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Nach dem Nein zum Brexit-Vertrag
"Jetzt fängt das Spiel von vorne an"

Misstrauensvotum überstanden - aber einen klaren Weg hat Theresa May nicht vor sich, sagte Anne McElvoy. Die britische Premierministerin müsse irgendwie eine Mehrheit zwischen Konservativen und Labour finden, sagte die britische Journalistin im Dlf. "Jetzt fängt das Spiel von vorne an."

Anne McElvoy im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Eine Frau protestiert am 15.1.2019, dem Tag der Abstimmung, mit zwei Schildern vor dem britischen Unterhaus in London.
    "Leave Means Leave": Demonstrantin am Tag der Abstimmung über den Brexit-Deal vor dem britischen Unterhaus in London (picture alliance / empics / Yui Mok / PA Wire )
    Jürgen Zurheide: Wir wollen weiter beim Thema bleiben und nachfragen, welche Optionen es gibt. Dazu begrüße ich am Telefon Anne McElvoy. Die arbeitet als Kollegin unter anderem für den Economist und ist jetzt uns zugeschaltet. Good Evening! Hallo!
    Anne McElvoy: Ja, hallo! Guten Abend.
    Zurheide: Jetzt hat Theresa May ja gerade noch vor wenigen Minuten, um 23 Uhr deutscher Zeit, 22 Uhr Ihrer Zeit, noch ein paar Sätze gesagt. Was ich hier so halb noch mitbekommen habe, hilft mir nicht viel weiter. Hat sie für Sie noch irgendetwas gesagt, Sie haben es, glaube ich, etwas intensiver verfolgen können als ich, was uns weiterhilft?
    McElvoy: Theresa May hat das Misstrauensvotum ja überstanden. Das ist für sie eine bessere Nachricht als gestern, wo sie wirklich diese herbe Niederlage im Parlament erlitten hat.
    Aber das heißt lange nicht, dass sie einen klaren Weg vor sich hat, denn sie muss jetzt abwarten und sie muss versuchen, mit anderen Parteien zu konsultieren, und da haben auch viele gesagt, sie machen da nicht mit, dass sie überhaupt eine andere Variante findet und dass sie vielleicht nach wie vor ihren Weg weiterschreitet. Denn zurzeit hat sie keine andere Variante. Sie sagt, sie will einfach ihren Deal haben. Das Parlament hat den Deal abgelehnt und wir wissen nicht, wie das nächste Woche aussieht.
    "Kann sie irgendwie eine Mehrheit finden zwischen Konservativen und Labour?"
    Zurheide: Sie muss ja bis Montag - das hat das Parlament ihr auferlegt - eine neue Variante vorlegen. Die Frage ist, was kann denn da überhaupt anderes sein, denn soweit ich das hier beurteilen kann - und wir werden nachher noch nach Brüssel und in die anderen Städte schauen -, wird es da keinerlei Änderungen geben. Glaubt irgendjemand in Großbritannien, dass da noch von der EU etwas Substanzielles kommt?
    McElvoy: Es kommt darauf an, was man mit Substanzielles meint. Ich bin da ein wenig optimistisch. Ich glaube, dass ein anderer Ton ein bisschen aus der EU kommt, vor allem aus Berlin, denn Angela Merkel hat am Wochenende mit Theresa May gesprochen und wie ich dieses Gespräch verstehe, hat Theresa May Angela Merkel schon gesagt, dass diese Niederlage auf sie zukommt, dass sie dann versucht herauszufinden, wo die Mehrheiten im Parlament liegen.
    Denn zurzeit wissen wir, wogegen das Parlament stimmt. Wir wissen, dass ein Drittel gegen zwei Drittel diesen Deal nicht annimmt. Jetzt fängt Theresa May an zu sondieren und das versteht Angela Merkel auch, Brüssel vielleicht weniger. Wir sind jetzt in einer Lage, Theresa May muss sich entscheiden. Sie muss sagen, dass der 29. März kommt. Das ist wirklich nicht so lange vor uns und vor allem im Parlament sind das wirklich nur 30 Tage im Parlament, weil die Termine im Parlament anders sind. Die Wochenenden und so kommen dazwischen. Dann wird sie vielleicht eine Zollunion vorschlagen, einen Zollverein. Das ist für die Brexitiers in ihrer Partei nicht annehmbar, aber dadurch kann sie vielleicht Unterstützung von der Labour-Partei gewinnen.
    Jetzt fängt das Spiel von vorne an: Kann sie irgendwie eine Mehrheit finden zwischen Konservativen und Labour, die einen sanfteren Brexit wollen. Wir werden vielleicht innerhalb von 72 Stunden besser wissen, ob das überhaupt eine Möglichkeit ist. Wenn nicht, dann sieht die Situation für Theresa May wirklich sehr herbe aus.
