Empörung, Entsetzen, massive Kritik und schwerwiegende Vorwürfe gegen die Regierenden in der EU dominieren das Echo auf die jüngste Katastrophe im Mittelmeer. Regierungssprecher Steffen Seibert versicherte:
"Es ist allen in der Bundesregierung klar, dass gehandelt werden muss, um weitere massenhafte Tode im Mittelmeer zu verhindern."
Die Bundeskanzlerin sei tief bestürzt über den Tod von vermutlich mehr als 900 Menschen auf der Flucht vor Krieg und Elend, so Seibert:
"Dass sie auf diesem Weg nun nur den Tod gefunden haben, das ist eine Tragödie. Und das dies mit trauriger Regelmäßigkeit im Mittelmeer stattfindet, das ist ein Zustand, der Europas nicht würdig ist. Ein Kontinent, der sich der Humanität verpflichtet fühlt, muss Antworten darauf suchen, auch wenn es keine einfachen Antworten gibt."
"Friedensnobelpreis müsste der EU aberkannt werden"
Worte, die so oder ähnlich auch nach anderen Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer gefallen sind. Aus Sicht der Kritiker sind sie nicht viel mehr als Betroffenheitslyrik. Seit Monaten habe man ein groß angelegtes EU Rettungsprogramm für Flüchtlinge in Seenot gefordert, sagte Grünen Chefin Simone Peter der ARD und sprach von einem Tod mit Ansage. Ihre Parteifreundin, Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth sagte zu n-tv:
"Es ist eine Schande für Europa und ich bin tief bedrückt, denn die Europäische Union hat den Friedensnobelpreis bekommen, der müsste ihr eigentlich aberkannt werden."
Doch was konkret tun? Der Regierungssprecher identifiziert drei Aufgaben:
"Das eine ist, wir müssen Menschenleben retten gemeinsam. Das andere ist, wir müssen organisierte Schlepperbanden bekämpfen. Und das Dritte ist, wir müssen unseren Beitrag leisten, den deutschen wie europäischen Beitrag, um die Herkunfts- und Transitländer zu stabilisieren."
Punkt zwei und drei stehen längst auf der politischen Tagesordnung, niemand erwartet schnelle Ergebnisse. Der erste Punkt, die Rettung von Flüchtlingen in Seenot wird spätestens seit Auslaufen des italienischen Programms Mare Nostrum in Deutschland kontrovers diskutiert. Selbst innerhalb der Bundesregierung gibt es unterschiedliche Positionen. Die Flüchtlingsbeauftragte Aydan Özoguz hatte sich schon gestern für eine europäische Variante von Mare Nostrum ausgesprochen:
"Wir brauchen jetzt dringend einen Seenotrettungsdienst, damit hunderte und tausende Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken, wenn sie sich auf diese gefährliche Überfahrt wagen."
Es ist kein Geheimnis, dass Bundesinnenminister Thomas de Maiziere seit Langem befürchtet, durch ein solches Programm neue Fluchtanreize Richtung Europa zu schaffen. Sein Sprecher heute Vormittag in Berlin:
"Das alles ist ganz fürchterlich kompliziert"
"Eine einfache Antwort zu sagen, jetzt machen wir Mare Nostrum 2 und damit ist das Problem gelöst, ist sicher keine, die die Position des Bundesinnenministeriums und damit auch nicht der Bundesregierung darstellt."
Doch was dann? Über eine Stunde wurden die Sprecher unterschiedlicher Ministerien auf mögliche Antworten hin befragt. Ungeduldiger und emotionaler als das sonst der Fall ist. Der Sprecher des Auswärtigen Amts betonte:
"Sie können wirklich sicher sein, dass die Leute, die hier sitzen, genau die gleichen Empfindungen und Sorgen haben wie Sie. Nur davon, dass man das lösen will, schafft man es nicht ohne Weiteres, weil unglaublich viele Faktoren eine Rolle spielen, Anreizsysteme eine Rolle spielen, die wiederum Dinge auslösen, die man gar nicht vorhersehen kann. Das alles ist ganz fürchterlich kompliziert und dramatisch, weil Menschenleben auf dem Spiel stehen."
Doch vor allem bei Nichtregierungsorganisationen ist die Geduld mit den Verantwortlichen in der EU längst am Ende. Menschenrechtsorganisationen, die das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer seit Jahren verfolgen und die Festung Europa seit Langem beklagen, formulieren die deutlichste Kritik, hier Elias Bierdel von borderline europe heute Morgen im Deutschlandfunk:
"Es ist schlechterdings so, dass der politische Wille fehlt in Europa, Menschen zu retten, die man retten könnte, und das ist der Kern des Problems. Es wird nicht reichen, auch jetzt wieder darauf hinzuweisen, dass man kriminelle Banden bekämpfen muss, wenn man zuvor durch eine systematische Politik der Abschreckung und Abschottung dafür gesorgt hat, dass eben diese Banden überhaupt ins Geschäft kommen."
Für Cap Anamur hatte Bierdel einst selbst Flüchtlinge aus dem Mittelmeer geholt, er wurde deshalb in Italien als Fluchthelfer vor Gericht gestellt und erst Jahre später freigesprochen.