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Nach dem Anschlag in Ankara
"Man muss eine weitere Eskalation befürchten"

Der Angriff auf türkisches Militär in Ankara deute auf die kurdische PKK oder ihr nahestehende Gruppen als Urheber hin, sagte Felix Schmidt, der Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Istanbul, im DLF. In Zukunft sei mit einer weiteren Eskalation zu rechnen, da die Gemengelage in Syrien selbst immer komplexer werde.

Felix Schmidt im Gespräch mit Peter Kapern |
    Aufräumarbeiten am 18. Februar 2016 nach dem Anschlag in Ankara.
    Der Anschlag richtete sich gegen das türkische Militär. (dpa/picture alliance/Tolga Bozoglu)
    Peter Kapern: Nach dem Bombenanschlag von Ankara gestern Abend überschlagen sich wieder mal die Ereignisse. Erstaunlich schnell wissen türkische Behörden, wer der Mann war, der den Sprengsatz ausgelöst hat: ein Angehöriger einer kurdischen Miliz aus dem Norden Syriens. Und binnen weniger Minuten sind dann auch schon türkische Kampfjets unterwegs, um Vergeltung zu üben. Und einen weiteren Anschlag auf das türkische Militär hat es auch noch gegeben, wieder mit mehreren Toten.
    Bei uns am Telefon ist Felix Schmidt, der Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Istanbul. Guten Tag, Herr Schmidt.
    Felix Schmidt: Guten Tag, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Schmidt, der Täter scheint nun ausgemacht zu sein: ein Mitglied einer kurdischen Miliz aus dem Norden Syriens. Diese Miliz soll bei dem Anschlag kooperiert haben mit der PKK. Klingt das alles für Sie plausibel?
    "Der Anschlag spricht eigentlich eher für die PKK"
    Schmidt: Es ist durchaus denkbar, dass es von Gruppen, die der PKK nahestehen, verübt wurde, denn es ist ein Anschlag, der untypisch wäre für den IS. Der IS hat vielmehr immer die Zivilbevölkerung im Auge bei ihren Anschlägen, und jetzt ist ja gezielt aufs Militär der Anschlag ausgeübt worden. Das spricht eigentlich eher für die PKK oder der PKK nahestehende Gruppen.
    Kapern: Nun bindet ja Ministerpräsident Davutoglu bei der Zuweisung der Verantwortung zwei Organisationen zusammen, nämlich die YPG, diese kurdische Miliz im Norden Syriens, und andererseits die PKK. Ist das denn tatsächlich so eine homogene Gruppe, dass man denen gemeinsam die Verantwortung für so etwas zuweisen kann?
    Schmidt: Es gilt schon immer so, dass die YPG, anders als die Kurden in Nordirak, die Peschmerga, durchaus sehr enge Verbindungen zur PKK haben. Insofern glaube ich schon, dass das so ist. Es ist natürlich noch zu früh, um wirklich eindeutig beurteilen zu können, wer genau dahinter steht, auch innerhalb der YPG gibt es verschiedene Fraktionen, verschiedene Flügel. Diese Terrorgruppen haben sich ja auch sehr stark aufgesplittert in kleine Einheiten. Und es hat ja, wie sie vorhin auch im Bericht sagten, bisher keine eindeutige Bekenntnis von einer Gruppe zu dem Anschlag gegeben. Insofern ist es noch zu früh, jetzt eindeutig Urteile zu fällen.
    Kapern: Nun hat ja die Türkei in den vergangenen Tagen immer mal wieder Stellungen der YPG im Norden Syriens angegriffen und ist dafür stark kritisiert worden, aus Europa, aus Moskau und sogar auch aus Washington. Kann die Türkei aus diesem Anschlag von gestern zusätzliche neue Legitimation für ihren Kampf gegen die kurdischen Milizen im Norden Syriens ziehen?
    "Die Gemengelage in Syrien wird immer komplexer"
    Schmidt: Es ist wie gesagt auch dafür noch zu früh, um jetzt schon eindeutige Urteile zu fällen oder eindeutig diese Zuordnung zu betreiben. Aber die Türkei fühlt sich schon lange sehr bedrängt, auch von den kurdischen Einheiten im Norden Syriens, und es gibt immer wieder Infiltrationen in die Türkei. Und dieser Anschlag, wenn er denn tatsächlich von dieser Gruppe ausgeführt wurde, zeigt ja ganz deutlich, dass der Terror in das Land hineindrängt, und natürlich hat dann die Türkei auch die Pflicht, das Recht, Maßnahmen zu ergreifen, die Angriffe auf ihr Land verhindern.
    Kapern: Nun ist das Land aber, nun ist Ankara aber in Kämpfe gewissermaßen auf beiden Seiten der Grenze verstrickt: in Kämpfe gegen den IS, gegen kurdische Milizen jenseits der Landesgrenze, aber auch im Inland gegen die Kurden und bedroht vom Terror des IS. Kann die Türkei diese doppelte Herausforderung durch Terror und Krieg bestehen?
