Tausende Pilger zieht es alljährlich an Pfingstmontag auf den Bussen. Der fast 800 Meter hohe Berg ist ein viel besuchter Wallfahrtsort und wird auch als "der Heilige Berg Oberschwabens" bezeichnet. Hier, tief unter der Erde, findet sich Tongestein. Deshalb kommt die Gegend zwischen Ulm und Riedlingen in Baden-Württemberg möglicherweise als Standort für ein atomares Endlager infrage.
"Das Material hat niemand so gerne in der Nähe. Grün hin und Grün her. Es hofft jeder, dass es an uns vorbeizieht."
"Ein ganz besonderer Gruß gilt heute unserem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann." (Applaus)
Der grüne Regierungschef hat sich unter die Pilger gemischt und nimmt am Gottesdienst teil. Einst ging Winfried Kretschmann am Fuße des Berges zur Schule. Er war es auch, der den Bussen und die ganze Region wieder in die Schlagzeilen brachte. Seine grün-rote Landesregierung hatte im April die Amtsgeschäfte gerade übernommen, als der Ministerpräsident im Zuge der Debatte um den Atomausstieg eine neue ergebnisoffene und bundesweite Suche nach einem Atommüll-Endlager forderte.
"Schwarz-Gelb hat ja unverkennbar eine gewisse Vorfestlegung auf Gorleben - ja. Das wollten wir und wollen wir nicht, deswegen mein Plädoyer wirklich ernsthaft eine Suche in der ganzen Republik endlich zu starten."
Als in Baden-Württemberg noch die CDU das Sagen hatte, galt die Endlagerfrage als absolutes Tabu. Obwohl die sogenannte Tongesteinsstudie aus dem Jahr 2006 den Südwesten als möglichen Standort nicht völlig ausgeschlossen hat. Damals kamen die Geologen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zum Ergebnis, dass Regionen in Oberschwaben - Zitat - "untersuchungswürdige Tongesteinsformationen für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland" bieten.
Nach dem Bundestag entscheiden morgen die Ministerpräsidenten im Bundesrat über die Atomwende der schwarz-gelben Bundesregierung. Zur bis heute ungeklärten Frage, wohin mit dem hoch radioaktiven Atommüll aus deutschen Kernkraftwerken - deutet sich zumindest ein politischer Kompromiss an: Nachdem - für viele überraschend - auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) seinen Widerstand gegen eine Gesteinsüberprüfung im Freistaat aufgegeben hat, soll bis Ende des Jahres ein Gesetz zur Suche nach einem Endlager vorliegen. Darin soll geklärt sein, ob und nach welchen Kriterien andere Standorte als Gorleben erkundet werden.
Noch ist nichts entschieden; trotzdem sind an den infrage kommenden potenziellen Standorten die Bürger bereits alarmiert. Etwa im oberschwäbischen Riedlingen an der Donau, auch diese Kommune steht auf Tongestein. Bürgermeister Hans Petermann von den Freien Wählern:
"Man empfindet eigentlich die Diskussion eher als lästig, glaubt aber nicht daran, dass die Eignung kommen könnte. Und zwar deshalb: Es gibt keine detaillierte Untersuchung, die sagen würde, in Riedlingen ist es am geeignetsten in diesem über 100 Kilometer langen Tongesteinfeld. Und dann ist es ja so, dass bei uns in der Nachbarschaft eine ganze Reihe Thermalbäder sind, die holen das warme Wasser unterhalb des Tongesteins, drüber sind die Trinkwasserversorgungen. Und bei uns ist noch Erdbebengebiet zwei vom Zollerngraben aus, deswegen sehen wir die Diskussion relativ gelassen."
Eines der größten Hindernisse dürften Fragen der Erdbebensicherheit und möglicher vulkanischer Aktivitäten sein, erklärte vor wenigen Wochen auch das Landesamt für Geologie in Freiburg. Das Tongestein im Südwesten, der sich übrigens bis in die Schweiz hinein zieht, kommt deshalb aus Sicht der Geologen größtenteils nicht für ein atomares Endlager infrage. Die Experten wiesen zudem darauf hin, dass bevor eine deutschlandweite Standortsuche beginnt, zunächst das Verfahren festgelegt werden muss. Das werde Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern. Dem Riedlinger Bürgermeister Petermann wäre es am liebsten, das Thema wäre jetzt schon abgehakt:
"Uns würde es leidtun, wenn man jetzt unsere Stadt in ein Licht bringt, als ob das schon eine prekäre Situation wäre. Ich rechne damit, dass irgendwann die Berufsdemonstranten in Stuttgart nicht mehr gebraucht werden, und die möchte ich nicht in Riedlingen auf der Donau-Insel."
