Die Europaratsmitglieder Frankreich und Türkei, haben den Notstand ausgerufen. Das bedeutet: Sie haben die Grundfreiheiten der Menschen in ihren Ländern eingeschränkt. Die Behörden dürfen zum Beispiel Wohnungen ohne richterlichen Beschluss durchsuchen, Versammlungen verbieten oder auch die Presse kontrollieren. Diese Notstandsmaßnahmen sind für den Fall, dass ein Land bedroht wird - sei es wie in Frankreich durch den Terror oder wie in der Türkei durch einen versuchten Putsch des Militärs - durch den Artikel 15 der europäischen Menschenrechtskonvention gedeckt. Trotzdem müssen die Maßnahmen, die ergriffen werden, um eine Gefahr abzuwenden, verhältnismäßig sein, sagt der Pressesprecher des Europarates Daniel Höltgen:
"Ein Ausnahmezustand, wie wir im Moment erleben nach Artikel 15 ist kein Freibrief, um gegen die Menschenrechtskonvention zu verstoßen."
Menschenrechte stehen nicht zur Disposition
Das Recht auf Leben und auch ein Verbot von Folter kann nicht ausgesetzt werden durch den Artikel 15. Diese grundlegenden Menschenrechte stehen nicht zur Disposition. Andere Dinge hingegen müssen geregelt bzw. hinterfragt werden. Etwa: Wie weit reichen die Befugnisse der Sicherheitskräfte oder wird den Tausenden in der Türkei inhaftierten Menschen ausreichend juristischer Beistand gewährt? Nach Ansicht von Wolfgang Buettner, Sprecher von Human Rights Watch in Berlin, gehen die von der Türkei ergriffenen Notstandsmaßnahmen allerdings zu weit:
"In den beiden Dekreten, die veröffentlicht worden sind, ist Straflosigkeit für die Sicherheitskräfte festgeschrieben und auch, dass es keine rechtliche Überprüfung der Maßnahmen gibt, das ist sicherlich problematisch und da stellt sich die Frage der Willkürlichkeit. Hinzu kommt, dass es unserer Meinung nach keine Unterscheidung gibt zwischen denjenigen, die wirklich für Verbrechen verantwortlich sind und denjenigen, die Sympathie für die Gülen-Bewegung aufbringen. Auch da herrscht große Willkür. Auch stünden Foltervorwürfe im Raum, die schnellstmöglich entkräftet werden müssten, so Büttner.
"Es gibt das Komitee zur Verhütung von Folter, das auch dem Europarat untersteht und das freien Zugang zu Gefängnissen in allen Mitgliedsländern des Europarates hat. Und Jagland sollte nun auch in der Türkei darauf bestehen, dass die Vertreter dieses Komitees freien Zugang zu den türkischen Gefängnissen haben."
In Gesprächen mit Staatspräsident Erdogan, dem Regierungschef, sowie dem Außen- und Justizminister will der Generalsekretär des Europarates, Thorbjörn Jagland, diese offenen Fragen klären, sagt Europaratssprecher Höltgen:
"Es reicht nicht aus, die Türkei nur zu kritisieren, sondern es muss darum gehen, welche Verpflichtungen von der Türkei noch erfüllt werden und welche nicht. Und das kann man nur aufgrund einer sauberen juristischen Analyse machen, die wir mit der türkischen Regierung besprechen. Aber es gibt schon gewisse Anhaltspunkte, dass der Notstand beziehungsweise die Gesetzgebung möglicherweise zu weit gehen."
Türkei und die Todesstrafe
Auch die immer wieder laut werdenden Forderungen nach der Einführung der Todesstrafe in der Türkei dürften bei den Gesprächen eine Rolle spielen. Wobei der Europarat ganz klar unterscheidet zwischen einer gesetzlichen Einführung der Todesstrafe und ihrer Anwendung. Auch das Europaratsmitglied Russland kennt die Todesstrafe, allerdings wird diese aufgrund eines Moratoriums nicht mehr vollstreckt. Nur wenn es dazu kommen würde, wäre dies ein hinreichender Grund, die Mitgliedschaft der Türkei in der Staatengemeinschaft aufzukündigen, argumentiert die Straßburger Behörde. Jenseits aller Rhetorik aber sieht der Europarat im Moment keine Anhaltspunkte dafür, dass es soweit kommen wird, sagt Höltgen:
"Wir halten diese Möglichkeit nicht für realistisch, denn die Türkei hat Verpflichtungen gegenüber dem Europarat und die Protokolle 6 und 13 ratifiziert. Das sind die beiden Protokolle, die die Todesstrafe letztlich unter allen Umständen verbieten. Der Generalsekretär hat sich mehrfach mit dem Außenminister der Türkei darüber unterhalten und ist zu dem Schluss gekommen, dies ist nicht der Weg, den die Türkei einschlagen wird."
Allerdings dürfe es auch nicht sein, sagte der türkische Außenminister Cavusoglu am Wochenende der "FAZ", dass der Wille des Volkes im Hinblick auf die Todesstrafe ignoriert werde.