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Nach dem Anschlag von Berlin
"Vorsichtig abwägen war noch nie die Sache der CSU"

Die Einschätzung der CSU, dass die Zuwanderungspolitik nicht richtig laufe, sei nicht neu, sagte Ursula Münch, Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, im DLF. Der Blick auf die innere Sicherheit sei immer schon relativ rigide gewesen. Den Anschlag von Montagabend nehme CSU-Chef Horst Seehofer als Bestätigung dieser Haltung.

Ursula Münch im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Porträt der Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing (Bayern), Ursula Münch
    Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing (dpa/OPeter Kneffel)
    Ann-Kathrin Büüsker: Die CSU schießt ja in erheblichem Maße gegen den Unionspartner CDU und auch gegen den Koalitionspartner SPD. Das sorgt wie gehört in Berlin für einigen Unmut. Darüber habe ich vor dieser Sendung mit der Politikwissenschaftlerin Ursula Münch gesprochen. Sie leitet die Akademie für politische Bildung in Tutzing. Und ich habe sie um ihre Einschätzung gebeten, ob die CSU da einen Schreckensmoment ausnutzt, um politisch Kapital zu schlagen.
    Ursula Münch: Nein, das würde ich nicht sagen. Das fände ich übertrieben. Es ist tatsächlich die Einstellung und die Einschätzung der CSU, dass die Zuwanderungspolitik einiges nicht richtig gelaufen ist. Diese Einschätzung hat man ja schon früher geäußert. Wenn jetzt die CSU damit ganz neu daher käme, dann könnte man vielleicht tatsächlich sagen, man nutzt diese Situation und diesen speziellen Moment, aber dass man die Zuwanderungspolitik auch unter sicherheitspolitischen Aspekten für problematisch erachtet, diese Sicht der Dinge macht Herr Seehofer und die CSU spätestens seit September 2015 immer wieder vernehmbar hörbar.
    Büüsker: Und das kann sie ja auch tun, das ist ja auch ihr durchaus demokratisches Recht. Aber Michael Müller, der Regierende Bürgermeister von Berlin, der reagiert darauf auch, indem er das als unanständig bezeichnet. Zum derzeitigen Zeitpunkt wissen wir ja noch gar nicht alles über die Hintergründe. Warum wagt sich Horst Seehofer trotzdem soweit aus dem Fenster?
    Münch: Na ja, gut, weil natürlich auch Politiker wie die meisten von uns am Montagabend, als diese Schreckensneuigkeiten über die Sender gingen, die Konstellation alle in diesem Moment an Nizza erinnert haben, an die Attentate dort, und weil es relativ naheliegend war zu sagen, es ist ein Anschlag, und weil es dann ja auch jetzt durch die Bekenntnisse des sogenannten IS wohl auch eindeutig ein terroristischer Anschlag ist. Insofern ist die Schlussfolgerung zu sagen, da ist Sicherheit bedroht und das hat vermutlich einen Zusammenhang mit Zuwanderung, entspricht zumindest einem Großteil der Wahrnehmung oder einer Wahrnehmung eines größeren Teils der Bevölkerung. Das würde ich jetzt noch nicht für eine unzulässige Schlussfolgerung einschätzen.
    "Sicht der CSU auf innere Sicherheit schon immer relativ rigide"
    Büüsker: Aber man kann schon sagen, dass Horst Seehofer hier die Situation für seine Parteipolitik nutzt?
    Münch: Wie gesagt, ich würde das so nicht sagen. Ich würde sagen, er betont eine Wahrnehmung, auf die man bereits seit Monaten, wenn nicht sogar schon seit eineinhalb Jahren mindestens hinweist, dass man sagt, diese unkontrollierte Zuwanderung, das ist die Einschätzung der CSU, sei ein Sicherheitsrisiko. Darauf hat man schon früher hingewiesen. Man fühlt sich bestätigt, wobei das jetzt alles an und für sich ja keine neuen Positionen der CSU sind. Die CSU hat mit Blick auf innere Sicherheit immer schon eine relativ rigide Sicht gehabt, immer schon dafür plädiert, Einwanderung, Zuwanderung zu beschränken und möglichst abgelehnte Asylsuchende so schnell wie möglich wieder abzuweisen. Das alles ist meines Erachtens so neu nicht. Dass man jetzt das vor dem Hintergrund sagt, entspricht meines Erachtens durchaus der bisherigen Profilierung der CSU.
    Büüsker: Sie haben es angesprochen, diese Position ist nicht neu, und es gibt darüber auch in der Union immer wieder Streit, schon seit Beginn der Flüchtlingskrise. Gerade Horst Seehofer hat sich hier immer wieder hervorgetan. Wäre es dann nicht auch mal Zeit für die CSU zu sagen, okay, wir können die CDU nicht von unseren Forderungen überzeugen, wir ziehen die Konsequenzen und kündigen die Union auf?