Der damalige grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin hatte ihn im Jahr 1999 ins Leben gerufen: den AkEnd, den Arbeitskreis Endlager. Er sollte zur Roadmap für die Suche nach einem gesellschaftlich akzeptierten Endlager werden. 2002 lagen die Ergebnisse vor - und verschwanden in der Schublade. Jedenfalls in Deutschland. In der Schweiz nutzte man die Erkenntnisse dagegen, die nun auch hierzulande wieder aus der Versenkung auftauchen könnten. Das jedenfalls hofft Michael Sailer vom Ökoinstitut Darmstadt:
"Aus meiner Sicht sollte man dazu kommen, dass ein genehmigungsfähiger Bauantrag für ein Endlager in 20 Jahren da ist. Das heißt: Man muss in den 20 Jahren zunächst auswählen und politisch auch festlegen, welcher Standort es ist. Man muss dann an dem herausgefundenen, am besten geeigneten Standort Sicherheitsanalysen machen, so wie man sie braucht, um Genehmigungsantrag auch vernünftig stellen zu können."
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hat aufgrund der Aktenlage bereits vor Jahren die theoretisch für ein Endlager geeigneten Zonen in Deutschland eingegrenzt. Übrig geblieben sind beispielsweise neben Gorleben vier weitere Salzstöcke, Zwischenahn, Wahn, Gülze-Sumte und Wattekatt in Norddeutschland, die eine Untersuchung lohnen. Auch im Tongestein gibt es mehrere Optionen.
"Was Tongesteine betrifft, wurde ja ein Katalog im Jahre 2007 von der BGR herausgegeben, dort haben wir sehr, sehr große Gebiete in Norddeutschland, im Wesentlichen in Niedersachsen, aber auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in Süddeutschland kleine Bereiche in Ostbayern und anschließend benachbart in Baden-Württemberg auf der Schwäbischen Alb, die wir auch als untersuchungswürdig betrachtet haben",
erklärt Volkmar Bräuer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Außerdem gibt es noch ein paar Gebiete in Granit- und Gneisgestein, die in Sachsen und Bayern liegen. Nun wäre der nächste Schritt, die Auswahl mit Blick auf neue Erkenntnisse auf den neuesten Stand zu bringen und dann die am besten aussehenden Gebiete vor zu erkunden. Es würden Probebohrungen folgen und dann Phase drei: Ein oder zwei Standorte müssten unter Tage so weit erkundet werden, dass sie mit der Erkundung von Gorleben vergleichbar wären.
Wendländer Fahrradfahrer machen Station vor dem symbolträchtigsten Gebäude der Region. Stacheldraht und Gitterzäune sollen den weißen Förderturm über dem Salzstock Gorleben schützen. Vor Neugierigen. Und vor Atomkraftgegnern, die seit mehr als drei Jahrzehnten verhindern wollen, dass aus dem Erkundungsbergwerk in Nordniedersachsen ein atomares Endlager wird.
"Dieser Salzstock eignet sich auf jeden Fall in keinster Weise für hoch radioaktiven Müll."
Als im Jahr 1980 im Wald von Gorleben erstmals Bohrfahrzeuge anrückten, gehörte Asta von Oppen zu denen, die sich den staatlichen Erkundungstrupps beherzt in den Weg stellten. 33 Tage hielten 5000 Atomkraftgegner die Bohrstelle besetzt. Dann stürmte die Polizei das Hüttendorf. Schon damals, sagt die Mitbegründerin der lokalen Bürgerinitiative, sollte der strukturschwache Landstrich als Standort für ein Endlager politisch durchgedrückt werden. Obwohl die geologischen Umstände deutlich gegen Gorleben sprächen: Dem Salzstock fehle ein schützendes Deckgebirge, es gebe Wasserzuflüsse und Erdgasvorkommen - kein Ort also, für den eine Million Jahre Sicherheit garantiert werden könne, sagt die Aktivistin:
"Alle Wissenschaftler, die diese Meinung mit uns teilen und geäußert haben, sind inzwischen entlassen. Es ist einfach ein einziger Filz. Das heißt, unsere gute begründete Kritik findet in der offiziellen Wissenschaft in Deutschland kein Gehör."
Die Auseinandersetzung um ein mögliches Endlager Gorleben gehört zu den heftigsten Konflikten in der Geschichte der Bundesrepublik. Nach drei Jahrzehnten sind die Fronten inzwischen so verhärtet, dass eine Lösung kaum noch möglich erscheint. Auf der einen Seite: Bewohner, die sich vor einer nuklearen Katastrophe im idyllischen Wendland fürchten. Auf der anderen: diverse Bundesregierungen, die mit der Option Gorleben als Entsorgungsnachweis jahrzehntelang AKW-Laufzeiten legitimierten und bereits 1,5 Milliarden Euro in die Erkundung des Salzstocks steckten.
