Der 18. Oktober war in Köln lange herbeigesehnt worden. Der Tag, an dem die Millionenstadt endlich einen neuen Oberbürgermeister wählen darf. Gut einen Monat nach dem eigentlichen Termin, der verschoben werden musste, weil die Verwaltung einen rechtlich falschen Stimmzettel vorgelegt und die stolze Domstadt bundesweit blamiert hatte.
Nun ist der der 18. Oktober der Tag danach. Der Tag nach dem Angriff auf Henriette Reker, an dem an Kommunalpolitik gerade eigentlich niemand so recht denken mag. Die parteilose OB-Kandidatin und bisherige Kölner Sozialdezernentin wurde bei einem ihrer letzten Wahlkampfauftritte im Westen der Stadt niedergestochen, vier weitere Menschen wurden dabei verletzt. Mutmaßlich von einem 44-Jährigen, über den die Polizei zunächst nur das sagen konnte: Frank S. habe fremdenfeindliche Motive nach seiner Verhaftung genannt, sonst sei er bisher nicht auffällig geworden.
"Spiegel Online" berichtete wenig später, S. soll bei der Freiheitlichen Deutschen Arbeitspartei (FAP) mitgemacht haben. Eine Quelle nannte die Seite nicht. Die FAP war eine als rechtsextremistisch eingestufte Kleinpartei und bis 1995 aktiv.
Im Blog "Ruhrbarone" verwies der Journalist Sebastian Weiermann auf einen Bericht in der "Antifaschistischen NRW Zeitung" von 1997. Demnach landete S. in genau diesem Jahr im Gefängnis. Der "als extrem gewalttätig bekannte ehemalige Aktivist der FAP" habe in den Jahren zuvor "wegen Raubes und Körperverletzung Bewährungsstrafen gesammelt". Weiermann berichtet seit Jahren über Neonazis in Dortmund, deshalb stand sein Name bereits auf von Neonazis erfundenen und im Internet verbreiteten Todesanzeigen.
Einige Politiker haben bereits Weiermanns Tweet im Kurznachrichtendienst Twitter weitergeleitet, so auch Nordrhein-Westfalens CDU-Vorsitzender Armin Laschet. Gemeinsam mit anderen Landespolitikerin versammelte er sich wenige Stunden nach dem Attentat auf Reker vor dem Historischen Rathaus in Köln, um ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen.
Laschet besuchte wenig später offenbar das Konzert der irischen Rockgruppe U2 auf der anderen Rheinseite in der Lanxess-Arena. Und erlebte hier, wie Bono - Sänger der Gruppe und darüber hinaus für sein Engagement für Menschenrechte bekannt - einen der frühesten Hits der Band, "Pride", Henriette Reker widmete.
Ursprünglich hatten U2 das Lied für Martin Luther King geschrieben. Der wohl bekannteste Kämpfer gegen Unterdrückung und Rassismus in den USA wurde 1968 von einem mehrfach vorbestraften Rassisten ermordet.
Der Messerangriff von Köln lässt die Sorge vor rechter Gewalt weiter wachsen, die Stimmung in Deutschland wurde von vielen zuvor bereits als aufgeheizt erlebt. "Hass ist gesellschaftsfähig geworden", stellte im Deutschlandfunk in dieser Woche der Soziologe Heinz Bude fest. Vor allem die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sorgte zuletzt für viel Kritik.
"Ich höre immer Flüchtlingskrise. Die wirkliche Krise in unserem Land ist doch wohl eher die Nazikrise", schrieb die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Tack nun bei Twitter, offenbar als Reaktion auf den Reker-Angriff.
"Politiker sind Objekte des Hasses geworden", sagte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse im Deutschlandfunk. Man könne eine Linie ziehen vom Pegida-Galgen in Dresden zur Messerattacke auf die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker.
"Dass so etwas passiert, überrascht mich nicht", sagte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau dem Kölner Stadt-Anzeiger. In Deutschland sei es so, dass "Pegida, AfD wie überhaupt Zündler aus unterschiedlichen Parteien die derzeitige Situation anheizen". Sie lieferten eine Motivation für Taten wie die in Köln.
Bei Twitter kommentierte Pau den Tweet der Spiegel-Online-Redakteurin Annett Meiritz, die die Tatenlosigkeit Facebooks in Bezug auf den Umgang mit Neonaziinhalten kritisierte, so:
Die gute Nachricht am 18. Oktober, dem Tag, auf den Köln so lange gewartet hatte: Henriette Reker wird sich wohl vollständig erholen, sagen die Ärzte. Ob als Oberbürgermeisterin oder nicht - das ist gerade zweitrangig.
(bor/stfr)