    Britische Journalistin Anne McElvoy
    Die britische Journalistin Anne McElvoy schreibt für den The Economist und den London Evening Standard und arbeitet für die BBC (The Economist)
    "Jeremy Corbyn will Neuwahlen. Das ist ganz klar"
    Zurheide: Nun hat es heute Abend da ja nicht besonders gut angefangen, denn Corbyn ist nicht zu ihr gekommen, obwohl er auch eingeladen war. Und nach dem ganzen gegenseitigen Beschuldigen und wenn man das heute im Parlament verfolgt hat, war das ja auch durchaus heftig, dann frage ich mich, wird er das tun. Oder steht der möglicherweise intern jetzt auch unter Druck, quasi Theresa May den Job zu retten? Darauf läuft es ja dann hinaus, oder?
    McElvoy: Jeremy Corbyn stammt natürlich von der harten Linken und er glaubt, dass es nicht seine Rolle ist, Theresa May zu retten. Die Konservativen, das ist für ihn absolut undenkbar. Es überrascht mich nicht, dass er nicht auf dieses Angebot eingegangen ist. Aber man muss auch überlegen, was denken die Landsleute, was denkt der normale Bürger. Der denkt, okay, es muss ja irgendwas passieren, und Labour ist nicht im Gespräch damit. Dadurch versucht Theresa May die Labour-Partei zu spalten, denn diese Problematik existiert genauso für die Labour-Partei wie für die Konservativen.
    Jeremy Corbyn will Neuwahlen. Das ist ganz klar. Er hat das immer wieder betont im Parlament, dass es sein taktisches und strategisches Ziel ist, Neuwahlen herbeizuführen. Es kann sein, dass er dadurch gewinnt, dass er die Neuwahlen kriegt und dass er eine Chance hat, an die Macht zu kommen in Großbritannien, was wirklich eine große Leistung wäre, aber auch ein großes Risiko.
    Vielleicht andere Abgeordnete in der Labour-Partei, die Hälfte, die nicht von der absolut harten Linke kommen, die müssen sich jetzt entscheiden, gehen sie mit Theresa May und versuchen, den Brexit zu mildern, oder sagen sie mit Jeremy Corbyn nein, absolutes nein, um dann Neuwahlen herbeizuführen. Das ist ein absolut dramatisches Spiel auf höchster Ebene.
     nehmen am 21.06.2017 an der Eröffnung der Sitzungsperiode des Parlaments im Westminster Palace in London (Großbritannien) teil.
    In Zwietracht vereint - Die britische Ministerpräsidentin Theresa May (li.) und Labour-Chef Jeremy Corbyn (re.) (dpa /AP /Kirsty Wigglesworth)
    "Das Parlament will kein zweites Referendum"
    Zurheide: Es hat ja dann noch die Initiative gegeben, davon haben wir hier gehört, dass die Parlamentarier möglicherweise die Dinge in die Hand nehmen, wenn die Regierung es nicht hinbekommt, und dass aus der Mitte des Parlaments möglicherweise ein Votum kommt unter der Überschrift "Wir müssen die Bürger fragen, dann stellen wir diese Abstimmung dem Volk vor."
    Ist das eine realistische Variante, oder sind das wieder diejenigen, die aus unserer europäischen kontinentalen Sicht möglicherweise hoffen, dass es kommen könnte, wohl wissend, dass das auch vielleicht alles nicht so ist?
    McElvoy: Ich würde das ein bisschen als Zweckoptimismus beschreiben. Es gibt keine Mehrheit für eine zweite Wahl im Parlament und ich kann das auch sehr gut verstehen. Wenn man außerhalb steht, dann sagt man, dann wählen wir doch mal wieder, das wäre vielleicht besser. Aber vor allem: Wie sieht die Frage aus? Denn Theresa May ist gestern gescheitert. Es sind zwei Drittel des Parlaments dagegen. Da kann man die Frage dann wirklich nicht an die Landsleute, an die Bevölkerung stellen, wie würden sie denn wählen, wählen sie für diesen Deal, wenn das Parlament, sagen wir mal, zu 66 Prozent dagegen ist. Das heißt, die Frage ist unklar.
    Es kann sein, dass über die nächsten Wochen und Monate andere Möglichkeiten erschöpft sind und dass wir dann doch irgendwie bei einem zweiten Referendum, einer zweiten Volksbefragung ankommen, aber so schnell nicht, weil das Parlament will das nicht. Und ich muss auch sagen, es gibt viele, die das befürworten und die das für gut halten.
    Aber in der Bevölkerung ist die Begeisterung ziemlich bescheiden, denn man sagt immer so schön hier, wenn das Establishment einmal versagt, dann versuchen wir es halt das zweite Mal, aber das kommt manchmal sehr schlecht an und das ist nicht so, weil alle so wahnsinnig Brexitiers sind, aber sie fürchten sich davor und da muss man auch Verständnis haben.
    Zurheide: Was man nachvollziehen kann. Anne McElvoy, ich bedanke mich ganz herzlich heute Abend für diese Einschätzungen, die Sie uns ganz frisch gegeben haben von dieser Seite, und das Thema wird uns, egal ob wir es noch hören können oder nicht, eine Zeit erhalten bleiben. Herzlichen Dank und Gruß nach London.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.