" Mein lieber Herr Albrecht, wir woll'n Deinen Schiet nicht haben! Nicht bei uns und auch nicht anderswo, niemals! " (Jubel)
Alles begann Mitte der 1970er-Jahre. Der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, CDU, brachte die bevölkerungsarme Region direkt an der DDR-Grenze als Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum ins Spiel. Und das, obwohl der dortige Salzstock bei einer geologischen Eignungsprüfung nicht in die Runde der letzten Acht gekommen war. Kritische Stimmen, das bestätigen auch Zeugen im noch laufenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages, wurden ignoriert. So wurde zum Beispiel die Empfehlung, neben dem Wendländer Salzstock auch andere Standorte auf ihre Eignung hin zu untersuchen, 1983 auf Druck der Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl aus einem Expertengutachten herausgestrichen. An der Eignung zweifelnde Expertisen wurden nicht berücksichtigt.
Das Misstrauen der Gorlebengegner ist über die Jahre stetig gewachsen. Zum einen, weil direkt gegenüber dem Salzstock inzwischen mehr als 100 Castorbehälter mit hoch radioaktivem Inhalt zwischengelagert werden. Zum anderen, weil das Erkundungsverfahren jahrzehntelang nicht transparent und nahezu ohne Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung ablief. Zwar hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen, CDU, inzwischen eine Bürgerbeteiligung in Aussicht gestellt. Seit vergangenem Jahr wird der Salzstock jedoch weiter erkundet. Ergebnisoffen, wie die Bundesregierung nicht müde wird zu betonen. Doch rechtliche Rahmenbedingungen, sagt der Politikwissenschaftler Matthias Edler, der für Greenpeace Hunderte von Akten geprüft hat, seien so verändert worden, dass Einsprüche der Bevölkerung noch heute nahezu unmöglich sind.
"Wir können Dokumente von Behörden vorlegen, die zum Teil Minister unterschrieben haben, die beweisen, dass man mit allen Tricks versucht hat, über 30 Jahre Gorleben am Leben zu erhalten."
Der Protest in Gorleben ist über die Jahre lebendig geblieben. Fast jede Woche wird irgendwo im Wendland demonstriert. Obwohl die schwarz-gelbe Bundesregierung kürzlich in ihrem Energiekonzept festgelegt hat, andere Standorte neben Gorleben bei der Endlagersuche in Betracht zu ziehen. Angesichts der jahrelangen Verweigerungshaltung war dies ein Riesenschritt, weiß auch David McAllister, Ministerpräsident in Niedersachsen. Seit der Katastrophe im japanischen Fukushima versucht der Christdemokrat, seine Partei vom Standort Gorleben wegzuführen:
"Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Aber das niedersächsische Eichhörnchen hat in den letzten Wochen doch viele Nüsse gesammelt. Oder? - Geknackt. Was da jetzt in diesem Papier steht, unterschrieben von CDU, CSU und FPD: Holla, die Waldfee!"
Dennoch hat der Beschluss der Bundesregierung bei den Menschen vor Ort keine Jubelstürme hervorgerufen. Zu tief sitzt das Misstrauen. Kerstin Rudek, Vorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg:
"Natürlich ist uns nicht damit gedient, wenn nicht gleichzeitig hier sofort ein Baustopp für Gorleben verhängt wird und weiterhin der nächste Castor-Transport geplant und jetzt genehmigt ist. Wenn wir all unsere Hoffnung in die Umsetzung dieser politischen Willensbekundungen legen, dann werden wir nichts erreichen. Wenn wir aber den nötigen Druck erzeugen können auf der Straße, dann werden sie das auch umsetzen müssen und wir hängen uns hier voll dafür rein für die Zukunft der nächsten 30.000 Generationen."
In einem sind sich die Experten einig: Das ideale Endlagergestein gibt es nicht: Alle haben Vor- und Nachteile. Beispiel: Granit. Sein Vorteil ist die Standfestigkeit. Große Hohlräume darin zu bauen, ist kein Problem. Auch die Hitze des hochaktiven Abfalls macht ihm nichts aus. Und es gibt in Sachsen und Bayern Granitvorkommen, die infrage kämen. Aber - grundsätzlich sind alle deutschen Granite stark von Klüften durchzogen, über die Wasser an die eingelagerten Abfälle gelangen wird. Und Wasser sei der Feind im Endlager, sagt Michael Sailer vom Ökoinstitut:
"Wenn Wasser eindringt, kann das dazu führen, dass es radioaktive Stoffe löst und dann nach draußen transportiert."
Granit allein ist nie sicher, auch nicht in Finnland und Schweden, wo er mangels Alternative als Endlagerformation feststeht. Deshalb schützen in diesem Konzept technische Barrieren die Umwelt vor den Brennelementen: Stahl in einem dickwandigen Kupferbehälter, mit einem Mantel aus quellfähigem Ton. Sailer:
"Bei technischen Barrieren habe ich Erfahrungen über ein paar Dutzend oder ein paar Hundert Jahre maximal, weiß auch, dass die immer fehlerbehaftet sein können."
