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Nach dem Anschlag in Mogadischu
Somalier protestieren gegen Al-Shabaab-Miliz

Nach dem schweren Terroranschlag vor zwei Wochen in Somalia ist die Angst der Wut gewichen. Die Bevölkerung scheint in ihrer Trauer zusammenzustehen wie nie zuvor – gegen den gemeinsamen Feind, den alle für das Blutvergießen verantwortlich machen: die Terrormiliz Al-Shabab.

Von Alexander Göbel | 28.10.2017
    Zahlreiche Menschen nehmen am 18. Oktober im Stadion von Mogadischu an einer Demonstration teil. Auslöser war eine Terror-Attacker mit einer Autobombe in Mogadischu wenige Tage zuvor.
    Tausende Menschen versammelten sich im Stadion, um gegen den Terror zu demonstrieren (AFP / Mohamed Abdowahab)
    Demonstrationen waren in Somalia bisher klein, und sie waren meistens schnell vorbei. Zu groß war die Furcht vor Anschlägen. Jetzt aber sind Wut und Trauer stärker als die Angst. Tausende ziehen durch die Straßen von Mogadischu, versammeln sich im Banadir-Stadion, und das seit Tagen, immer wieder. Wie die meisten trägt auch Fatima Nor ein blutrotes Stoffband um die Stirn – als Erinnerung an die vielen Hundert Opfer des Anschlags vom 14. Oktober.
    "Ich fühle mit jeder Familie, die bei dem Anschlag Angehörige verloren hat. Deswegen sind wir hier – wir trauern, und wir sind bereit, unser Volk gegen solche Gewalt zu verteidigen. Alle Somalis sollten einander die Hand reichen, nur gemeinsam sind wir stark!"
    Die Massenkundgebungen für ein geeintes Somalia wertet Präsident Mohamed Abdullahi Farmajo nun als Rückendeckung – er selbst, seine Regierung und das Parlament wurden erst im Februar gewählt, unter lebensgefährlichen Bedingungen.
    Al-Shabab-Terroristen ziehen Blutspur durchs Land
    "Ich will, dass Ihr für Eure Mütter, Schwestern, Brüder, Eure Familien einsteht, dass Ihr diese Nation von unserem gemeinsamen Feind befreit. Deshalb sind wir hier!"
    Mit dem "gemeinsamen Feind" meint der Präsident die radikalislamischen Terroristen von Al-Shabab. Sie dürften die einzigen sein, die zu solch verheerenden Anschlägen logistisch und ideologisch fähig sind. Seit über zehn Jahren ziehen die Al-Kaida-Verbündeten eine Blutspur durch Somalia, greifen auch immer wieder Nachbarstaaten an. Al-Shabab-Kämpfer seien allerdings keine militärischen Genies, sondern aus anderen Gründen stark, meint Rashid Abdi, Somalia-Experte der International Crisis Group:
    "Al-Shabab nutzt die tiefe Spaltung der Gesellschaft, die Korruption, und spielt die verschiedenen Gruppen und Clans in Somalia geschickt gegeneinander aus. Und so lange die Terroristen so schalten und walten können, solange wird Al-Shabab weiter existieren."
    Menschen suchen am in Mogadischu (Somalia) nach einem Selbstmordanschlag in den Trümmern eines Hauses nach Überlebenden. Über ihnen sind Rauchsäulen ztu sehen.
    Mitte Oktober war ein Lastwagen voller Sprengstoff in ein belebtes Viertel von Mogadischu gefahren und explodiert. (AP / Abdi Warsameh)
    Bürgerkrieg, Machtkämpfe, Korruption
    Somalia gilt als zerbrechlicher, manche sagen: gescheiterter Staat. Seit 1991, nach dem Sturz von Diktator Siad Barre, ist das Land durch Bürgerkrieg, erbitterte Machtkämpfe und massive Korruption zerrissen. Eine Zentralregierung für das ganze Land gibt es bis heute nicht - seit diesem Frühjahr gibt es immerhin eine Regierung, allerdings nur mit begrenztem Einfluss, und auch nur in Mogadischu.
    Es ist das perfekte Klima für Al-Shabab. Allein im vergangenen Jahr gingen fast 4.300 Tote auf ihr Konto. Und das trotz der 22.000 Mann starken Truppe der Afrikanischen Union, trotz somalischer Armee, trotz US-amerikanischem Drohnenkrieg gegen die Islamisten. Militärisch sei Al-Shabab nicht zu besiegen, sagt Rashid Abdi von der Crisis Group. Die Terror-Hydra habe einfach zu viele Köpfe – schätzungsweise mehrere Tausend.
    "Es mag Sinn machen, die Führungsfiguren anzugreifen, aber Al-Shabab ist mittlerweile eine stabile, widerstandsfähige und gut finanzierte Organisation. Sie hat in den letzten Jahren 60 Prozent ihrer Anführer verloren – aber das hat ihr nicht geschadet: Al-Shabab hängt eben nicht von Personen ab, es ist eine Organisation mit klaren Strukturen und entsprechenden Mechanismen der Machtübergabe."
    Viele verdienen mit an der Unsicherheit des Landes
    Eine Organisation, die auch deshalb stark ist, weil zu viele – Clans, Geschäftsleute, Militärs - an der Unsicherheit des Landes mitverdienen. Nur so lässt sich erklären, warum Al-Shabab sogar wieder Geländegewinne vermeldet, warum die Islamisten im Süden und im Zentrum Somalias wichtige Nachschubrouten kontrollieren und sogar Stützpunkte der Afrikanischen Union überrennen und Sprengstoff stehlen können. Sprengstoff, der möglicherweise auch für den bisher schlimmsten Anschlag Somalias verwendet wurde – und gegen den die Somalis nun auf die Straße gehen wie nie zuvor.
    Vermummte Mitglieder der Al-Schabaab-Miliz in Somalia stehen in einer langen Reihe.
    Seit über zehn Jahren ziehen die radikalislamischen Terroristen von Al-Shabab eine Blutspur durch Somalia (Archivbild von 2010) (dpa/picture-alliance/Badri Media)
    "So etwas hat es noch nie gegeben. So eine Wut haben wir noch nie gesehen, nicht einmal in Afghanistan haben die Menschen so gegen die Taliban demonstriert. Hoffen wir, dass die Regierung diese Energie nutzt und jetzt liefert. Wenn sie es nicht schafft, bleibt alles so, wie es ist. Und es könnte den Präsidenten sogar sein Amt kosten."
    Fehlendes Signal der Weltgemeinschaft
    Somalia brauche dringend eine Reform des Sicherheitssektors, fordert Rashid Abdi. Die Polizisten müssten besser bezahlt, die Spannungen zwischen der Regierung in Mogadischu und den Bundesstaaten beseitigt werden. Es fehle auch ein Signal der Weltgemeinschaft an Staaten wie Saudi-Arabien und Katar, die im Verdacht stehen, die Islamisten mitzufinanzieren. Andernfalls sei Somalia dabei, zu einer Brutstätte des internationalen Terrors zu werden.
    "Wir werden sie in unseren Herzen bewahren", sagt ein Mann im Stadion von Mogadischu, "all diejenigen, die um ihre Toten weinen - die somalische Mutter, den somalischen Vater. Und wir sagen al-Shabab: Ab sofort sind wir alle Soldaten, und wir werden Euch bekämpfen, wo auch immer Ihr seid!"
    Immerhin: Auch wenn Somalia weit entfernt ist von Einheit, das Gefühl der Solidarität ist stark. Bislang aber ist das System Al-Shabab noch stärker.