Der britische Finanzminister George Osborne versuchte schon vor Öffnung der Märkte, die Stimmung zu beruhigen. Die britische Wirtschaft sei stark und die Regierung auf alle Eventualitäten vorbereitet, versicherte der Schatzkanzler, der vor dem Referendum am Freitag für einen Verbleib Großbritanniens in der EU geworben hatte. Es sei zwar mit weiteren Marktschwankungen zu rechnen, die Regierung und die Zentralbank hätten aber Maßnahmen vorbereitet: "Unsere Wirtschaft ist so stark wie nötig, um sich der Herausforderung zu stellen, die auf unser Land jetzt zukommt."
Vor dem Votum hatte Osborne gewarnt, im Falle eines Brexits müsse er Steuern erhöhen und Ausgaben kürzen. Jetzt klingt das Ganze so: "Es wird Anpassungen in unserer Volkswirtschaft geben." Und: Es müsse gehandelt werden angesichts der Folgen für die öffentlichen Finanzen. Damit müsse man allerdings warten, bis der neue Premierminister im Amt sei, betonte der Finanzminister. Das gelte auch für die Verhandlungen über den EU-Ausstieg. "Nur das Vereinigte Königreich kann Artikel 50 auslösen", so Osborne - und meinte damit den Paragraphen des EU-Vertrages zum Austritt eines Landes aus dem Staatenbund. Die Regierung werde den Antrag dazu erst einreichen, wenn sie "klare Vorstellungen" über den weiteren Weg habe.
Boris Johnson: "Großbritannien hat es nicht eilig"
Amtsinhaber David Cameron will die Regierungsgeschäfte erst im Oktober übergeben - die Verhandlungen über den "Brexit" soll sein Nachfolger führen. Die EU hatte die Briten gedrängt, den Austrittsprozess sofort zu starten. Davon will aber auch Boris Johnson, ein Anfürher der "Brexit"-Befürworter und möglicher Nachfolger Camerons, nichts wissen. Großbritannien habe es nicht eilig, die EU zu verlassen, schrieb er in seine regelmäßigen Kolumne für den "Daily Telegraph". Im übrigen sei Großbritannien ein Teil Europas, und werde dies immer auch bleiben.
Johnson bemühte sich sichtlich, den Briten die Angst vor dem Bruch mit Europa zu nehmen. Es werde sich kaum etwas ändern, seine Landleute könnten auch in Zukunft weiter in der EU arbeiten gehen, versicherte der frühere Londoner Bürgermeister. Auch Studieren oder Immobilienkäufe blieben weiter möglich. Das "Klima der Sorge" sei auf "völlig übertriebene Warnungen" der Brexit-Gegner zurückzuführen. Dennoch müsse man nun Brücken bauen, da viele nun ein Gefühl von "Bestürzung, Verlust und Verwirrung" empfänden.
Wer wird Nachfolger von Cameron?
Die knappe Entscheidung für den "Brexit" hat beide großen Parteien in die Krise gestürzt. Bei den Konservativen geht es darum, wer die Nachfolge von David Cameron antritt. Medienberichten zufolge will auch Innenministerin Theresa May in das Rennen einsteigen. Die 59-Jährige dürfte Johnsons schärftste Konkurrentin werden und könnte seine Gegner um sich scharen. Das Tory-Parteikomitee - ein einflussreicher Ausschuss konservativer Parlamentarier - teilte am Montag Nachmittag mit, Camerons Nachfolge solle bis spätestens 2. September festgelegt werden. Der Parteivorstand muss dem Vorschlag allerdings noch zustimmen.
Bei der "Labour"-Partei wird die Kritik am Vorsitzenden Jeremy Corbyn immer lauter. Am Wochenende verließen elf führende Labour-Politiker auf eigenen Wunsch dessen Schattenkabinett für die nächste Wahl, nachdem der Parteivorsitzende seinen Schatten-Außenminister Hilary Benn wegen dessen scharfer Kritik an seiner Person gefeuert hatte. Auch weitere frühere Gefolgsleute verweigern Corbyn die Unterstützung. Sie werfen ihm vor, nicht überzeugend genug für den EU-Verbleib geworben zu haben und trauen ihm nicht zu, die Partei in mögliche Neuwahlen zu führen. Corbyn selbst schloss einen Rücktritt aus. Wer die Parteiführung ändern wolle, müsse sich darum in einer demokratischen Wahl bewerben.
Ansonsten ist der Montag geprägt von Krisensitzungen. Am Vormittag traf sich das britische Kabinett, am Nachmittag kommt das Parlament zusammen, dort soll auch Cameron sprechen. Auch das irische Parlament und das nordirische Regionalparlament beraten über die Folgen des Brexit-Referendums.
(jasi/tgs)