Die Schweiz jedenfalls hat sich vom Granitendlager verabschiedet und dem Tonstein zugewandt. Genauer: Tonschichten, die 500 bis 1000 Meter tief unter der Erde liegen. Die haben viele positive Eigenschaften: Sie halten Wasser und Gas gefangen, weshalb auch unter ihnen Öl- und Gaslagerstätten liegen. Außerdem fangen Tonminerale Radionuklide wie Thorium, Uran oder Plutonium weg, sodass sie nicht aus dem Endlager entkommen können. Das belegen Experimente, die in der Schweiz, Deutschland und in Frankreich durchgeführt werden. Scott Altmann von der Andra, der französischen Agentur für die Entsorgung und Behandlung radioaktiver Abfälle:
"Wenn man unsere Laborergebnisse hochrechnet, legen Radionuklide wie Uran in einer Million Jahre vier oder fünf Meter im Tonstein zurück. Sie bleiben also eingeschlossen. Anders ist das jedoch beispielsweise beim radioaktiven Chlor-36: Das schafft in rund 80.000 Jahren immerhin eine Strecke von 60 Metern."
Diese Radionuklide könnten also ein Endlager im Tonstein im Lauf von 200.000 oder 400.000 Jahren verlassen. Die Mengen, die in die Biosphäre gelangten, wären wohl gering, glaubt Scott Altmann. Ton allerdings hat auch klare Nachteile. Volkmar Bräuer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe:
"Er ist nämlich auch, was die Temperaturbelastbarkeit betrifft, nicht sehr günstig im Vergleich zum Salz. Wenn sie den Ton über 100° erhitzen, verändert er seine physikalische Eigenschaft, und wenn sie daran denken, dass hochaktive Abfälle eben auch hochtemperatur-aktiv sind, dann ist die Einlagerung im Ton doch sehr eingeschränkt."
"Gekochte" Tonminerale fangen weder Radionuklide weg, noch können sie sie speichern - die Barriere wäre dahin. Um das zu vermeiden, müssten die zunächst kräftig heizenden Behälter in großen Abständen aufgestellt werden, das Endlager entsprechend groß dimensioniert sein.
Anders das Salz. Es ist das bislang am besten erforschte Endlager-Wirtsgestein. Über 250 Millionen Jahre eingeschlossene Laugenreste eines urzeitlichen Meeres und zahllose Gaslagerstätten beweisen, dass es erst einmal absolut dicht hält.
"Das ist einerseits dadurch gegeben, dass das Salz undurchlässig ist von seiner Natur her, aber auch noch einen weiteren Vorteil bietet: Es schließt durch seine mechanischen Eigenschaften etwaige Klüfte von allein."
Auch die Temperaturen, die um die Endlagerbehälter herum auftreten, machen Salz nichts aus. Aber - es ist wasserlöslich. Was passiert, wenn Wasser einbricht, zeigt das Negativbeispiel Asse, die abzusaufen droht. Die Asse ist auch der Grund, warum die Politik darüber nachdenkt, die "Rückholbarkeit" der Abfälle zu fordern. Dazu müsste das Bergwerk offen gehalten werden. Während der 60 oder 80 Jahre, bis das letzte Abfallgebinde unter der Erde verstaut sein wird, ist das ohnehin der Fall. In dieser Phase müssten Tests laufen, erklärt Michael Sailer vom Ökoinstitut Darmstadt:
"Da gehört auch dazu, dass man alle möglichen relevanten Parameter misst: wie sich das Gebirge benimmt, wie der Stein austrocknet oder nicht austrocknet, wie vorausgesagte Bewegungen wirklich so sind oder anders. Da dran sehe ich ja, ob mein Rechenmodell vernünftig ist oder nicht. Also während dem Betrieb offen halten und rausholen."
Ist das Endlager voll, ändert sich die Situation. Gleichgültig, welches Wirtsgestein gewählt wird und wie sicher das Gesamtkonzept eines Endlagers auch ist: Solange Schächte und Strecken offenbleiben, sind Wassereinbrüche möglich - und damit könnten die Radionuklide in die Biosphäre gelangen, erklärt Michael Sailer. Und:
"Mal angenommen, wir hätten im Jahr 1790 im Rheinland oder in Westfalen ein Endlager gebaut. Wir hatten die Napoleonischen Kriege, wir hatten instabile Staatssituationen, wir hatten den 1. Weltkrieg, dann den 2. Weltkrieg. Das heißt, in den 220 Jahren hätten wir vier- oder fünfmal Situationen gehabt, in denen ein offenes Endlager-Bergwerk sicher zu einer massiven Freisetzung oder zum Diebstahl von Material geführt hätte."
