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Nach dem Putschversuch
Wie Journalisten in der Türkei leben

Drei Wochen nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei geht die Jagd der Regierung auf vermeintliche Hintermänner weiter. Zehntausende haben ihre Arbeit verloren, über 20.000 Menschen wurden verhaftet. Für kritische Journalisten bleibt nur noch wenig Platz. Kein Wunder also, dass nach dem Putsch Redaktionen gestürmt und Dutzende Medienvertreter festgenommen wurden.

Von Gunnar Köhne |
    ein Plakat mit dem Porträt des türkischen Präsidenten Erdogan bei einer Demonstration in Istanbul (7.8.2016)
    Ein Plakat mit dem Porträt des türkischen Präsidenten Erdogan. (afp / Bulent Kilic)
    Hochsommerlicher Trubel auf den Prinzeninseln vor den Toren Istanbuls. Von den Ausflugsbooten strömen die Menschen mit gepackten Badetaschen an Land.
    Cafer Solgun beobachtet das Treiben mit teilnahmslosem Blick von seiner Terrasse aus. Der 54-jährige Journalist sucht hier Abstand von den politischen Spannungen nach dem Putsch. Doch das ist gar nicht so einfach: Fast 50 Kollegen von ihm wurden verhaftet. Und im Internet kursieren immer wieder Gerüchte, sein Name stehe ebenfalls auf irgendeiner Liste der Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf gegen Solgun: Dass er bis zu deren Schließung für die angeblich Gülen-nahe Zeitung "Meydan" als Kolumnist gearbeitet hatte:
    "Die einzige Verbindung zwischen mir und dieser Zeitung waren die von mir verfassten Kommentare. Ich war weder der Besitzer noch der Chefredakteur dieses Blattes. Es gibt in meinem bisherigen Berufsleben nichts, was ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren oder worüber ich keine Rechenschaft ablegen könnte."
    Harter Kurs Erdogans
    Auch drei Wochen nach dem gescheiterten Putschversuch geht die Jagd der Regierung auf vermeintliche Hintermänner weiter. Zehntausende haben ihre Arbeit verloren, über 20.000 Menschen wurden verhaftet. Die Anhänger der Regierung halten den harten Kurs Erdogans für gerechtfertigt:
    "Das Volk will, dass alle, die diesem Land Schaden zugefügt haben, ihre gerechte Strafe bekommen."
    Cafer Solgun zweifelt nicht, dass die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen an dem Putschversuch zumindest beteiligt waren. Und er gibt zu, dass die Gülen-Bewegung auch unter den säkularen Intellektuellen der Türkei immer geworben habe. Für Bücher und andere Veröffentlichungen im Sinne ihres Imams Gülen boten sie fürstliche Honorare. Manche Journalisten sind darauf eingegangen - und waren sogar an der Denunzierung von Kritikern der Gülen-Bewegung beteiligt. So der ehemalige Mitarbeiter der Zeitung "Zaman", Yavuz Baydar, der jetzt für die "Süddeutsche Zeitung" ein anklagendes türkisches Tagebuch verfasst. Noch 2012 fand Baydar die Inhaftierung des Kollegen Ahmet Sik nicht kritikwürdig. Sik hatte ein Buch über die Unterwanderung des Militärs durch die Gülen-Anhänger geschrieben - und wurde von mutmaßlich Gülen-nahen Richtern wegen Putschvorbereitungen verurteilt.
    Debatte unter Journalisten
    An der nun tobenden Debatte unter Kollegen darüber, wer, wie und wann für oder gegen die Gülen-Bewegung gearbeitet habe, will sich Solgun nicht beteiligen. Er selbst ist alevitischer Kurde, mit religiösen Geheimbünden habe er noch nie etwas zu tun haben wollen. Dass sein Ex-Blatt in Verbindung mit Gülen stand, habe er nicht gewusst:
    "Da stand ja nicht an der Tür: Inhaber Fethullah Gülen. Und ich muss als gelegentlicher Autor ja auch nicht die Eigentumsverhältnisse durchleuchten. Ich bin bezahlt worden für Texte, in denen jedes Wort von mir stammte. Jede Art von Zensur hatte ich mir verbeten."
    Sollte er zur Fahndung ausgeschrieben werden, will sich Solgun stellen. Aber es empört ihn, dass er, der als junger Student nach dem Militärputsch 1980 im Gefängnis gesessen hatte, nun in eine Ecke mit politischen Verbrechern gestellt wird.
    "Das sind Obristen, die auf die eigene Bevölkerung geschossen und das Parlamentsgebäude bombardiert haben. Was habe ich, Cafer Solgun, oder was haben andere Journalisten mit denen."