    Schmidt: Die Situation sieht nicht schön aus im Augenblick, sondern man muss befürchten, dass eine weitere Eskalation stattfindet. Die Gemengelage in Syrien selbst ist ja hoch komplex und wird immer komplexer. Die Russen, die Amerikaner kämpfen aufseiten der YPG gegen den IS, die Regierung in Syrien scheint nun auch diese Gruppe als Instrument zu benutzen, um gegen den IS zu kämpfen. Es ist eine hoch komplexe und eine brandgefährliche Situation. Dass der Kurden-Konflikt innerhalb der Türkei das Ganze noch komplexer macht, spricht natürlich dafür, dass wir in der nahen Zukunft, in der mittleren Zukunft eine Eskalation zu erwarten haben.
    Kapern: Wie könnte diese Eskalation aussehen? Was erwarten Sie da?
    Schmidt: Ich fürchte, es kann durchaus zu weiteren Anschlägen kommen. Es wird sicher nicht so sein, dass die Türkei in einen Bürgerkrieg verwickelt ist, der sich ausweitet. Im Südosten, im Kurden-Gebiet kann man schon von bürgerkriegsähnlichen Zuständen sprechen. Aber noch sind diese Kämpfe und Auseinandersetzungen auf einzelne Regionen vor allem um Diyarbakir begrenzt. Aber eine Ausdehnung vor allem von Terroranschlägen im Land ist durchaus eine Option, die man nicht vernachlässigen darf. Es wird aber nicht zu einem landesweiten Bürgerkrieg kommen. Das glaube ich nicht.
    Kapern: Gleichwohl muss man ja die Strategie der türkischen Regierung so zusammenfassen: Präsident Erdogan und sein Ministerpräsident Davutoglu wollen die Kurden kleinhalten, den IS bekämpfen, Assad stürzen, der von Moskau gestützt wird. Leidet der türkische Staatspräsident eigentlich an Selbstüberschätzung?
    "Einen Konflikt direkt NATO gegen Russland riskiert, das will keiner"
    Schmidt: Ich denke, er hat sicher ein sehr, sehr gesundes Selbstbewusstsein. Aber die Türkei ist in einer äußerst misslichen Lage. Vor allem seit dem Abschuss des russischen Flugzeuges sind ihre Handlungsoptionen in Syrien eigentlich auf null geschrumpft. Sie hat kaum noch Möglichkeit, selber aktiv in das Geschehen einzugreifen. Sie hofft und wartet, dass in dieser Konflikt-Gemengelage die NATO-Verbündeten ihr beiseitestehen. Es ist zurzeit von keiner Seite eigentlich eine echte Bereitschaft zu erkennen, dass man nun mit Bodentruppen in Syrien einmarschiert und damit einen Konflikt direkt NATO gegen Russland riskiert. Das will keiner. Auch die Türkei weiß genau, dass das keine realistische Option ist. Aber die Bedrängnis der Türkei ist sehr groß. Wir haben ja in der ganzen Region bürgerkriegsähnliche Zustände und die Türkei ist da in unmittelbarer Nachbarschaft.
    Kapern: Herr Schmidt, Sie sprechen von bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Teilen der Türkei. Sie prognostizieren, dass der Konflikt, die zahlreichen Konflikte noch eskalieren werden, in die die Türkei verstrickt ist. Wie ist eigentlich vor diesem Hintergrund die Hoffnung der Bundesregierung zu bewerten, ausgerechnet dieses Land, ausgerechnet die Türkei könne Europa auch noch das Flüchtlingsproblem vom Hals schaffen?
    Schmidt: Ich glaube nicht, dass die Türkei das Problem vom Hals schaffen kann. Das auf keinen Fall. Man kann aber mit der Türkei in Partnerschaft versuchen, die Ströme einzudämmen, versuchen, in Partnerschaft Maßnahmen zu ergreifen, die hoffentlich eine Befriedung letztendlich auch in Syrien erreichen und zunächst einmal auch eine Kanalisierung der Flüchtlinge ermöglichen. Was vor allem jetzt im Moment die Gefahr ist, dass ein völlig unkontrollierter Flüchtlingsstrom aus Syrien erst in die Türkei und eventuell nach Europa weiterzieht. Was jetzt eigentlich in dieser Notsituation, muss man sagen, die wichtigste Aufgabe ist, so etwas wie ein, sage ich mal, geordnetes Verfahren zu finden, um diese menschliche Tragödie irgendwie zu kanalisieren in einer Form, dass sowohl die Flüchtlinge ihr Leben retten können, aber auch diese Infiltration von Terror, der leider damit verbunden ist, irgendwo eingedämmt wird.
    Kapern: ... sagt Felix Schmidt, der Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Istanbul. Herr Schmidt, danke für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
    Schmidt: Ja, vielen Dank! Gerne geschehen.
    Kapern: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.