Was den Zeitraum für die Suche nach einem Endlager angeht, so läuft die Uhr: Die Sicherheit der Zwischenlagerbehälter, in denen 2022 alle Brennelemente stecken werden, ist auf 40 Jahre begrenzt. Da schon viele Castoren seit Jahren gepackt sind, sollte das Endlager in 30 oder 35 Jahren betriebsbereit sein.
"Das Material hat niemand so gerne in der Nähe. Grün hin und Grün her. Es hofft jeder, dass es an uns vorbeizieht."
"Ein ganz besonderer Gruß gilt heute unserem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann." (Applaus)
Der grüne Regierungschef hat sich unter die Pilger gemischt und nimmt am Gottesdienst teil. Einst ging Winfried Kretschmann am Fuße des Berges zur Schule. Er war es auch, der den Bussen und die ganze Region wieder in die Schlagzeilen brachte. Seine grün-rote Landesregierung hatte im April die Amtsgeschäfte gerade übernommen, als der Ministerpräsident im Zuge der Debatte um den Atomausstieg eine neue ergebnisoffene und bundesweite Suche nach einem Atommüll-Endlager forderte.
"Schwarz-Gelb hat ja unverkennbar eine gewisse Vorfestlegung auf Gorleben - ja. Das wollten wir und wollen wir nicht, deswegen mein Plädoyer wirklich ernsthaft eine Suche in der ganzen Republik endlich zu starten."
Als in Baden-Württemberg noch die CDU das Sagen hatte, galt die Endlagerfrage als absolutes Tabu. Obwohl die sogenannte Tongesteinsstudie aus dem Jahr 2006 den Südwesten als möglichen Standort nicht völlig ausgeschlossen hat. Damals kamen die Geologen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zum Ergebnis, dass Regionen in Oberschwaben - Zitat - "untersuchungswürdige Tongesteinsformationen für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland" bieten.
Nach dem Bundestag entscheiden morgen die Ministerpräsidenten im Bundesrat über die Atomwende der schwarz-gelben Bundesregierung. Zur bis heute ungeklärten Frage, wohin mit dem hoch radioaktiven Atommüll aus deutschen Kernkraftwerken - deutet sich zumindest ein politischer Kompromiss an: Nachdem - für viele überraschend - auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) seinen Widerstand gegen eine Gesteinsüberprüfung im Freistaat aufgegeben hat, soll bis Ende des Jahres ein Gesetz zur Suche nach einem Endlager vorliegen. Darin soll geklärt sein, ob und nach welchen Kriterien andere Standorte als Gorleben erkundet werden.
Noch ist nichts entschieden; trotzdem sind an den infrage kommenden potenziellen Standorten die Bürger bereits alarmiert. Etwa im oberschwäbischen Riedlingen an der Donau, auch diese Kommune steht auf Tongestein. Bürgermeister Hans Petermann von den Freien Wählern:
"Man empfindet eigentlich die Diskussion eher als lästig, glaubt aber nicht daran, dass die Eignung kommen könnte. Und zwar deshalb: Es gibt keine detaillierte Untersuchung, die sagen würde, in Riedlingen ist es am geeignetsten in diesem über 100 Kilometer langen Tongesteinfeld. Und dann ist es ja so, dass bei uns in der Nachbarschaft eine ganze Reihe Thermalbäder sind, die holen das warme Wasser unterhalb des Tongesteins, drüber sind die Trinkwasserversorgungen. Und bei uns ist noch Erdbebengebiet zwei vom Zollerngraben aus, deswegen sehen wir die Diskussion relativ gelassen."
Eines der größten Hindernisse dürften Fragen der Erdbebensicherheit und möglicher vulkanischer Aktivitäten sein, erklärte vor wenigen Wochen auch das Landesamt für Geologie in Freiburg. Das Tongestein im Südwesten, der sich übrigens bis in die Schweiz hinein zieht, kommt deshalb aus Sicht der Geologen größtenteils nicht für ein atomares Endlager infrage. Die Experten wiesen zudem darauf hin, dass bevor eine deutschlandweite Standortsuche beginnt, zunächst das Verfahren festgelegt werden muss. Das werde Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern. Dem Riedlinger Bürgermeister Petermann wäre es am liebsten, das Thema wäre jetzt schon abgehakt:
"Uns würde es leidtun, wenn man jetzt unsere Stadt in ein Licht bringt, als ob das schon eine prekäre Situation wäre. Ich rechne damit, dass irgendwann die Berufsdemonstranten in Stuttgart nicht mehr gebraucht werden, und die möchte ich nicht in Riedlingen auf der Donau-Insel."
