Maja Ellmenreich: Vor gut zwei Monaten hat die documenta 14 in Kassel ihre Pforten geschlossen - eigentlich kehrt dann Ruhe ein, zumindest vor den Pforten, also für die Öffentlichkeit hörbar. Aber so richtig leise mag es dieses Mal nicht werden, die Nachrichten aus Kassel reißen nicht ab. Das ist durchaus verständlich bei einem Defizit von 5,4 Millionen Euro, das am zweiten Veranstaltungsort der documenta 14, nämlich in Athen, entstanden sein soll.
Heute Nachmittag nun - die jüngste Neuigkeit aus documenta-Kassel: Die documenta-Geschäftsführerin Annette Kulenkampff räumt ihren Posten zum 1. Juni 2018. Über diese Personalie möchte ich jetzt mit meinem Kollegen Ludger Fittkau sprechen, er ist Deutschlandfunk-Landeskorrespondent in Hessen. So richtig überraschend, Herr Fittkau, kommt die Nachricht vom documenta-Ende für Annette Kulenkampff ja nicht - man hat ja schon damit so ein bisschen gerechnet. Wird sie jetzt verantwortlich gemacht, für dieses enorme Defizit, denn den künstlerischen Leiter der documenta 14, Adam Szymczyk, den kann man ja nicht mehr dafür verantwortlich machen, beziehungsweise man kann ihn nicht mehr entlassen.
Ludger Fittkau: So ist es, Frau Ellmenreich, er ist ja bereits aus Kassel abgereist, hat seinen Job bei der documenta 14 beendet. Es war klar, dass Annette Kulenkampff sich noch verantworten werden muss, oder dass sie noch die Verantwortung übernehmen muss, weil sie auch schon den Fehler eingeräumt hat, dass man das Budget so überzogen hat, dass man im Grunde in diese Skandalsituation mit mehr als fünf Millionen Euro Defizit hinein geraten ist. Wie hoch das Defizit genau sein wird, kann man heute noch nicht sagen, die Untersuchungen dazu laufen ja noch. Aber sie hatte schon im September, kurz nach dem Ende der documenta, eingeräumt: Das hätte uns nicht passieren sollen und die Verantwortung dafür müssen wir tragen. Insofern war es auch konsequent, dass sie jetzt früher geht, als geplant.
Zeitplan für documenta 15 gesichert
Ellmenreich: Sie geht zwar früher, aber sie geht nicht von heute auf morgen, sondern erst im Juni 2018. Dafür dankt man ihr auch in einer offiziellen Erklärung. Also soll Annette Kulenkampff noch maßgeblich an der Findung des nächsten documenta-Leiters oder -Leiterin mitwirken? Sie muss also eine große Aufgabe erst noch vollbringen?
Fittkau: Das war eine wichtige Entscheidung, die heute mitgeteilt wurde, denn das hatte gerade die Kulturstiftung des Bundes gefordert, dass man jetzt nicht noch monatelang eine neue Geschäftsführerin oder einen neuen Geschäftsführer sucht, bevor man diese Findungskommission für die künstlerische Leitung der documenta 15 im Jahr 2022 findet. Also es heißt, es war eigentlich klar, es muss jemand in den nächsten Monaten diese Findungskommission vorbereiten. Und wenn Frau Kulenkampff jetzt schon in diesem Herbst gegangen wäre, wenn man ihr also fristlos gekündigt hätte, dann wäre das nicht möglich gewesen. Da hat die Kulturstiftung des Bundes, also die Fachleute sozusagen im Aufsichtsrat, haben sich durchgesetzt, deshalb wird Frau Kulenkampff diese wichtige Aufgabe jetzt noch machen dürfen.
Ellmenreich: Ja, und die nächste Aufgabe, beziehungsweise der nächste Posten, der frei wird, der neue Geschäftsführer, die nächste Geschäftsführerin hat ja auch ordentlich was vor sich, denn es steht schon fest: Am 18. Juni 2022 beginnt die nächste documenta. Also: Der Nachfolger von Annette Kulenkampff, oder die Nachfolgerin muss auf einen fahrenden Zug aufspringen. Oder wie sehen Sie das?
Fittkau: Ja, wobei durch diese Personalentscheidung, dass man Frau Kulenkampff jetzt erst nochmal weiter arbeiten lässt, immerhin ja noch mehr als ein halbes Jahr, ist dieser fahrende Zug nicht ganz so schnell, kann man sagen. Denn wenn die Findungskommission steht, und sie muss im Frühsommer 2018 dann ja schon arbeiten, muss eben Kandidaten suchen für die künstlerische Leitung, dann ist die Geschäftsführung ein wenig entlastet. Wenn es so gewesen wäre, dass sie sozusagen erstmal einen Scherbenhaufen hätte aufkehren müssen, und dann quasi bei Null angefangen hätte im Sommer 2018, dann hätte es anders ausgesehen. Da ist jetzt, glaube ich, eine ganz gute Regelung gefunden worden, die den Zeitplan der documenta 15 im Jahr 2022 nicht gefährdet, denn diese Gefährdung sah man, und das wollte man vermeiden.
Nur der Anfang eines Reformprozesses
Ellmenreich: Nun haben wir ja mit diesem gigantischen Defizit zu tun. Und nachdem das bekannt wurde, da hatte man personelle, strukturelle und finanzielle Konsequenzen angekündigt in Kassel. Von den personellen haben wir jetzt gesprochen. Da bleiben also noch die strukturellen und finanziellen Konsequenzen, die noch folgen. Was ist da zu erwarten?
Fittkau: Auch da wieder ist die Aussage der Kulturstiftung des Bundes sehr konkret, die sagen: Wir müssen den Aufsichtsrat eigentlich umstrukturieren. Wir müssen mehr Ausstellungsprofis, also Kunstprofis in dieses Gremium [bringen], statt örtliche Politiker aus Kassel oder Wiesbaden. Denn die Trägerstruktur liegt ja bei der Stadt Kassel und beim Land Hessen. Wir brauchen mehr Expertise, um da wirklich auch zu wissen, was kann man machen: Kann man sich so ein Abenteuer wie mit Athen in diesem Jahr finanziell leisten, ist das zu stemmen? Das wäre ein wichtiger Punkt, also eine neue inhaltliche Ausgestaltung dieses Aufsichtsgremiums.
Und der zweite Punkt ist eben genauso wichtig: Es wurde angekündigt, dass man das externe Finanzcontrolling verbessern will. Eine bessere Personalausstattung auch für die achtköpfige documenta-Geschäftsstelle wäre sicherlich auch keine schlechte Idee. Also, da ist noch Einiges zu tun. Die Personalie Kulenkampff kann nur ein Anfang eines Reformprozesses sein.
Ellmenreich: Das sagt Ludger Fittkau über die jüngste Personalie bei der documenta. Die Geschäftsführerin Annette Kulenkampff wird in beiderseitigem Einvernehmen, so wird betont, zum 1. Juni 2018 ausscheiden.