitverzögerung, aber es ist ja keine neue Erkenntnis. Und ich kann nur davor warnen, nach diesem Gerichtsurteil: Auch beim Kohleausstieg muss die Bundesregierung genau aufpassen, welche Regelungen sie trifft, nicht dass wir, ich sage mal, irgendwann zwischen 2030 und 2038 von entsprechenden Unternehmen, die jetzt Kohlekraftwerke abschalten müssen, das gleiche noch mal erleben.
Schulz: Jetzt sagt Karlsruhe auch, was naheliegt, dass jetzt das ganze Gesetz neu gefasst werden muss. Denken Sie, da ist jetzt die Gefahr, nachdem man zweimal auf die Nase gefallen ist, nach 2016 und jetzt mit diesem Gesetz von 2018, das ja auch noch nicht mal jemals in Kraft getreten ist – denken Sie, dass die Gefahr da jetzt im Raum steht, dass man jetzt zu viel des Guten gesetzlich beschließt?
Houben: Ich bin kein Jurist. Deswegen möchte ich politisch antworten. Es kann doch nicht sein, dass ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage ist, vernünftige Gesetze zu formulieren. Es geht immer um den politischen Willen und ich habe einfach den Eindruck, dass man in der Regierungskoalition meint, im Grunde enteignungsähnliche Tatbestände zu schaffen, ohne das entsprechend finanziell zu kompensieren. Wenn man sich politisch dazu durchringt, Unternehmen bestimmte Aktivitäten, die ihnen vorher erlaubt waren, zu verbieten, dann muss man zahlen, und das kann man nicht durch juristische oder gesetzliche Tricksereien lösen. Dann ist man einfach in der Pflicht finanziell.
"Man tritt in eine Ersatzpflicht ein"
Schulz: Wir haben es gerade bei Bernd Wolf gehört: Es geht da möglicherweise auch um einen Milliarden-Betrag. Ist es dann nicht auch nachvollziehbar, dass ein Gesetzgeber, dass eine Bundesregierung das Geld nicht mit vollen Händen rauswirft, sondern im Zweifelsfall die Messlatte eher nach unten einhängt?
Houben: Aber die Bundesregierung kann doch nicht politisch einen bestimmten Preis festlegen. Wir sind in einem Rechtsstaat.
Schulz: Ist das kein politischer Preis?
Houben: Die Frage verstehe ich jetzt nicht, Frau Schulz.
Schulz: Sie meinen, das ist alles rein marktwirtschaftlich bestimmt, rund um die Atomenergie. Wir haben gerade zum Start, als es auch ein Interesse der Bundesregierung gegeben hat in den 70er-Jahren, massive Subventionen gesehen. Darauf will ich hinaus.
Houben: Wenn man eine Industrie mit Subventionen "hochzieht", dann aber den Unternehmen, die in diese Technik einsteigen, gewisse Rechtssicherheit gibt, was die Laufzeit angeht, was die Produktion angeht von Strom in diesem Falle, dann muss man sich darüber im Klaren sein, dass man, wenn man es wieder ändern möchte, in eine Ersatzpflicht eintritt, und das entscheidet nicht ein Gesetz, sondern am Ende ein Richter.
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