Der damalige grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin hatte ihn im Jahr 1999 ins Leben gerufen: den AkEnd, den Arbeitskreis Endlager. Er sollte zur Roadmap für die Suche nach einem gesellschaftlich akzeptierten Endlager werden. 2002 lagen die Ergebnisse vor - und verschwanden in der Schublade. Jedenfalls in Deutschland. In der Schweiz nutzte man die Erkenntnisse dagegen, die nun auch hierzulande wieder aus der Versenkung auftauchen könnten. Das jedenfalls hofft Michael Sailer vom Ökoinstitut Darmstadt:
"Aus meiner Sicht sollte man dazu kommen, dass ein genehmigungsfähiger Bauantrag für ein Endlager in 20 Jahren da ist. Das heißt: Man muss in den 20 Jahren zunächst auswählen und politisch auch festlegen, welcher Standort es ist. Man muss dann an dem herausgefundenen, am besten geeigneten Standort Sicherheitsanalysen machen, so wie man sie braucht, um Genehmigungsantrag auch vernünftig stellen zu können."
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hat aufgrund der Aktenlage bereits vor Jahren die theoretisch für ein Endlager geeigneten Zonen in Deutschland eingegrenzt. Übrig geblieben sind beispielsweise neben Gorleben vier weitere Salzstöcke, Zwischenahn, Wahn, Gülze-Sumte und Wattekatt in Norddeutschland, die eine Untersuchung lohnen. Auch im Tongestein gibt es mehrere Optionen.
"Was Tongesteine betrifft, wurde ja ein Katalog im Jahre 2007 von der BGR herausgegeben, dort haben wir sehr, sehr große Gebiete in Norddeutschland, im Wesentlichen in Niedersachsen, aber auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in Süddeutschland kleine Bereiche in Ostbayern und anschließend benachbart in Baden-Württemberg auf der Schwäbischen Alb, die wir auch als untersuchungswürdig betrachtet haben",
erklärt Volkmar Bräuer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Außerdem gibt es noch ein paar Gebiete in Granit- und Gneisgestein, die in Sachsen und Bayern liegen. Nun wäre der nächste Schritt, die Auswahl mit Blick auf neue Erkenntnisse auf den neuesten Stand zu bringen und dann die am besten aussehenden Gebiete vor zu erkunden. Es würden Probebohrungen folgen und dann Phase drei: Ein oder zwei Standorte müssten unter Tage so weit erkundet werden, dass sie mit der Erkundung von Gorleben vergleichbar wären.
Wendländer Fahrradfahrer machen Station vor dem symbolträchtigsten Gebäude der Region. Stacheldraht und Gitterzäune sollen den weißen Förderturm über dem Salzstock Gorleben schützen. Vor Neugierigen. Und vor Atomkraftgegnern, die seit mehr als drei Jahrzehnten verhindern wollen, dass aus dem Erkundungsbergwerk in Nordniedersachsen ein atomares Endlager wird.
"Dieser Salzstock eignet sich auf jeden Fall in keinster Weise für hoch radioaktiven Müll."
Als im Jahr 1980 im Wald von Gorleben erstmals Bohrfahrzeuge anrückten, gehörte Asta von Oppen zu denen, die sich den staatlichen Erkundungstrupps beherzt in den Weg stellten. 33 Tage hielten 5000 Atomkraftgegner die Bohrstelle besetzt. Dann stürmte die Polizei das Hüttendorf. Schon damals, sagt die Mitbegründerin der lokalen Bürgerinitiative, sollte der strukturschwache Landstrich als Standort für ein Endlager politisch durchgedrückt werden. Obwohl die geologischen Umstände deutlich gegen Gorleben sprächen: Dem Salzstock fehle ein schützendes Deckgebirge, es gebe Wasserzuflüsse und Erdgasvorkommen - kein Ort also, für den eine Million Jahre Sicherheit garantiert werden könne, sagt die Aktivistin:
"Alle Wissenschaftler, die diese Meinung mit uns teilen und geäußert haben, sind inzwischen entlassen. Es ist einfach ein einziger Filz. Das heißt, unsere gute begründete Kritik findet in der offiziellen Wissenschaft in Deutschland kein Gehör."
Die Auseinandersetzung um ein mögliches Endlager Gorleben gehört zu den heftigsten Konflikten in der Geschichte der Bundesrepublik. Nach drei Jahrzehnten sind die Fronten inzwischen so verhärtet, dass eine Lösung kaum noch möglich erscheint. Auf der einen Seite: Bewohner, die sich vor einer nuklearen Katastrophe im idyllischen Wendland fürchten. Auf der anderen: diverse Bundesregierungen, die mit der Option Gorleben als Entsorgungsnachweis jahrzehntelang AKW-Laufzeiten legitimierten und bereits 1,5 Milliarden Euro in die Erkundung des Salzstocks steckten.