    Münch: Na ja, allzu weit weg ist die letzte Verlautbarung von Seehofer, die ja ungefähr zwei Wochen alt ist, allzu weit weg ist man ja davon nicht. Da hatte er ja schon angekündigt, wenn die Obergrenze von 200.000, die sogenannte Obergrenze nicht erfüllt würde von Seiten der CDU, dass man dann nicht sich an der Bundesregierung, einer möglichen beteiligen würde. Allzu weit ist man davon nicht mehr entfernt. Es besteht anscheinend nach wie vor die Vorstellung zumindest in Teilen der CSU, dass man die CDU auf die eigene Seite aus Sicht der CSU wieder zurückziehen kann, und ich habe den Eindruck, dass man im Grunde aus Sicht der CSU nicht nachvollziehen kann, warum die CDU nach wie vor und vor allem die Kanzlerin Merkel nach wie vor bei ihrer Position bleibt, selbst nach diesem Anschlag von Montagabend: im Grunde noch vorsichtig abwägen. Vorsichtig abwägen war noch nie die Sache der CSU und jetzt im Grunde hat man, glaube ich, auch so ein bisschen die Hoffnung gehabt, dass diese Anschläge quasi aus Sicht der CSU auch die Kanzlerin "zur Vernunft" bringen - aus Sicht der CSU.
    "Die Union ist zerrissen"
    Büüsker: Aber, Frau Münch, beschädigt Horst Seehofer damit nicht die Kanzlerin und damit auch die Kanzlerkandidatin der Union?
    Münch: Das tut er. Da gebe ich Ihnen Recht. Aus Sicht der CSU ist der Schaden oder wäre der Schaden aber noch größer, wenn die CDU und die Kanzlerin weiterhin bei der Position bleibt, die ja in der CDU wahrlich auch nicht unumstritten ist. Aus seiner Sicht ist der Schaden größer, wenn die CDU bei dieser Position bleibt. Die CSU hält diese Position erstens für inhaltlich falsch, dieses relative Abwägen in Sachen innerer Sicherheit mit Blick auf die Flüchtlingspolitik. Und zweitens hält sie es auch mit Blick auf die Stimmungslage in der Bevölkerung mit Blick auf die Bundestagswahlen für extrem gefährlich. Aus dem Grund sagt man, lieber die Kanzlerin unter Druck setzen, das sei das kleinere Übel. Ich gebe Ihnen Recht, nach außen wirkt das natürlich nach einer zerrissenen Union. Sie ist ja auch zerrissen.
    Büüsker: Und solche Streitigkeiten werden meistens von den Wählerinnen und Wählern nicht unbedingt mit Vertrauen honoriert, und Vertrauen ist ja gerade das, was den Parteien derzeit abhandenkommt. Ist dieser Kurs dann nicht eigentlich ein bisschen selbstmörderisch?
    Münch: Ja, natürlich ist das aus Sicht dieser Geschlossenheit gefährlich. Wie gesagt, diese innenpolitische Position der CSU, so stark auf diese innere Sicherheit Wert zu legen, das alles ist nichts Neues. Die CSU wirft der CDU vor, dass sie ihre früheren Positionen aufgegeben hat, und sie hält das für hoch riskant, sowohl mit Blick auf die innere Sicherheit als auch mit Blick auf die Wählerschaft. Und man sagt, wir müssen die zurück auf die ursprüngliche Position bringen. Ich gehe nicht davon aus, dass die CSU von ihrer Position abgehen wird, weil man sagt und weil man der Einschätzung ist, das sei die richtige Position.
    Büüsker: Aber indem man so agiert, wie Horst Seehofer es tut, zieht er doch gerade die Handlungsfähigkeit des Staates in Zweifel und das wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger nicht unbedingt stärken.
    Münch: Ich muss jetzt die Position der CSU nicht verteidigen. Die Wahrnehmung der CSU ist, dass nicht das Ansprechen von Tatsachen die Sicherheitslage gefährdet und die Wahrnehmung der Handlungsfähigkeit, sondern dass das Unterlassen gewisser Maßnahmen diese Sicherheit gefährdet. Es ist wie immer eine Wahrnehmungsfrage. Ich kann nur nach meiner Einschätzung, wie ich die CSU-Politik wahrnehme und die unmittelbaren Reaktionen, die ich am Montag unmittelbar miterlebt habe, von vielen Mitgliedern des Kabinetts aus Zufall miterlebt habe, sagen, dass das jetzt nicht nur aufgesetzt ist, sondern dass das dem tatsächlichen innenpolitischen Handlungsimpuls der CSU entspricht und nicht nur der Situation des Montagabend.
    Büüsker: So die Einschätzung der Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. Sie ist Leiterin der Akademie für politische Bildung in Tutzing.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.