Ute Meyer: Der Terror, er ist wieder da in Europa, und darüber möchte ich sprechen mit Hans-Peter Uhl von der CSU. Er ist Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Schönen guten Tag, Herr Uhl.
Hans-Peter Uhl: Grüß Sie Gott, Frau Meyer.
Meyer: Herr Uhl, wie sehr betreffen die Terroranschläge in London auch uns hier in Deutschland?
Uhl: Sie betreffen uns genauso wie die Bürger von London. Wir haben das leibhaftig erleben müssen in Berlin am Breitscheid-Platz und an anderen Orten, und so etwas kann sich jederzeit auch in Deutschland wiederholen.
Meyer: Welche Konsequenzen müssen wir in Deutschland dann aus diesem Terroranschlag ziehen?
Uhl: Wenn der Terrorist mit der Bombe sozusagen unterm Arm zum Tatort schreitet, hat der Staat verloren. Dann kann er die Bürger nicht mehr schützen. Wenn er bei diesem Szenario von gestern mit dem Auto losgefahren ist, hat der Staat verloren. Er kann die Bürger nicht mehr schützen. Das heißt, der Staat kann seine eigentliche Schutzfunktion nur wahrnehmen im Vorfeld der Tatplanung, und da muss man wieder unterscheiden zwischen den Tätertypen, die als "lonely wulf" unterwegs sind. Die haben sich vorher aber radikalisiert.
Wenn sie zur Tat schreiten, fassen sie in ihrem Kopf, in ihrem verrückten Gehirn sozusagen den Tatentschluss. Da kann der Staat nicht reinschauen. Aber im Vorfeld der Radikalisierung, da ist der Staat in der Lage, Einblick zu nehmen, Gespräche abzuhören, solche Zirkel der Radikalisierung aufzudecken und sich einzuschalten, und das ist die einzige Chance.
"So viele Gefährder wie möglich außer Landes schaffen"
Meyer: Nun ist das vor dem Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt nur mangelhaft erfolgt, wie wir jetzt wissen. Ob dieser Mann hier in London überhaupt vorher auffällig war, das wissen wir nicht. Was konkret fordern Sie denn?
Uhl: Wir wissen es wohl schon, dass auch der englische Täter vorher auffällig war beim MI5, und Amri, unser Tätertyp, war ja auch auffällig. Das heißt, wir haben hier kein Gesetzgeberproblem. Wir müssen jetzt nicht neue Paragrafen produzieren. Wir haben sehr viel gemacht, gerade in den letzten Monaten als Ausfluss dieser Ereignisse. Wir haben eher ein Vollzugsproblem. Das heißt, die Beamten müssen mit dem vorhandenen rechtlichen Instrumentarium konsequenter umgehen. Und da stellt sich schon die Frage, wie gehen wir mit unseren Gefährdern auch in Deutschland um. Wir haben davon fünf, sechs, 700, je nach Definition. Der Staat kann die nicht bei Tag und Nacht überwachen. Wir müssen schauen, dass wir so viele Gefährder wie möglich durch Abschiebung außer Landes schaffen.
"Wir müssen schon die Haftmöglichkeiten ausreizen"
Meyer: Nun ist das Gesetz zu einer schnelleren Abschiebung gerade heute im Bundestag. In Großbritannien ist die Lage etwas anders. Theresa May hat gesagt, der Täter war wohl britischer Abstammung. Wie kann das verhindert werden, dass Menschen durch Propaganda zum Beispiel des Islamischen Staates inspiriert werden, die vorher gar nicht erst im Visier der Sicherheitsbehörden sind?
Uhl: Wenn sie sich radikalisieren – und das ist die Aufgabe des Staates; die ist zwar schwierig, aber machbar -, wenn sie sich radikalisieren, muss der Staat versuchen, in diesen Prozess reinzukommen und den Radikalisierungsprozess zu stoppen. Oder Täter, die radikalisiert sind, hinter Schloss und Riegel bringen, wenn man sie nicht abschieben kann. Da haben wir ja mit der Fußfessel einen etwas hilflosen Versuch unternommen. Das ist mir zu wenig.
Wir müssen schon die Haftmöglichkeiten ausreizen und mir ist es lieber, wenn ein Gericht bei einem erkannten Gefährder, der die Sicherheit und Ordnung unseres Landes bedroht, wenn dieser in Haft genommen wird und der Richter ihn wieder freilässt, ist mir dieser Vorgang lieber, als dass die Beamten schon Angst haben vor der Inhaftnahmem und rein vorsorglich ihn schon mal frei laufen lassen. Das geht nicht.
Meyer: Nun ist es allerdings auch so, dass verlängerte Haftzeiten, Untersuchungshaft, die länger andauert als 14 Tage, juristisch fast unmöglich ist durchzusetzen.