" Mein lieber Herr Albrecht, wir woll'n Deinen Schiet nicht haben! Nicht bei uns und auch nicht anderswo, niemals! " (Jubel)
Alles begann Mitte der 1970er-Jahre. Der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, CDU, brachte die bevölkerungsarme Region direkt an der DDR-Grenze als Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum ins Spiel. Und das, obwohl der dortige Salzstock bei einer geologischen Eignungsprüfung nicht in die Runde der letzten Acht gekommen war. Kritische Stimmen, das bestätigen auch Zeugen im noch laufenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages, wurden ignoriert. So wurde zum Beispiel die Empfehlung, neben dem Wendländer Salzstock auch andere Standorte auf ihre Eignung hin zu untersuchen, 1983 auf Druck der Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl aus einem Expertengutachten herausgestrichen. An der Eignung zweifelnde Expertisen wurden nicht berücksichtigt.
Das Misstrauen der Gorlebengegner ist über die Jahre stetig gewachsen. Zum einen, weil direkt gegenüber dem Salzstock inzwischen mehr als 100 Castorbehälter mit hoch radioaktivem Inhalt zwischengelagert werden. Zum anderen, weil das Erkundungsverfahren jahrzehntelang nicht transparent und nahezu ohne Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung ablief. Zwar hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen, CDU, inzwischen eine Bürgerbeteiligung in Aussicht gestellt. Seit vergangenem Jahr wird der Salzstock jedoch weiter erkundet. Ergebnisoffen, wie die Bundesregierung nicht müde wird zu betonen. Doch rechtliche Rahmenbedingungen, sagt der Politikwissenschaftler Matthias Edler, der für Greenpeace Hunderte von Akten geprüft hat, seien so verändert worden, dass Einsprüche der Bevölkerung noch heute nahezu unmöglich sind.
"Wir können Dokumente von Behörden vorlegen, die zum Teil Minister unterschrieben haben, die beweisen, dass man mit allen Tricks versucht hat, über 30 Jahre Gorleben am Leben zu erhalten."
Der Protest in Gorleben ist über die Jahre lebendig geblieben. Fast jede Woche wird irgendwo im Wendland demonstriert. Obwohl die schwarz-gelbe Bundesregierung kürzlich in ihrem Energiekonzept festgelegt hat, andere Standorte neben Gorleben bei der Endlagersuche in Betracht zu ziehen. Angesichts der jahrelangen Verweigerungshaltung war dies ein Riesenschritt, weiß auch David McAllister, Ministerpräsident in Niedersachsen. Seit der Katastrophe im japanischen Fukushima versucht der Christdemokrat, seine Partei vom Standort Gorleben wegzuführen:
"Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Aber das niedersächsische Eichhörnchen hat in den letzten Wochen doch viele Nüsse gesammelt. Oder? - Geknackt. Was da jetzt in diesem Papier steht, unterschrieben von CDU, CSU und FPD: Holla, die Waldfee!"
Dennoch hat der Beschluss der Bundesregierung bei den Menschen vor Ort keine Jubelstürme hervorgerufen. Zu tief sitzt das Misstrauen. Kerstin Rudek, Vorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg:
"Natürlich ist uns nicht damit gedient, wenn nicht gleichzeitig hier sofort ein Baustopp für Gorleben verhängt wird und weiterhin der nächste Castor-Transport geplant und jetzt genehmigt ist. Wenn wir all unsere Hoffnung in die Umsetzung dieser politischen Willensbekundungen legen, dann werden wir nichts erreichen. Wenn wir aber den nötigen Druck erzeugen können auf der Straße, dann werden sie das auch umsetzen müssen und wir hängen uns hier voll dafür rein für die Zukunft der nächsten 30.000 Generationen."
In einem sind sich die Experten einig: Das ideale Endlagergestein gibt es nicht: Alle haben Vor- und Nachteile. Beispiel: Granit. Sein Vorteil ist die Standfestigkeit. Große Hohlräume darin zu bauen, ist kein Problem. Auch die Hitze des hochaktiven Abfalls macht ihm nichts aus. Und es gibt in Sachsen und Bayern Granitvorkommen, die infrage kämen. Aber - grundsätzlich sind alle deutschen Granite stark von Klüften durchzogen, über die Wasser an die eingelagerten Abfälle gelangen wird. Und Wasser sei der Feind im Endlager, sagt Michael Sailer vom Ökoinstitut:
"Wenn Wasser eindringt, kann das dazu führen, dass es radioaktive Stoffe löst und dann nach draußen transportiert."
Granit allein ist nie sicher, auch nicht in Finnland und Schweden, wo er mangels Alternative als Endlagerformation feststeht. Deshalb schützen in diesem Konzept technische Barrieren die Umwelt vor den Brennelementen: Stahl in einem dickwandigen Kupferbehälter, mit einem Mantel aus quellfähigem Ton. Sailer:
"Bei technischen Barrieren habe ich Erfahrungen über ein paar Dutzend oder ein paar Hundert Jahre maximal, weiß auch, dass die immer fehlerbehaftet sein können."
Die Schweiz jedenfalls hat sich vom Granitendlager verabschiedet und dem Tonstein zugewandt. Genauer: Tonschichten, die 500 bis 1000 Meter tief unter der Erde liegen. Die haben viele positive Eigenschaften: Sie halten Wasser und Gas gefangen, weshalb auch unter ihnen Öl- und Gaslagerstätten liegen. Außerdem fangen Tonminerale Radionuklide wie Thorium, Uran oder Plutonium weg, sodass sie nicht aus dem Endlager entkommen können. Das belegen Experimente, die in der Schweiz, Deutschland und in Frankreich durchgeführt werden. Scott Altmann von der Andra, der französischen Agentur für die Entsorgung und Behandlung radioaktiver Abfälle:
"Wenn man unsere Laborergebnisse hochrechnet, legen Radionuklide wie Uran in einer Million Jahre vier oder fünf Meter im Tonstein zurück. Sie bleiben also eingeschlossen. Anders ist das jedoch beispielsweise beim radioaktiven Chlor-36: Das schafft in rund 80.000 Jahren immerhin eine Strecke von 60 Metern."
Diese Radionuklide könnten also ein Endlager im Tonstein im Lauf von 200.000 oder 400.000 Jahren verlassen. Die Mengen, die in die Biosphäre gelangten, wären wohl gering, glaubt Scott Altmann. Ton allerdings hat auch klare Nachteile. Volkmar Bräuer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe:
"Er ist nämlich auch, was die Temperaturbelastbarkeit betrifft, nicht sehr günstig im Vergleich zum Salz. Wenn sie den Ton über 100° erhitzen, verändert er seine physikalische Eigenschaft, und wenn sie daran denken, dass hochaktive Abfälle eben auch hochtemperatur-aktiv sind, dann ist die Einlagerung im Ton doch sehr eingeschränkt."
"Gekochte" Tonminerale fangen weder Radionuklide weg, noch können sie sie speichern - die Barriere wäre dahin. Um das zu vermeiden, müssten die zunächst kräftig heizenden Behälter in großen Abständen aufgestellt werden, das Endlager entsprechend groß dimensioniert sein.
Anders das Salz. Es ist das bislang am besten erforschte Endlager-Wirtsgestein. Über 250 Millionen Jahre eingeschlossene Laugenreste eines urzeitlichen Meeres und zahllose Gaslagerstätten beweisen, dass es erst einmal absolut dicht hält.
"Das ist einerseits dadurch gegeben, dass das Salz undurchlässig ist von seiner Natur her, aber auch noch einen weiteren Vorteil bietet: Es schließt durch seine mechanischen Eigenschaften etwaige Klüfte von allein."
Auch die Temperaturen, die um die Endlagerbehälter herum auftreten, machen Salz nichts aus. Aber - es ist wasserlöslich. Was passiert, wenn Wasser einbricht, zeigt das Negativbeispiel Asse, die abzusaufen droht. Die Asse ist auch der Grund, warum die Politik darüber nachdenkt, die "Rückholbarkeit" der Abfälle zu fordern. Dazu müsste das Bergwerk offen gehalten werden. Während der 60 oder 80 Jahre, bis das letzte Abfallgebinde unter der Erde verstaut sein wird, ist das ohnehin der Fall. In dieser Phase müssten Tests laufen, erklärt Michael Sailer vom Ökoinstitut Darmstadt:
"Da gehört auch dazu, dass man alle möglichen relevanten Parameter misst: wie sich das Gebirge benimmt, wie der Stein austrocknet oder nicht austrocknet, wie vorausgesagte Bewegungen wirklich so sind oder anders. Da dran sehe ich ja, ob mein Rechenmodell vernünftig ist oder nicht. Also während dem Betrieb offen halten und rausholen."
Ist das Endlager voll, ändert sich die Situation. Gleichgültig, welches Wirtsgestein gewählt wird und wie sicher das Gesamtkonzept eines Endlagers auch ist: Solange Schächte und Strecken offenbleiben, sind Wassereinbrüche möglich - und damit könnten die Radionuklide in die Biosphäre gelangen, erklärt Michael Sailer. Und:
"Mal angenommen, wir hätten im Jahr 1790 im Rheinland oder in Westfalen ein Endlager gebaut. Wir hatten die Napoleonischen Kriege, wir hatten instabile Staatssituationen, wir hatten den 1. Weltkrieg, dann den 2. Weltkrieg. Das heißt, in den 220 Jahren hätten wir vier- oder fünfmal Situationen gehabt, in denen ein offenes Endlager-Bergwerk sicher zu einer massiven Freisetzung oder zum Diebstahl von Material geführt hätte."
Was den Zeitraum für die Suche nach einem Endlager angeht, so läuft die Uhr: Die Sicherheit der Zwischenlagerbehälter, in denen 2022 alle Brennelemente stecken werden, ist auf 40 Jahre begrenzt. Da schon viele Castoren seit Jahren gepackt sind, sollte das Endlager in 30 oder 35 Jahren betriebsbereit sein.