Uhl: Genau das wurde bisher behauptet und deswegen während wir hier sprechen, spricht der Innenminister Thomas de Maizière zu dem Gesetz, wonach wir eine längere Haftzeit über drei Monate hinaus bei solchen Gefährdern möglich machen. Auch hier kann ich nur die Beamten auffordern, zur Tat zu schreiten und solche Gefährder hinter Schloss und Riegel zu bringen.
Meyer: Das bedeutet aber auch, die Freiheit und die Vielfalt, für die zum Beispiel auch die Stadt London steht, aber auch die Stadt Berlin, die können wir uns jetzt nicht mehr leisten.
Uhl: Doch. Freiheit für jeden rechtschaffenen Bürger, aber keine Freiheit für die Feinde der Freiheit.
Meyer: London bleibt eine der sichersten Städte der Welt, hat Londons Bürgermeister gesagt. Hat er recht?
Uhl: Ich hoffe, dass er recht hat. Ich kenne die Kriminalitätsstatistik von London nicht. Ich kenne die von München und da ist es so, dass München die sicherste Großstadt Deutschlands ist. Aber es ist eine Daueraufgabe der Sicherheitsbehörden, für Sicherheit zu sorgen, und ich kann nur sagen, Gebrauch machen von den Gesetzen, die wir gemacht haben, noch mehr als bisher, und wer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist, wer Gefährder ist, wer sich radikalisiert, der gehört hinter Schloss und Riegel.
"Wir können Sicherheit nur produzieren durch nachrichtendienstliche Erkenntnisse"
Meyer: Nach dem Fall von Anis Amri, dem Attentäter auf dem Berliner Weihnachtsmarkt, war ja auch sehr in der Diskussion die grenzüberschreitende Beobachtung von Gefährdern. Amri war nicht nur in mehreren Bundesländern, sondern auch in ganz Europa unterwegs und schlüpfte da durch sämtliche Raster. Wie ist das eigentlich? Wie schätzen Sie das ein? Könnte es sein, dass Großbritannien durch den EU-Austritt auch so ein bisschen aus dem Fadenkreuz der internationalen Sicherheitsbehörden gerät?
Uhl: Darüber muss man reden, denn fangen wir mal mit Deutschland an: Die Aufteilung in 16 Bundesländer ist zunächst mal unter reinen Sicherheitsaspekten ein Sicherheitsrisiko. Das kann nur bewältigt werden, indem die 16 Länder engstens zusammenarbeiten, und der Fall Amri hat gezeigt, dass sie das nicht getan haben. Das muss man schonungslos so analysieren.
Bei Europa ist es nicht viel anders. Sollte es zum Brexit kommen, wäre es verheerend, wenn die Sicherheitsbehörden der europäischen Staaten (mit oder ohne Brexit) ihre Zusammenarbeit einstellen würden mit England. MI5 und MI6 sind der in Europa bestausgestattete Nachrichtendienst, den wir brauchen. Wir können Sicherheit nur produzieren durch nachrichtendienstliche Erkenntnisse. Es geht nicht um Polizisten, die auf der Straße herumlaufen. Die können nicht helfen. Es geht darum, dass wir nachrichtendienstlich so viele Erkenntnisse wie möglich sammeln über die radikalisierte Islamistenszene, und da brauchen wir MI5 und MI6 aus England und die enge Zusammenarbeit aller Nachrichtendienste in Europa.
"Da ist sehr viel nachzuholen in Deutschland"
Meyer: Was machen MI5 und MI6 denn besser als andere Geheimdienste?
Uhl: Es geht schon bei der personellen Ausstattung los. Es geht weiter bei der technischen Ausstattung. Wenn Sie die Vergleiche anstellen zwischen unseren Diensten, das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst, und diese vergleichen mit den englischen, dann sehen Sie den Unterschied. Da ist sehr viel nachzuholen in Deutschland.
Meyer: Noch mal zurück zu den aktuellen Ermittlungen in London. Die führt Scotland Yard, die Polizeibehörde. Die haben bisher sieben Verdächtige festgenommen. Außerdem kennt die Polizei wohl die Identität des Täters. Sie gibt sie aber noch nicht heraus. Können Sie sich vorstellen, warum nicht?
Uhl: Das wird aus ermittlungstaktischen Gründen so sein und das halte ich nur für klug, das nicht herauszugeben, weil man jetzt natürlich das Umfeld des Täters, der ja tot ist, schnellstens untersuchen muss, um zu sehen, hatte er Mittäter, Mitwisser, oder wer ist noch radikalisiert und ist möglicherweise der nächste Täter. Deswegen muss jetzt das Umfeld minutiös untersucht werden und dazu braucht man nicht seinen Namen bekannt zu geben, sondern muss arbeiten.
Meyer: Danke schön! – Hans-Peter Uhl war das, CSU-Politiker, Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.
Uhl: Bitte schön!
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